Riehen bei Basel

Goya

Francisco de Goya: Bekleidete Maya (La maja vestida), 1800-1807 Öl auf Leinwand 95 x 190 cm Museo Nacional del Prado, Madrid © Photographic Archive. Museo Nacional del Prado. Madrid
Ein Hofmaler, der vor Darstellungen grässlichster Grausamkeiten nicht zurückschreckte: Francisco de Goya war der wohl widersprüchlichste Künstler um 1800. Das zeigt die opulent bestückte Werkschau, die ihm die Fondation Beyeler ausrichtet.

Die liegende „Maja“ flirtet provokant. König Carlos IV. spreizt sich mit dümmlichem Gesichtsausdruck und dicklichem Leib in roter Robe. Selbst ein paar blutige Lachsscheiben geraten, wenn Goya (1746-1828) sie malt, zu einem Schaustück, das einen frösteln lässt. Goyas Malerei ist körperlich stets immens präsent. Zugleich steckt sie voller sinnbildhafter Anspielungen, emotionaler Untertöne und kritischer Ambivalenzen. Wohl kein anderer Künstler um 1800 hat Widersprüchlichkeit derart zum Programm gemacht.

 

Info

 

 

Goya

 

10.10.2021- 23.01.2022

täglich 10 bis 18 Uhr,
mittwochs bis 20 Uhr
in der Fondation Beyeler,
Baselstraße 101, Riehen/Basel

 

Katalog 72 CHF

 

Website zur Ausstellung

 

Die meisten Exponate stammen aus dem Prado in Madrid; dazu kommen Beiträge von Privatsammlern und US-Museen. So kann die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel stolz die größte Goya-Schau seit langem annoncieren. Was diesen Künstler so spannend macht, erhellt sich erst, wenn man sein ganzes Schaffen in den Blick nimmt: Dann werden die schillernden Facetten, Reibungs- und Fliehkräfte seines eigensinnigen Œuvres deutlich.

 

Vier Könige überlebt

 

Der ehrgeizige Goya stieg als Erster Hofmaler an die absolute Spitze der offiziellen Karriereleiter empor. Aber er war auch ein Eigenbrötler, der nichts so sehr liebte wie seine Freiheit; dabei sparte er nicht mit scharfen Seitenhieben auf Kirche, Politik und Gesellschaft. Dass er sich sowohl unter vier spanischen Königen und als auch während Napoleons Fremdherrschaft im Sattel halten konnte, spricht für sein Talent, sich verschiedenen Herren anzudienen.

Engl. Feature zu Goyas Leben + Werk; © Sarah Bianchi


 

Sohn eines Dorf-Vergolders

 

Seit Edouard Manet ihn Mitte des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt hat, gilt Goya als ein Lieblingsmaler moderner und zeitgenössischer Künstler. Doch letztlich kann jeder sich seinen eigenen Goya herauspicken: Er bietet klassisch altmeisterliche Malerei, stößt aber auch die Tür zu den Unsicherheiten und Provokationen der Moderne auf. Ein abschließendes, eindeutiges Urteil über Goya gibt es auch nach dieser Ausstellung nicht.

 

Sich selbst hat der unweit von Saragossa geborene Sohn eines Vergolders immer wieder gemalt. Drei der berühmtesten Selbstporträts sind in Basel zu sehen: Sie changieren zwischen Selbstdarstellung und Befragung des eigenen Ego. Das frühe „Autorretrato“ zeigt den Künstler mit etwa Mitte dreißig mit dunkler Löwenmähne und locker aufgeknöpftem Jackett. Goya steht kurz vor seiner ehrenvollen Berufung in die königliche Akademie der Künste in Madrid. Das mühsame Sich-Hinaufarbeiten als Kirchenmaler und Entwerfer von Tapisserien im Rokoko-Stil lassen die Kuratoren weitgehend außen vor.

