
Zum Auftakt das Frankfurter Städel Museum, nun die Berlinische Galerie; im September wandert die Schau in die Kunsthalle zu Kiel. Diese regelrechte Deutschland-Tournee für das Werk von Lotte Laserstein (1898-1993) ist gewissermaßen auch ein Akt der Wiedergutmachung; lange Zeit war die Malerin, die 1937 ins schwedische Exil gegangen war, hierzulande praktisch vergessen.
Info
Lotte Laserstein –
Von Angesicht zu Angesicht
05.04.2019 - 12.08.2019
täglich 10 bis 18 Uhr
in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, Berlin
Katalog 39,90 €
21.09.2019 - 19.01.2020
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
mittwochs bis 20 Uhr
in der Kunsthalle, Düsterbrooker Weg 1, Kiel
Mehr als Bubikopf + Krawatte
Vor allem aber wirft Laserstein einen ganz eigenen Blick auf ihre Zeitgenossinnen in den 1920er Jahren. Ähnlich wie ihre Künstler-Kollegin Jeanne Mammen führt sie die Geschlechterrollen in der Weimarer Republik vor und fragt nach den Charakteristika der „Neuen Frau“, von der damals so oft die Rede war. Es braucht mehr als Bubikopf, Herrenhemden und Krawatte, um traditionelle Geschlechter-Klischees auszuhebeln – das machen Lasersteins subtile Darstellungen deutlich.
Nach dem frühen Tod ihres Vaters zieht das Mädchen Lotte mit ihrer Mutter und Schwester zur Großmutter nach Danzig; ab 1909 wird sie von ihrer Tante in deren kleiner Kunstschule unterrichtet. Das Aufwachsen in kreativer und rein weiblicher Umgebung befördert wohl ihr künstlerisches Selbstbewusstsein: Frauen können malen – obwohl sie bis Ende des Ersten Weltkriegs keine Kunsthochschulen besuchen dürfen. Ab 1919 nimmt Lotte Laserstein Privatunterricht, zwei Jahre später studiert sie an der Berliner Kunstakademie, wo sie 1925 Meisterschülerin von Erich Wolfsfeld wird. Dessen gemäßigt moderner Realismus prägt ihren eigenen Stil entscheidend.
Feature zur Ausstellung. © Städel Museum
Den Malvorgang malen
1927 schließt sie ihr Studium ab und bezieht ein eigenes Atelier. Wie sie arbeitet, zeigen ihre Bilder: Eine junge Künstlerin beugt sich über die Staffelei, das kinnkurze Haar hinters Ohr gestreift. Kritisch schaut ihr eine zweite Frau über die Schulter; sie steht breitbeinig mit kariertem Rock schräg im Bild. Durch ein Dachfenster fällt von hinten Streiflicht auf die gespannte, raumgreifende Doppelfigur der beiden Körper. „Zwei Mädchen“, lautet der Bildtitel lapidar. Dass sich Laserstein selbst bei der Arbeit zeigt, verrät ihre Physiognomie. Immer wieder hat sie sich und ihr Metier reflektiert: Sie malt den Vorgang des Malens.
In Endauswahl um schönste Frau
Zum Lieblingsmodell wird ihre vertraute Gefährtin Traute Rose; beide lernen sich 1925 kennen. Die Malerin und ihre Muse: Was man x-fach aus männlicher Perspektive kennt, formuliert Laserstein neu und anders. Auf einem Doppelbildnis legt Traute der Künstlerin behutsam eine Hand auf die Schulter. Man meint, erotische Untertöne in der körperlichen und emotionalen Nähe der beiden Frauen zu spüren – zumal das Modell häufig nackt ist. Doch laut Kuratorin Annelie Lütgens gibt es keine Belege, dass beide mehr verband als enge Freundschaft. Für diese These spricht, dass Laserstein auch Trautes Ehemann Ernst häufig porträtiert hat.
1928 feiert die Malerin einen Erfolg: Beim Wettbewerb um das „Schönste deutsche Frauenporträt“, den eine Kosmetikfirma auslobt, kommt ihr kleinformatiges Bild „Russisches Mädchen mit Puderdose“ in die Endauswahl, die als Wanderausstellung durch das Reich tourt. Ihr Beitrag ist an der berühmten „Venus mit Spiegel“ (1515) des Renaissance-Malers Giovanni Bellini orientiert und führt zugleich ein aktuelles Schönheitsideal vor. Gespür für modischen Schick hat Laserstein ohnehin: Jeder Kragenschnitt, Rocksaum oder Schuhriemen ihrer Modelle sitzt. Aber das bleibt Nebensache; eigentlich geht es ihr um die Malerei selbst.
Keine Avantgarde-Experimente
Sachlich und sinnlich zugleich spiegeln ihre Werke einen eindringlichen Blick auf die damalige Gegenwart. Dabei bedient Laserstein nicht den Mythos der hektischen Großstadt Berlin mit ihrem schillernden Vergnügungsbetrieb. Oft ziehen sich ihre Sujets in ruhige Interieurs zurück, um mit Spiegelflächen oder Sichtbarrieren raffinierte Bildräume und Blickbeziehungen aufzuspannen.
