Basel

When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei

Zandile Tshabalala: Two Reclining Women, 2020, © bei der Künstlerin, Courtesy of the Maduna Collection, © Zandile Tshabalala Studio. Fotoquelle: Kunstmuseum Basel
Wir schwelgen in dem Augenblick, in dem uns allen ein Denkmal gesetzt wird: Das Kunstmuseum zeigt eine üppig bestückte Ausstellung aus Südafrika über figurative Malerei von Schwarzen. Sie geizt mit Infos über Künstler und Kontext – stattdessen feiert sie hymnisch ein kollektives Lebensgefühl.

Überraschender könnte der erste Eindruck kaum sein. Davon abgesehen, dass Bilder an der Wand hängen, erinnert wenig an geläufige Kunstausstellungen. Immerhin geht es um „hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei“. Bei einem so ambitionierten Vorhaben würde man eine detaillierte Gliederung erwarten, um das Thema aufzuschlüsseln: chronologisch, nach Schulen oder Stilen geordnet, oder auch nach Regionen. Schließlich bedeutet „panafrikanisch“ im Verständnis der Kuratorinnen: alle Länder mit schwarzer Bevölkerung, also auch die USA, Karibik, Brasilien, Großbritannien und Frankreich – die engen und vielschichtigen kulturellen Wechselbeziehungen zwischen diesen Räumen nennt man „Black Atlantic“.

 

Info

 

When We See Us - Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei

 

25.05.2024 - 24.11.2024

 

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum Basel / Gegenwart am St. Alban-Rheinweg Nr. 60, Basel

 

Katalog 59 CHF

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Denkste: Um Stereotypen der Unterdrückung und Leiderfahrung von Schwarzen zu vermeiden, teilen die Kuratorinnen ihre Schau in „sechs Kapitel des alltäglichen Lebens auf“. Als da wären: „Triumph und Emanzipation, Sinnlichkeit, Spiritualität, Alltag, Freude und Ausgelassenheit, Ruhe“. Erläutert oder begründet werden sie nicht, auch nicht im Katalog. Wo normalerweise vertiefende Aufsätze zu kunsthistorischen Aspekten geboten werden, findet man sehr subjektive Essays und Gedichte zeitgenössischer Autoren; mal im Tagebuch-, mal im Märchenton verfasst.

 

„Wir sind die Größten der Welt“

 

Stattdessen werden alle sechs Kapitel durch einen anonymen Kurztext eingeleitet, der hymnisch die Freuden schwarzen Daseins feiert: „Unser alltägliches Leben steckt voller Schönheit“ zählt da noch zu den nüchternsten Aussagen. „Unsere Zärtlichkeit eröffnet neue Dimensionen und kennt keine Grenzen“ klingt da schon viel versprechender. „Wir wissen, wie man feiert. Wie wir uns den Wogen unserer Ausgelassenheit hingeben – das muss man wirklich gesehen haben“ versteht sich da von selbst, denn: „Wir sind die Größten der Welt, und die Mutigsten sind wir auch. Unser Triumph macht uns unbezwingbar und lässt uns siegestrunken zurück.“

Impressionen der Ausstellung; © Vernissage TV


 

Für Südafrikas Mittelklasse konzipiert

 

Was in einem europäischen Museum befremdlich und deplatziert klingt, wird mit Blick auf seine Herkunft verständlicher. Die Ausstellung entstand für das „Zeitz MOCAA“ in Kapstadt. Das vom deutschen Manager und Sammler Jochen Zeitz mitgegründete Haus ist nach eigenen Angaben „das weltweit größte Museum für afrikanische Gegenwartskunst“. Dort wurde „das größte Ausstellungs- und Publikationsprojekt seiner Art, das jemals in Afrika stattgefunden hat“, vom November 2022 bis September 2023 gezeigt. In einer um rund ein Drittel verkleinerten Version mit etwa 150 Werken von 120 Künstlern ist die Schau nun in Basel zu sehen.