 

Freimütige Adels-Familienporträts

 

So lernt man Goya gleich als Mann der doppelbödigen Bildbotschaften kennen. Himmelhoch schleudern die lachenden Frauen auf einem seiner Kartonvorlagen für Teppiche eine hilflose Gestalt mit Hilfe eines aufgespannten Tuchs: Es ist nur eine Strohpuppe. Doch es steckt ein Quäntchen Brutalität im Treiben der Weiberwelt. Jahrzehnte später wird der Künstler dasselbe Motiv zu einer grotesken Persiflage auf die klassischen Geschlechterrollen ausreizen: nun im Medium der Aquatinta-Radierung, einer von Goyas Spezialitäten.

 

Zunächst aber hält sich der vielseitige und strebsame Maler an die klassische Ölmalerei und stellt dar, was man von einem Künstler seiner Zeit erwartet. Der Infante Don Luis, ein greiser Bruder des Königs, lässt sich von Goya nebst Hofstaat und Familie malen. Mit Konventionen der höfischen Porträtkunst springt der Maler dabei freimütig um. Die Höflinge grinsen, posieren und langweilen sich, währender der Infante stoisch Patiencen legt. Goya selbst hockt vorne in niedriger Stellung auf einer Kiste, Pinsel und Palette im Anschlag: Er zieht als Regisseur die Fäden. Die Anspielung auf das Hofporträt „Las Meninas“ (1656) vom bewunderten Diego Velazquez ist offensichtlich. An ihm wird sich Goya sein Leben lang reiben. 

 

Ab 1793 war Goya taub

 

Kaum hat er es zum Hofmaler gebracht und reiche Mäzene aus aufgeklärten Adelskreisen auf sich aufmerksam gemacht, da reißt ein Schicksalsschlag den Künstler aus der Bahn. Auf einer Andalusienreise 1793 erkrankt Goya schwer und verliert für immer sein Gehör. Die Krise spiegelt sich in düsteren, schwer zu deutenden Bildern, die nun entstehen. Als einer der ersten Künstler überhaupt holt Goya die Kräfte des Irrationalen und die Untiefen der menschlichen Psyche auf die Bildbühne.

 

Schaurige Kabinettbilder wie den „Hexensabbath“ hängte sich die Herzogin von Osuna ins Schlafgemach: Gruseln war in. Auch unter den aufgeklärten Intellektuellen, die sich über den Aberglauben im Volk lustig machten und dagegen die Vernunft ins Feld führten. Goya kam durch seine Freunde und Auftraggeber mit der anregenden Geisteswelt dieser reformwilligen Oberschicht in Kontakt.

 

Druckplatten dem König schenken

 

Von nun arbeitete Goya verstärkt an seiner künstlerischen Freiheit. Ein Coup waren die berühmten „Caprichos“ („Launen“ oder „Einfälle“) mit dem epochalen Blatt „Der Schlaf (oder Traum) der Vernunft bringt Ungeheuer hervor“ – eine der am häufigsten zitierten und zugleich vieldeutigsten Darstellungen der Kunstgeschichte. Seine ätzend satirischen und gesellschaftskritischen Aquatinta-Radierungen ab 1799 waren so doppelbödig, dass schon die Zeitgenossen anfingen, erklärende Kommentare zu verfassen. Auf den Rat von Freunden zog Goya die heiklen Blätter wieder zurück. Später schenkte er die Druckplatten schlitzohrig dem König und brachte sie so vor der Zensur in Sicherheit.

 

Trotz der legendären „Caprichos“ schätzten ihn seine Zeitgenossen vor allem als Porträtmaler. Er schuf Bildnisse seiner Freunde, aber auch an starken Frauen fehlt es nicht. Herrisch und kapriziös steht die Herzogin von Alba in freier Landschaft. Fast selbstgefällig posiert sie mit ihrem winzigen Schoßhündchen: Dass Goya eine Affäre mit ihr hatte, halten die Kuratoren für unwahrscheinlich. Der Standesunterschied zwischen dem Handwerkersohn und der Hochadligen sprechen dagegen.