Ihre Pinselstriche sitzen breit und locker, schichten sich zu sorgfältig durchgearbeiteten Farbverläufen und formen delikate Licht- und Schattenpartien. Handwerklich macht ihr niemand etwas vor. Doch die forcierten Experimente der Avantgarden wie Expressionismus oder Abstraktion sind ihre Sache nicht. Warum sollte sie künstlerische Traditionen über Bord werfen, obwohl sie damit immer noch einen vielschichtigen Reflexionsraum ihrer Gegenwart schaffen kann? Auf ihre Art ist Laserstein eine Malerin des modernen Lebens – anders als Kollegen der „Neuen Sachlichkeit“, aber ihnen ebenbürtig.
Psychogramm der Republiks-Agonie
Einen Motorrad-Fahrer in Lederkluft lässt sie breitbeinig vor seiner Maschine posieren: Inbild einer Generation im Aufbruch. Eine schlanke, trainierte Tennisspielerin – abermals Traute Rose – pausiert im adrett gestreiften Sportdress mit Sonnen-Cap lässig am Spielfeldrand: als aufmerksame Beobachterin des Geschehens. In Lasersteins Gemälden sind Frauen nie bloß Objekte, sondern stets selbstbewusste Akteurinnen – selbst wenn sie nur Blicke aussenden. Das zeigen besonders deutlich die zahlreichen Selbstporträts unter den rund 60 Gemälden der Ausstellung: Lasersteins wacher, fast durchdringender Blick macht sie unverkennbar.
1930 vollendet sie ein großes Gemälde, an dem sie zwei Jahre lang arbeitete: „Abend über Potsdam“, heute im Besitz der Nationalgalerie, darf als Psychogramm der Agonie der Weimarer Republik gelten. Auf einer Dachterrasse haben sich am langen Tisch fünf junge Erwachsene versammelt, ganz links Traute und Ernst Rose – quasi zu einer weltlichen Abendmahls-Szene. Alle schweigen, schauen aneinander vorbei oder sinnierend ins Leere; die Biergläser sind halbleer, die Reste eines kargen Mahls liegen auf der Tischplatte. Die Stimmung changiert zwischen herber Melancholie und Ernüchterung: Was tun?
Neue Heimat Schweden
1931 erlebt Laserstein noch ihre erste große Einzelausstellung in der Berliner Galerie von Wolfgang Gurlitt; er sollte später für die Nazis „entartete Kunst“ ins Ausland verkaufen. Nach der NS-Machtergreifung hat die getaufte und assimilierte Jüdin zunehmend unter Repressalien zu leiden: 1935 muss sie ihre private Kunstschule schließen, womit ein Teil ihres Einkommens wegfällt. 1937 nutzt sie die Einladung einer Stockholmer Galerie, um nach Schweden zu emigrieren; dort erhält sie im Folgejahr durch eine Scheinehe die Staatsbürgerschaft. Dagegen wird ihre Mutter 1943 im KZ Ravensbrück ermordet; ihre Schwester überlebt die NS-Verfolgung in einem Versteck.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" - mit Werken von Lotte Laserstein in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz” mit Werken von Lotte Laserstein in Berlin + Wien
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Jeanne Mammen: Die Beobachterin" - große Retrospektive der neusachlichen Künstlerin in der Berlinischen Galerie, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Menschliches - Allzumenschliches - Die Neue Sachlichkeit im Lenbachhaus" - in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München
Nachkriegswerk kommt kaum vor
Zumal diese Bilder in ihrer Machart zwar eine gewisse Routine verraten, doch keinen Verfall ihrer malerischen Fertigkeiten. Leider werfen nur eine Handvoll Exponate, etwa das Bildnis des Dirigenten Otto Klemperer von 1947, ein Schlaglicht auf ihr umfangreiches Nachkriegswerk. Da verengt den Kuratoren offenbar ihr Lokalpatriotismus, fixiert auf das Berlin der 1920/30er Jahre, den Horizont.
Die Wiederentdeckung der Künstlerin Lotte Laserstein beginnt 1987 in einer Londoner Galerie; daher stammen manche Leihgaben in der Schau aus britischen Privatsammlungen. Die erste ihr gewidmete Retrospektive in der Bundesrepublik richtet 2003 das Berliner „Verborgene Museum“ aus, das auf Kunst von Frauen spezialisiert ist.
20er-Jahre-Gesichter im Vergleich
Lasersteins Hauptwerke aus der Berliner Zeit werden hervorragend ergänzt durch die Begleitausstellung „Gesichter der Zwanziger Jahre“ mit 30 Beispielen aus dem hauseigenen Bestand von George Grosz, Otto Dix, Otto Herbig und anderen: Sie führt anschaulich vor, wie vielfältig und variantenreich in der kurzlebigen Weimarer Republik gemalt wurde – die „Neue Sachlichkeit“ war nur eine unter mehreren populären Strömungen.
Im direkten Vergleich wird deutlich, wie nuanciert und ausdrucksstark Lasersteins Malkultur wirkt: Sie hätte vermutlich eine markante und viel beachtete Position im hiesigen Kunstbetrieb eingenommen, wäre sie nicht aus Deutschland vertrieben worden.