 

Ihr Konzept zielte also ursprünglich auf ein südafrikanisches, also mehrheitlich schwarzes Publikum. Genauer: auf vergleichsweise gut situierte, für Hochkultur empfängliche Schwarze; township-Bewohner gehen selten in Ausstellungen. Die schwarzafrikanische Mittelklasse hat es seit langem satt, mit Elend und Bedürftigkeit assoziiert zu werden. Stattdessen möchte sie ihre Leistungen und ihren Status gewürdigt wissen – daher legen die Kuratorinnen eine penetrant positive Weltsicht an den Tag. Nöte und Probleme kommen in ihrer Schau nicht vor.

 

Wohlfühl- und Mutmach-Veranstaltung

 

Zugleich verwenden sie einen simplen rhetorischen Trick, indem sie alles in der ersten Person Plural formulieren. À la ‚wir sind super und werden immer besser‘ – wer wollte da widersprechen? So sprechen afrikanische Prediger und Politiker gern zu ihrem Publikum. Das ständige Beschwören einer fiktiven Gemeinschaft ohne innere Konfliktlinien erfüllt zwei Funktionen: Erstens erlaubt es dem Redner an der Spitze, zu definieren, wer „wir“ sind und was „wir“ wollen. Zweitens schließt es jeden aus, der Widerspruch anmeldet: Solche Nörgler und Zweifler stören nur die Gruppenharmonie. Ähnlich treten populistische Wortführer weltweit auf.

 

Diese üppig bestückte Überblicksschau ist also interessant vor allem wegen ihrer Konzeption, die von dem, was im Westen üblich ist, deutlich abweicht. Es geht ihr nicht darum, Werke schwarzer Künstler in die Kunstgeschichte der früheren Kolonialmächte einzufügen, indem sie Einflüsse und Strömungen beschreibt und dabei rational argumentiert, wie es Kunsthistoriker tun. Sondern um ein radikal anderes Verständnis von Ausstellung: als emotionale Wohlfühl- und Mutmach-Veranstaltung, die dem Selbstwertgefühl der eigenen Klientel schmeicheln soll – ein kollektives Schulterklopfen.

 

Qualität + Herkunft sind nachrangig

 

Das erklärt, warum viele Kategorien herkömmlicher Ausstellungen hier keine Rolle spielen oder schlicht ignoriert werden. Etwa das Kriterium künstlerischer Qualität: Neben Meisterwerken von Klassikern der Nachkriegsmoderne wie dem Brasilianer Wilfredo Lam oder Stars der Gegenwartskunst wie Kehinde Wiley, Chris Ofili und Lynette Yiadom-Boakye finden sich dilettantische Pinseleien, etwa zotige Karikaturen des Senegalesen Aboubacar Diané oder infantiles Gekleckse des Kenianers Nicholous Njau. Außer der Hautfarbe ihrer Schöpfer verbindet sie nichts.

 

Zudem versuchen die Kuratorinnen gar nicht erst, dem im Untertitel erhobenen Anspruch gerecht zu werden, einen Überblick über einhundert Jahre „panafrikanischer“ Malerei zu bieten. Die meisten Werke stammen aus dem vergangenen Vierteljahrhundert, viele aus den letzten Jahren, die frühesten sind fast ausschließlich von US-Künstlern. Was die Frage aufwirft, wie sinnvoll es ist, das Schaffen afrikanischer Maler – die häufig unter extrem widrigen Bedingungen arbeiten – auf eine Stufe mit dem von schwarzen Künstlern zu stellen, die an Kunsthochschulen in Industriestaaten ausgebildet wurden und im dortigen Kunstbetrieb reüssierten. Im Vergleich zu letzteren wirken viele Arbeiten aus Afrika naiv und zweiklassig; was deutlich macht, wie zweifelhaft die These von kultureller Übereinstimmung zwischen Afrikanern und Schwarzen in der Diaspora ist.

