
Mit diesem outfit käme der Mann sofort in jede Szene-disco rein: Über kurzem Kinnbart trägt er einen goldenen Nasenring, daran hängt ein Karneol-Stein. Seine Ohrläppchen werden durch ear tunnel-Löcher mit zwei piercings geweitet, die Ohrmuscheln sind üppig tätowiert. Unter dem gezackten Haaransatz durchfurchen tiefe Falten seine gegerbte Haut – offenbar Spuren von langjährigem clubbing. Weit aufgerissene Augen lassen vermuten, dass er irgendwelche Pillen eingeworfen hat.
Info
Die Etrusker -
Von Villanova bis Rom
16.07.2015 - 08.01.2017
täglich außer montags
10 bis 17 Uhr,
mittwochs bis 20 Uhr
in den Staatlichen Antikensammlungen, Königsplatz 1, München
25.03.2017 - 15.10.2017
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Pompejanum, Pompejanumstr. 5, Aschaffenburg
Katalog 25 €
Texte bleiben unverständlich
Charun und Charon waren also miteinander verwandt, wie die meisten Götter beider Völker: Die Etrusker griffen etliche Einflüsse der Griechen auf. Noch enger war ihre Beziehung zu den Lateinern: Zuerst ahmten diese ihre überlegenen nördlichen Nachbarn nach – später wurden die Etrusker völlig romanisiert. Während aber die Geschichte der Griechen und Römer dank zahlloser Schriftquellen bestens bekannt ist, bleibt die der Etrusker bis heute lückenhaft. Deren Texte lassen sich lesen, aber nicht verstehen: Ihre Sprache war nicht indogermanischen Ursprungs. So erscheint vieles an ihnen noch geheimnisvoll.
Impressionen der Ausstellung
Anschauliche + schön flapsige Kommentare
Nun holt sie diese Ausstellung ans Licht. Neben Berlin besitzt München die größte Etrusker-Kollektion in Deutschland; zum ersten Mal widmen ihnen die Staatlichen Antikensammlungen eine Sonderschau. Und was für eine: Mehr als 550 Exponate, die meisten aus eigenem Bestand, beleuchten sämtliche Aspekte der etruskischen Kultur – und zeigen zugleich auf, was man alles noch nicht weiß.
Dass die Ausstellung trotz dicht bestückter Vitrinen auf einer Etage nirgends überfrachtet wirkt, verdankt sich nicht nur der durchdachten Gliederung, sondern auch anschaulichen Erklärungen: Sie sind präzise und ausführlich, aber nie hochtönend akademisch. Und sie bringen die ferne Antike auch mal flapsig näher – da wird ein überbordend dekoriertes bucchero-Prunkgefäß mit den Worten kommentiert: „Nicht praktisch, macht aber viel her.“
Alphabet um 700 v. Chr. übernommen
Die Herkunft des Volkes, das sich selbst als Rasenna bezeichnete und von den Römern Tusci genannt wurde, ist unklar. Vermutlich wanderten vor knapp 3000 Jahren Griechen ins damalige Etrurien ein und vermischten sich mit lokalen Bewohnern. Ab dem 9. Jahrhundert v. Chr. breitete sich ihre Villanova-Kultur von Norditalien bis ins heutige Kampanien rund um Neapel aus. Das Kerngebiet lag zwischen den Flüssen Arno und Tiber, also ungefähr in der heutigen Toskana.
Bald beherrschten die Etrusker das Tyrrhenische Meer. Sie rivalisierten zur See mit Karthagern und Griechen; von letzteren übernahmen sie etliche Errungenschaften, etwa um 700 v. Chr. die Alphabet-Schrift. 100 Jahre später schlossen die zwölf größten Städte auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung ein loses Bündnis. Etruskische Kunsthandwerker galten als die besten ihrer Epoche, was die Ausstellung mit beeindruckenden Stücken vorführt. Ab etwa 500 v. Chr. schwand die Macht der Etrusker; 295 v. Chr. wurden sie von Rom entscheidend geschlagen. 90/89 v. Chr. erhielten sie das römische Bürgerrecht und assimilierten sich vollständig.