 

Kannibalen-Häutung + Gatten-Mord

 

Erotische Untertöne sind dafür umso spürbarer im nächsten Abschnitt. Da räkelt sich höchst selbstbewusst die „Maja vestida“, bedauerlicherweise ohne ihr hüllenloses Gegenstück. Beide, die nackte und die bekleidete Maja, führte der Emporkömmling Manuel Godoy, in eitler Feldherrnpose ebenfalls auf einem Bild zugegen, ausgewählten Besuchern in einem geheimen Kabinett vor. Die „Majas auf dem Balkon“, die über ihre Brüstung hinweg mit dem Betrachter liebäugeln, kamen zu Goyas Lebzeiten nicht in die Öffentlichkeit: Er behielt sie für sich. Um so inspirierender fand Edouard Manet solche modernen Alltagsszenen.

 

Danach folgen Aggression, Verbrechen und Horror. Erstmals komplett zu sehen sind acht gewalttätige Kabinettbilder aus dem Besitz des Marqués de la Romana. Da wird in schummrigem Halbdunkel und harten Helldunkel-Kontrasten gemordet, gemetzelt und geschossen. Kannibalen enthäuten gewissenhaft ihre hellhäutigen Opfer, sich geißelnde Flagellanten ziehen durch die Straßen. Eine Ehefrau befördert gemeinsam mit ihrem Liebhaber ihren Gatten ins Jenseits. Ähnliche Schreckensbilder sah Goya während des spanischen Befreiungskrieges gegen die napoleonischen Besatzer ab 1808.

 

Letzte Jahre in Bordeaux

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Goya, Fragonard, Tiepolo - Die Freiheit der Malerei" - mit Werken von Francisco de Goya in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Constable, Delacroix, Friedrich, Goya: Die Erschütterung der Sinne" mit Werken von Francisco de Goya im Albertinum, Dresden

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung "Schwarze Romantik: Von Goya bis Max Ernst"  - mit Werken von Francisco de Goya im Städel Museum, Frankfurt

 

Was von den bizarren Szenen in seinen Skizzenalben Alltagsbeobachtung und was Satire oder reine Phantasie war, lässt sich heutzutage kaum noch feststellen. Dies gilt auch für die brutalen Gewaltfantasien der Grafikserie „Desastres de la Guerra“ („Grauen des Krieges“, 1810-14); sie führen eine geradezu perverse Lust des Künstlers an grausamen Details vor. Dass manche Kunsthistoriker ihn zum antifranzösischen Freiheitskämpfer stilisierten, gilt mittlerweile als überholt. Goya bezieht nie eindeutig Position. Das macht seine Werke so irritierend und manchmal unangenehm.

 

Sich selbst zeigt er auf seinem letzten Selbstbildnis 1820 sterbenskrank in den Armen seines Arztes, mit dem er den christlichen Heilsversprechen eine Absage erteilt. Ihn rettet nur die fachkundige Fürsorge seines Arztes. Unverwüstlich brach der hochbetagte Goya 1824 noch einmal nach Bordeaux auf, wo er seine letzten Jahre im Exil verbrachte. Dort zeigte er sich neugierig und entdeckerfreudig; bis zum Schluss reizte es ihn, neue Medien auszuprobieren.

 

Die erst wenige Jahre zuvor in Paris und Madrid bekannt gewordene Technik der Lithografie nutzte Goya für seine letzte Grafikreihe, die „Tauromaquia“ („Stierkampfszenen“). Er hoffte, damit einen Verkaufsschlager zu landen – und irrte sich gründlich. Aber künstlerisch zeigt Goya sich in diesem wirbelnden, dynamischen Corrida-Szenen immer noch auf der Höhe seiner Kunst: Sie wirken wie mit raschen Strichen auf die Druckplatte gebannte Momentaufnahmen.