 

Gemalte Minderwertigkeitskomplexe

 

Mit solchen Kleinigkeiten halten sich die Kuratorinnen nicht auf: Ihnen geht es um die Darstellung von Selbstbewusstsein. Deshalb verengen sie figurative Malerei – die ja weit mehr umfasst als nur Abbildungen von Personen – vornehmlich auf Porträts, und wählen bei diesen vorwiegend repräsentative aus, wie man sie von Fürsten und Firmenlenkern kennt. Mitsamt der einschlägigen Statussymbole, also schicker Designer-Kleidung, teurer Möbel und Luxusautos. Solches Protzen ist auch in der HipHop-Kultur üblich.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "The Culture – Hip-Hop und zeitgenössische Kunst im 21. Jahrhundert" über schwarze US-Gegenwartskultur in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/ Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Kunst aus Nigeria: Uche Okeke + Nsukka School" erste deutsche Retrospektive des bedeutenden zeitgenössischen Künstlers und seiner Schule im Iwalewahaus, Bayreuth

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Solch ungeahnte Tiefen – This undreamt descent" – beeindruckende Retrospektive der kenianischen Künstlerin Wangechi Mutu in der Kunsthalle Baden-Baden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Göttliche Komödie" über "Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler" - gute Themen-Schau im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/ Main

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung  "Ikonen Was wir Menschen anbeten" facettenreiche Themenschau mit Porträts von Kehinde Wiley in der Kunsthalle Bremen.

 

Auch wenn vielen der Künstler das fern liegen mag: In dieser geballten Zusammenstellung wirkt es wie die Renommiersucht von Emporkömmlingen, die einen Minderwertigkeitskomplex verrät, trotz materiellen Wohlstands noch nicht zum Establishment zu zählen. In die gleiche Richtung weist die häufig zu lesende Beteuerung, man wolle sich nicht ständig mit der Leidensgeschichte von Schwarzen befassen, sondern sie endlich hinter sich lassen – was offensichtlich nicht gelingt, wenn man sich und andere so oft daran erinnern muss.

 

Lieblos aufgelistete Stichworte

 

Erfolgreich überwunden haben die Kuratorinnen hingegen die Kernaufgabe einer Ausstellung: Alle Informationen zu kulturellen Ereignissen und Tendenzen werden lieblos in Stichworten auf drei Schauwänden zusammengestaucht. Verständlich, denn die Fliegenbeinzählerei der Kunstgeschichte liegt ihnen nicht. Der Katalog listet ebenso nur Kürzestbiographien aller vertretenen Künstler auf und enthält sich aller weiterführenden Angaben.

 

Natürlich lassen sich in der Fülle des Gezeigten etliche Entdeckungen machen: Werke, die durch Originalität und individuelle Handschrift beeindrucken. Etwa „Turbulent Youth“ (2021) des Briten Tunji Adeniyi-Jones, dessen verschlungen schemenhafte Gestalten von Yoruba-Mythen inspiriert sind. Oder das monumentale, mehrteilige Wimmelbild „Who Are We and Where Are We Goin?“ (2004/8) der Südafrikanerin Mmapula Mmakcabo Helen Sebidi, die ihre pointillistisch getupfte Menschenmenge in eine Vielzahl kubistisch anmutender Facetten aufspaltet.

 

Auf an die Spitze der Kunstwelt!

 

Doch um einzelne Werke geht es den Kuratorinnen weniger, weshalb sie weder kommentiert noch irgendwo Kriterien für ihre Auswahl genannt werden. Sondern um das große Ganze; die Feier schwarzen Lebensgefühls, wie sie es verstehen, und den kollektiven Aufstieg an die Spitze der Kunstwelt: „Wir schwelgen in dem Augenblick, in dem uns allen ein Denkmal gesetzt wird“.