Urnen in Hütten- und Menschen-Gestalt
Zuvor war ihre Kultur trotz intensiven Austausches mit ihren Nachbarn sehr eigenständig geblieben. Wer halbwegs mit hellenistischer Kunst vertraut ist, deren Formenkanon spätestens seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. die gesamte antike Welt prägte, der wird in dieser Schau gehörig überrascht – vom ebenso fantasievollen wie fein ausgearbeiteten Repertoire der Etrusker. Sie machten nicht alles besser, aber vieles ganz anders.
Angefangen mit Urnen, in denen sie die Asche ihrer Toten bestatteten: Die einfachsten, „bikonisch“ genannt, gleichen abstrakten Skulpturen. Aufwändige Hütten-Urnen geben eine Vorstellung, wie etruskische Behausungen ausgesehen haben mögen. In der Stadt Chiusi wurden sogar Urnen in stilisierter menschlicher Gestalt angefertigt – ein bizarrer Brauch.
Schmuck begeistert heutige Juweliere
Höchst eindrucksvoll ist auch der Prunkwagen, dessen Überreste man nahe San Mariano ausgrub; er wurde eigens für diese Ausstellung rekonstruiert. Im 6. Jahrhundert v. Chr. diente das Gefährt für den Transport hochrangiger Damen. Dazu war es ringsum mit Bronzeblechen beschlagen; sie zeigen Reliefs mit verblüffend lebendigen mythologischen Szenen.
Noch atemberaubender wirkt der Goldschmuck, der großzügig über den Parcours verteilt ist. Obwohl sämtliches Edelmetall importiert werden musste, gelang etruskischen Goldschmieden unnachahmlich, daraus erstklassige Pretiosen herzustellen. Verschwenderisch mit Filigran und Granulation verziert, sucht ihre glänzende Raffinesse ihresgleichen – sie begeistert selbst heutige Juweliere.
Keine Partnertausch-Orgien
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Schau "Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann" – grandios inszenierte Ausstellungs-Trilogie in drei Trierer Museen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Ein Traum von Rom" – exzellente Überblicks-Schau über Städtebau im römischen Reich in Trier + Stuttgart
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Rückkehr der Götter" über antike Mythologie im Römisch-Germanischen Museum, Köln
und hier einen kultiversum-Bericht über die Schau "Italia Antiqua" – prachtvolle Dauer-Ausstellung mit Kunst der Etrusker + Römer im Alten Museum, Berlin.
Das wohl schönste Objekt der Schau steht auf einem Sockel vor dem Eingang: eine Nachbildung der berühmten Chimäre von Arezzo. Mit ihren drei Köpfen – Löwe, Ziege und Schlange – und geduckt-angespannter Körperhaltung unmittelbar vor dem Sprung ist diese Plastik ein zeitlos faszinierendes Meisterwerk; kaum zu glauben, dass das 1553 entdeckte Original bereits vor mehr als 2350 Jahren angefertigt wurde.
Ohne Etrusker kein Faschismus
Das berühmteste etruskische Kunstwerk fehlt allerdings: Die Kapitolinische Wölfin, ein Nationalsymbol des antiken Rom, würden die Museen der ewigen Stadt niemals ausleihen. Viel spricht dafür, dass diese Bronze-Skulptur aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. etruskischen Ursprungs ist – und damit ein Musterbeispiel für die allmähliche Amalgamierung beider Kulturen. Wobei den Römern stets bewusst blieb, was sie den Etruskern verdankten: Disciplina etrusca nannten Lateiner die Seher-Kunst, den Willen der Götter aus Blitzschlägen, Vogelflug und Eingeweiden herauszulesen. Dazu zeigt die Schau ein Schafsleber-Modell.
Spuren etruskischer Kultur finden sich in Europa bis heute. Etwa der Krummstab von katholischen Bischöfen mit spiralförmigem Knauf: Er geht auf den lituus etruskischer Priester zurück. Eine etruskische Erfindung ist auch das Liktorenbündel aus zusammengebundenen Ruten, in dem ein Beil steckt. Später wurde es das Amtszeichen römischer Machthaber; auf Latein heißt es fascis. Ohne Etrusker also kein Faschismus – zumindest nicht dieser Begriff.