Ganz ohne Ai Weiwei geht es nicht. Und sei es als Leiche: Eine lebensgroße Silikon-Figur liegt kopfüber hingestreckt auf dem Boden. Den Übervater der zeitgenössischen Kunstszene in China, zumindest aus westlicher Sicht, hat He Xiangyu täuschend echt nachmodelliert – doch er betitelt sein Werk: „Der Tod des Marat“.
Info
Die 8 der Wege:
Kunst in Beijing
30.04.2014 - 13.07.2014
mittwochs – samstags 13 bis 20 Uhr, sonntags ab 11 Uhr
in den Uferhallen, Uferstraße 8, Berlin
Katalog 24,95 €
Lava-Brocken aus 120 Tonnen Cola
Etwa Hes zweiter Beitrag: Er ließ Wanderarbeiter eineinhalb Jahre lang 120 Tonnen Coca-Cola einkochen. Übrig blieb ein schwarzer Gesteins-Brocken, der an Lava erinnert. Ist dieser Extrakt der braunen Brause nun als Warnung vor US-Ernährungsimperialismus zu verstehen, was der Regierung in Beijing gefallen dürfte – oder vor giftigem Industrie-Fraß generell? In China jagen Lebensmittel-Skandale einander.
Interview mit Kurator Andreas Schmid + Impressionen der Ausstellung
Alle Methoden + Medien zugleich
Hes dritter Beitrag sind Abzeichnungen und Abgüsse seiner Mundhöhle, die wie Gold-Nuggets oder Zahnkronen aussehen. Entstanden in New York, wo er sich sprachlos fühlte, da er kein Englisch beherrscht – körperzentrierte Nabel- bzw. Gaumen-Schau in Serie. So unterschiedliche Werke würde kein westlicher Künstler, der auf seinen Wiedererkennungs-Wert hält, zu einer Ausstellung beisteuern.
Anders in Beijing, erklärt Ko-Kurator Andreas Schmid: Junge chinesische Künstler wendeten bedenkenlos verschiedenste Ansätze und Methoden gleichzeitig an. Dazu befähige sie ihre breit gefächerte Ausbildung, in der sie sich Malerei und Skulptur ebenso aneignen wie Installationen, Film und Digitaltechnik. Sehr beliebt sei Videokunst, so Schmid, weil die weniger streng zensiert werde: Verwendung moderner Medien sei immer gut für China.
Im Reich der vieldeutigen Anspielungen
Den verwirrenden Stil-Pluralismus der dortigen Kunstszene soll der rätselhafte Titel „Die 8 der Wege“ andeuten. Die Ziffer Acht gilt in China als Glückszahl und steht für eine Menge, die sich nicht auf einen Blick erfassen lässt. Liegend ist sie das Zeichen für „Unendlichkeit“, und „Achtung“ im Sinne von Respekt spielt auch hinein: Willkommen im Reich der vieldeutigen Anspielungen – wie sich westliche Rationalisten fernöstliches Denken vorstellen.
Damit kennen sich die Macher aus. Schmid hat 1993 die Ausstellung „China/ Avantgarde“ mitkuratiert; sie gilt als erste umfassende Schau chinesischer Gegenwartskunst im Westen. Thomas Eller war Geschäftsführer der Temporären Kunsthalle Berlin; Guo Xiaoyan ist Direktorin des Minsheng Art Museum in Schanghai.
Stolperstein auf dem Tiananmen-Platz
Den Anlass liefert das 20-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft von Berlin und Beijing. Eröffnet wurde die Schau von Landesherr Klaus Wowereit und Chinas Botschafter in Deutschland, Shi Mingde. Doch offizielle Stellen hätten keinen Einfluss auf die Auswahl genommen, versichern die Kuratoren: Sie könnten alle Exponate zeigen, die sie wollten.
Also auch systemkritische Kunst – aber was ist systemkritisch? Sicherlich der Pflasterstein, den Zhao Zhao, Ex-Assistent von Ai Weiwei, in Beijing 2007 auf dem Platz des Himmlischen Friedens festklebte. Fotos der Aktion hängen in der Ausstellung, aber im Katalog bleibt sie unerwähnt. Heute wäre derlei unmöglich, da der Platz seit einer Auto-Attacke im Oktober 2013 abgeriegelt ist.
„Du darfst alles, aber bitte kritisch“
Der Tiananmen-Platz vor der Verbotenen Stadt ist eben ein hoch symbolischer Ort; was hier geschieht, bestimmt allein das Regime. Wie an vielen anderen Orten, deren Stellenwert sich je nach Umständen ändern kann: Mal werden sie rigide überwacht, mal nachlässiger. So gebe es kaum absolute Tabus, was keinesfalls produziert oder gezeigt werden dürfe, betont Schmid: Es komme ganz auf Thema, Zeitpunkt und Kontext an, ob ein Kunstwerk erlaubt sei oder nicht.
Insofern greift die Frage nach kritischer Kunst zu kurz. Zumal sie eine längst zum Klischee geronnene Erwartungshaltung verrät, gibt Thomas Eller zu bedenken: „Du darfst alles über Dich/ von Dir sagen und zeigen – wir unterstützen das –, aber bitte in einer Form, die wir als kritisch anerkennen können.“ Man kann diese Erwartung bedienen: wie Ai Weiwei, der Relikte seiner Unterdrückung derzeit als readymades im Martin-Gropius-Bau ausbreitet.
Kim Jong-Un als Techno-Tänzer
Oder man kann damit spielen wie die „Utopia Group“: Sie lobte 2013 das „First North Korea International Microfilm Festival“ aus. Zehn Beiträge werden in der Ausstellung gezeigt: Diktator Kim Jong-Un im Trickfilm oder Video-Clip als Techno-Tänzer oder Sport-Star, der Barack Obama düpiert, garniert mit schön schaurigen B-movie-Plakaten. Ein detailverliebt ausgemaltes Politsatire-Spektakel – ähnlich wie der populäre Internet-Blog „Kim Jong-Il looking at Things„, der nur Propaganda-Fotos seines Vorgängers auflistet.