
Diese Gedenk-Ausstellung passt zum Jubilar: 2016 wird die Dada-Bewegung 100 Jahre alt. Anstatt wie andernorts Werdegang und Wirken einzelner Akteure zu würdigen, arbeiten zwei Museen aus den Dada-Geburtsstädten Zürich und Berlin zusammen, um einen bislang kaum beachteten Aspekt zu beleuchten: den Einfluss außereuropäischer Kunst auf die Avantgardisten. Solche Grenzüberschreitungen waren ein Markenzeichen dieser Bilderstürmer.
Info
Dada Afrika -
Dialog mit dem Fremden
05.08.2016 - 07.11.2016
täglich außer dienstags
10 bis 18 Uhr
in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Berlin
Katalog 34,80 €
Ohne Begleitheft unverständlich
Ihre visuell karges arrangement haben die Schweizer Kuratoren zudem in fünf Sektionen mit elf Unterabteilungen gegliedert, die wie puzzle-Teile miteinander verschränkt sind. Eine bemüht überkomplexe Präsentation: Ohne das ausführliche Gratis-Begleitheft begreift man wenig, denn kaum ein Objekt erklärt sich von selbst. Nur selten wird anschaulich vorgeführt, wie Dadaisten exotische Motive aufgegriffen und weiter verarbeitet haben.
Trailer zur Ausstellung mit etlichen Werkbeispielen; © Berlinische Galerie
Dada als erste performance-Kunst
Wobei der Ausstellungs-Titel das Thema lautmalerisch verengt. Der Horizont wichtiger Dada-Vertreter war weiter: Sophie Taeuber-Arp ließ sich von indianischen Katsina-Figuren anregen. Marcel Janco gestaltete Masken nach volkstümlichen Vorbildern aus der Schweiz und Japan. Tristan Tzara sammelte Artefakte aus Ozeanien und verwendete Maori-Liedzeilen für seine Lautgedichte. Es geht also um die Rezeption aller nichtwestlichen Kulturen auf drei Kontinenten, die man damals „primitive“ nannte. Aber „Dada Übersee“ klingt nicht so gut.
Formen und Gestaltung fremdländischer Masken und Skulpturen hatten zuvor schon Kubisten und Expressionisten begeistert und inspiriert. Doch die Dadaisten gingen darüber hinaus, so die These der Macher, indem sie „das ‚Fremde‘ mit dem ‚Eigenen‘ zusammenbrachten“: als „diskursive Verlebendigung der außereuropäischen Ausdrucksformen“. Damit sind etwa Skulpturen aus Alltags-Materialien und Collagen aus Zeitungs-Schnipseln gemeint. Oder Auftritte im Züricher „Cabaret Voltaire“, dem Geburtsort der Bewegung, die vermeintlich an afrikanische Riten angelehnt waren: Dada als erste performance-Kunst.
Mit „Negerplastik“-Buch fängt alles an
Dieser erweiterte Kunstbegriff wird arg überdehnt, wenn Afrika sogar musikalisch Dada-ensembles geprägt haben soll – weil deren Kakophonie für Zuhörer so schräg und unmelodisch klang wie der aufkommende jazz. Der ist zwar auch afro-, aber vor allem -amerikanisch. Dagegen liegen afrikanische Quellen der dadaistischen Bildproduktion deutlich zutage. Maßgeblich war die Pionier-Studie „Negerplastik“, die Carl Einstein 1915 veröffentlichte: Darin analysierte er erstmals die polyperspektivische Ästhetik solcher Kunstwerke.
Schon die erste Ausstellung der Bewegung 1917 in der Züricher Galerie Corray lief unter dem Titel „Dada. Cubistes. Art Nègre“ – ein klares Bekenntnis zur Gleichrangigkeit westlicher Avantgarde und nichteuropäischer Kunst. Diesen Ansatz verfolgte wohl am konsequentesten Hannah Höch. Auf ihren Fotocollagen kombinierte sie häufig beide Sphären miteinander, etwa in der vielteiligen Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ aus den 1920er Jahren.
Rein visuelle Analogien
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hannah Höch: Revolutionärin der Kunst – Das Werk nach 1945" - in der Kunsthalle Mannheim
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo" mit traditionellen, faszinierenden Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Traumanatomie" über die Dada-Pioniere Hugo Ball + Hans Arp im Arp Museum, Remagen
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Afrikanische Meister: Kunst der Elfenbeinküste" - gute Überblicks-Schau des Züricher Museums Rietberg über westafrikanische Kulturen in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Weltkunst – Von Buddha bis Picasso: Die Sammlung Eduard von der Heydt" - opulente Hommage an den Gründungsstifter des Züricher Museums Rietberg im Von der Heydt-Museum, Wuppertal.
Ähnlich verhält es sich bei den meisten Arbeiten. Zwar sorgen Gegenüberstellungen von exotischem Original, zeitgenössischen Reproduktionen und Weiterverarbeitung in Dada-Werken für beliebte Wiedererkennungs-Effekte, doch die Analogien bleiben rein visuell. Die Dadaisten kannten Afrika nur aus zweiter Hand; eine vertiefte Beschäftigung mit dem schwarzen Kontinent blieb aus. Romantischer Rousseauismus prägte ihre Vorstellungen: als Gegenmodell zur europäischen Zivilisation, die im Ersten Weltkrieg zerfiel.
Nagel-Fetisch + Hausmann-Kopf
So imponierte Marcel Janco an afrikanischen Kunstwerken „das unbewusste Können, der ehrliche, primäre, reine Erlebnisausdruck“. Er sah ein „Handwerk, so intensiv und echt, dass alles, was sie bauen, die Gerüche des Blutes, die Farbe des Lebens und die Form der Ewigkeit hat“. Diese vitalistische Blut-und-Kunsthandwerk-Auffassung war sicher humaner, aber kaum weniger schlicht als die Variante, die in Deutschland nach 1933 propagiert wurde.
Insofern übertreibt die Ausstellung, wenn sie eine Inspirationslinie von minkisi-Figuren aus dem Kongo zum berühmten „Mechanischen Kopf“ (1919) von Raoul Hausmann zieht. Fetische, in die man Nägel einschlug, damit ihnen innewohnende Kräfte entweichen können, folgen ganz anderen Gestaltungsprinzipien als Hausmanns assemblage aus objets trouvés.
Erlaubt war, was Eindruck machte
Die Dadaisten eigneten sich unvoreingenommen exotische Ausdrucksformen an und nutzten sie für ihre Zwecke: Erlaubt war, was Eindruck machte. Ihnen aber mit heutiger politischer Korrektheit tiefe Einsichten in archaische Kulturen oder gar einen „Dialog mit dem Fremden“ zu unterstellen, geht zu weit: Sie waren antikolonialistisch, doch keine Afrika-Versteher.