Der Kunstbetrieb schwelgt gern in Superlativen – oft übertrieben. Doch hier sind Jubel-Arien völlig angemessen: Diese Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie, die anschließend in der Münchener Hypo-Kunsthalle gezeigt wird, ist absolut einmalig. Rund 130 Werke bieten einen glänzenden Überblick über die bedeutendsten Künstler und Strömungen des spanischen Barock im 17. Jahrhundert.
Info
El Siglo de Oro -
Die Ära Velázquez
01.07.2016 - 30.10.2016
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr
in der Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, Berlin
Katalog 29 €
Die Ära Velázquez in Malerei und Skulptur
25.11.2016 - 26.03.2017
täglich 10 bis 20 Uhr
in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8, München
Kompaktes Epochen-Panorama
Wie stellt man eine ganze Ära aus? Hauptwerke von Weltstars werden klug mit Bildern von Künstlern der zweiten Reihe kontrastiert, die hierzulande kaum bekannt sind – was Ähnlichkeiten wie Qualitätsunterschiede augenfällig macht. Zudem sind Malerei und Skulptur gleichrangig vertreten; das entspricht der damaligen Bedeutung beider Gattungen. Überdies wechselt der Rundgang elegant zwischen einzelnen Phasen, regionalen Zentren wie Madrid, Sevilla und Valencia sowie genres hin und her. Auf diese Weise entsteht eine kompaktes und nie überfrachtetes Panorama der gesamten Epoche.
Impressionen der Ausstellung
Fünf Staatsbankrotte im 17. Jahrhundert
El Siglo de Oro ist paradox: Das „Goldene Zeitalter“ der Künste begann erst, als Spaniens Herrschaft ihren Zenit überschritten hatte. Im 16. Jahrhundert war das Land Europas unumstrittene Hegemonialmacht; mit einem Kolonialreich, in dem die Sonne nicht unterging. Doch der Unabhängigkeitskampf der Niederlande ab 1568 und der Untergang der Armada 1588 wurden zu Vorboten des Niedergangs.
Das 17. Jahrhundert war von Krisen bestimmt: Verwicklungen in Kriege, Aufstände, Hungersnöte und Pestepidemien – fünf Mal ging der Staat bankrott. Spanien litt unter einem imperial overstretch: Seine Bevölkerung reichte für Armeen in halb Europa und die Kontrolle von Territorien auf fünf Kontinenten nicht aus. Dennoch blieb zumindest das Mutterland von Heerzügen verschont, und die Besitzungen in Amerika sorgten für ständige Einnahmen.
Kunstwerke zur Dogmen-Vermittlung
Damit finanzierten Krone, Adel und Klerus ihre freigebige Förderung der Künste. Sie sollten stabilisierend wirken, indem sie Imperium und Religion verherrlichten: „Es gibt prunkende Nationen, und die spanische ist es im höchsten Grad“, bemerkte 1647 der jesuitische Philosoph Baltasar Gracián. Dabei war die Stellung der Kirche stärker als anderswo; im Zeitalter der Gegenreformation wurde sie zum mit Abstand wichtigsten Auftraggeber.
Das Konzil von Trient (1545-1563) hatte empfohlen, die katholische Dogmatik den Gläubigen mit klar verständlichen Kunstwerken zu vermitteln. Dafür boten sich Spaniens zuvor sparsam geschmückte Kirchen und Klöster an: Serienweise entstanden monumentale Gemälde und Holzfiguren, die anschaulich und lebensnah das Erdenwalten und Wirken der Heiligen darstellten – und zugleich ihre Spiritualität, die nicht von dieser Welt ist.
Dreieinhalb Meter hoher Geniestreich
Auf einzigartige Weise gelang das Domínikos Theotokópoulos, genannt El Greco (1541-1614). Das demonstriert sein spätes Meisterwerk „Unbefleckte Empfängnis“ („Immaculata Oballe“, 1613) für eine Kirche in Toledo: Maria schwebt, umkränzt von Engeln, zum Heiligen Geist im Himmel empor. Alle Körper und Kleider sind manieristisch in die Länge gezogen, alle Gesichter aus schrägen Blickwinkeln zu sehen. Ein Gewirr aus kantigen Linien, grellen Farben, harten Helldunkel-Kontrasten – und doch fügt sich alles zum Eindruck übernatürlicher Harmonie.
Der dreieinhalb Meter hohe Geniestreich hängt als Blickfang direkt am Eingang, umgeben von drei weiteren Gemälden El Grecos; allein sie lohnen schon den Besuch. Für die Durchdringung von dies- und jenseitiger Sphäre im spanischen Barock finden sich viele weitere Beispiele. Etwa „Der heilige Franziskus umarmt den Gekreuzigten“ (um 1620) von Francisco Ribalta: Während sich Franziskus geradezu zärtlich an Jesus‘ Leib am Kreuz schmiegt, setzt dieser ihm mit der rechten Hand – in der noch ein Nagel steckt – eine Dornenkrone auf.
Naturgetreuer Christus-Leichnam
Der Heiland und seine Leiden wurden häufig krass naturalistisch dargestellt. Bildhauer wie Gregorio Fernández verwendeten Glas für die Augen, Elfenbein für die Zähne, Kork für schorfige Wunden und Horn für Nägel, um eine Skulptur des toten Christus im Grab (um 1627) täuschend lebensecht aussehen zu lassen.
Mehrere solcher Figuren ordnete man zu Gruppen an, die bei Prozessionen verwendet wurden: Wie Fernandez‘ „Kreuztragung Christi“ (1614/15) mit fünf Personen, die noch heute in der Karwoche durch die Straßen von Valladolid getragen wird. Das ensemble füllt in der Ausstellung einen ganzen Raum.
Stilmittel für geistliche + weltliche sujets
Die Farbfassung solcher Skulpturen, also ihre Bemalung, war allerdings professionellen Malern vorbehalten. Sie konkurrierten mit den Bildhauern um klerikale Aufträge. Darüber entbrannte der so genannte Paragone-Streit, welche künstlerische Disziplin den Vorrang genieße – ein Anreiz für die Maler, Körper auf der Leinwand denkbar plastisch und realistisch erscheinen zu lassen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Zurbarán – Meister der Details" - grandiose Werkschau des spanischen Barock-Malers Francisco de Zurbarán im Museum Kunstpalast, Düsseldorf
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" - beeindruckende Manierismus-Schau im Städel-Museum, Frankfurt am Main
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Hommage an Caravaggio 1610 – 2010" mit zwei Originalen + Werken der Caravaggisten in der Gemäldegalerie, Berlin
Spektrum der conditio humana
Spaniens „Goldenes Zeitalter“ wurde demnach geprägt von einer herben, kargen, zuweilen düsteren Variante des Barock. Die heiter hellen Farben, beschwingten Formen und verspielten Dekors, die man mit dieser Kunst gemeinhin verbindet, tauchten erst im letzten Drittel des Jahrhunderts auf: auf den Gemälden von Murillo oder Claudio Coello.
Bei all diesen Darstellungen von Heiligen und Bibel-Geschichten muss man sich nur den religiösen Kontext wegdenken: Dann sieht man Szenen eines schonungslosen Verismus, der in der frühen Neuzeit seinesgleichen sucht. Alle Freude und Qualen, Hoffnungen und Ängste ihrer Mitmenschen haben diese Künstler genau beobachtet und so naturgetreu wie möglich festgehalten: Sie breiten das ganze Spektrum der conditio humana aus. Das bringt uns ihre Werke über vier Jahrhunderte hinweg sehr nahe – und macht diese Ausstellung zum überwältigenden Ereignis.