Nicht ohne meine Pfeife: Auf 23 der 29 Selbstbildnisse, die Max Pechstein (1881-1955) im Laufe seines Malerlebens von sich angefertigt hat, steckt ihm eine Pfeife im Mund. Ob sie munter qualmt oder ausgegangen ist, keck gereckt wird oder resignierend herabhängt – daraus lässt sich ablesen, wie es dem Künstler in der jeweiligen Phase erging. Ein Rauch-Utensil als Stimmungs-Barometer.
Info
Max Pechstein -
Künstler der Moderne
20.05.2017 - 03.09.2017
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Hamburg
Katalog 26 €
Schwerpunkt vor Erstem Weltkrieg
Das zeigt diese Retrospektive mit rund 70 Gemälden und Arbeiten auf Papier im Bucerius Kunst Forum. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Berliner Brücke-Museum, wo sie 2015/6 etwas umfangreicher zu sehen war; sie betrachtet vor allem Pechsteins Werk vor und im Ersten Weltkrieg. Seine Erfolgsjahre in den 1920ern, als er Kunstprofessor und Akademiemitglied war, und seine „innere Emigration“ nach 1933 sind nur punktuell mit Einzelbeispielen vertreten.
Impressionen der Ausstellung
Meistgereistes „Brücke“-Mitglied
Wie der leicht triviale Untertitel „Künstler der Moderne“ andeutet, vertritt die Schau keine neue Sichtweise oder ambitionierte These; sie will nur einen konzentrierten Überblick über Pechsteins œuvre bieten. Durchaus kompetent – dennoch würde man sich ausführlichere Erläuterungen zu Werkphasen oder seiner Stellung innerhalb der „Brücke“ wünschen. Allein der Katalog arbeitet im Vergleich mit Bildern von Kollegen und Konkurrenten das Spezifische von Pechsteins Schaffen anschaulich heraus.
Anders als die Großbürgersöhne Kirchner, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rotluff kam Pechstein aus einfachen Verhältnissen. Seine Kindheit in der sächsischen Industriestadt Zwickau flößte ihm unstillbare Sehnsucht nach schlichtem Dasein in unberührter Natur ein. So wurde er zum „Brücke“-Mitglied, das am meisten reiste: nach Frankreich und Italien oder an der Ostseeküste bis ins Baltikum. 1914 steuerte er gar das Südsee-Archipel Palau an, damals eine deutsche Kolonie.
Japanischer Kriegsgefangener im Pazifik
Diese Weltläufigkeit schlug sich motivisch und stilistisch in seinen Bildern nieder. 1907/8 lernte er in Paris Strömungen wie Neoimpressionismus und Fauvismus kennen. Dessen strahlende Farbigkeit übernahm er: Seine Badeszenen und Akte sehen deutlich geschmeidiger aus als die eckig zugespitzten Formen von Heckel und Kirchner, mit denen er gemeinsam 1910 an den Moritzburger Teichen nördlich von Dresden malte. Zugleich wirken die Posen seiner Bildfiguren oft etwas gestellt und auf gefälligen Eindruck bedacht.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "ImEx – Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende" mit Werken von Max Pechstein in der Alten Nationalgalerie, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Farbenmensch Kirchner" - gelungene Werkschau vom Brücke-Mitbegründer Ernst Ludwig Kirchner in der Pinakothek der Moderne, München
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Karl Schmidt-Rottluff - Bild und Selbstbild" - große Retrospektive des Expressionisten in Wiesbaden + Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Emil Nolde – Retrospektive" - exellente Überblicks-Schau im Städel Museum, Frankfurt/ Main.
Klischees von Eingeborenen-Exotik
Zurück in Europa, wurde Pechstein zur deutschen Armee eingezogen. Erst ab 1917 konnte er sein Südsee-Abenteuer malerisch ausbreiten: mit schwungvollen Kompositionen in leuchtenden Farben, die Realität und Fiktion vermischen. Vor prägnant skizzierter Tropen-Fauna tummeln sich sehnige, fast nackte Gestalten in erotisch anmutenden Konstellationen. Solche schwülen Klischees von unbeschwerter Eingeborenen-Exotik kamen im zerrütteten Nachkriegs-Reich, das soeben seine Kolonien verloren hatte, gut an.
Offenbar war Pechstein ohnehin am produktivsten, wenn er sich in die Einsamkeit kaum besiedelter Küsten zurückzog. Dort ergriffen ihn wahre Schaffensräusche: ob im ligurischen Monterosso al Mare, in Nidden/ Nida auf der Kurischen Nehrung, wo er sechs Sommer verbrachte, oder in der Gegend um den Lebasee nordwestlich von Danzig, in die er sich in den 1930/40er Jahren oft zurückzog.
Ansichten nicht von dieser Welt
Hier malte er psychedelisch gleißende Sonnenuntergänge, wie gefroren erscheinende Fischerboote und menschenleere Katen. Kühne Perspektiven, kräftige Falschfarben und harte Helldunkel-Kontraste lassen diese Bilder zugleich verführerisch und abweisend wirken – als seien diese Ansichten nicht von dieser Welt. Da hatte Pechstein die geläufigen Bildformeln des Expressionismus längst hinter sich gelassen; sein düster funkelndes Spätwerk hätte eine Retrospektive verdient, die allein ihm gewidmet ist.