München begreift sich gern als nördlichste Stadt Italiens: mit fare bella figura, Aperol Spritz als Standard-Aperitif und Fußball-Frenesie. Das sieht man der Innenstadt an, etwa am Odeonsplatz mit der Feldherrnhalle, die König Ludwig I. 1841/4 errichten ließ: Sie ist ein fast originalgetreuer Nachbau der Loggia dei Lanzi in Florenz. Teile der Münchener Residenz ähneln ebenfalls einem florentinischen Gebäude; dem monumentalen Palazzo Pitti.
Info
Florenz und seine Maler –
Von Giotto bis Leonardo da Vinci
18.10.2018 – 03.02.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr, dienstags + mittwochs bis 21 Uhr
in der Alten Pinakothek, München
Katalog 34,90 €
Von Ludwig I. zusammengekauft
Ausstellungen über diese Epoche sind in Deutschland recht selten; den meisten Museen fehlen schlicht die passenden Werke. Neben Berlin und Dresden verfügt München über den hierzulande wohl größten Bestand italienischer Renaissancekunst; der kunstsinnige Ludwig I. hatte sie gezielt zusammentragen lassen. So kann diese Schau aus dem Vollen schöpfen: Etwa ein Viertel der rund 120 Exponate kommen aus städtischen Sammlungen, die übrigen sind hochkarätige Leihgaben.
Impressionen der Ausstellung: © Alte Pinakothek, München
Lehrlings-Zeichnung als Muster
Dabei fängt der Rundgang betont unspektakulär an: mit einer unscheinbaren Zeichnung von Maso Finiguerra. Sie zeigt einen zeichnenden Jüngling, offenbar den Lehrling einer Malerwerkstatt. Wenige Federstriche haben Finiguerra genügt, um seine entspannt sitzende Körperhaltung zu skizzieren; sparsame Lavierungen lassen die Gestalt plastisch erscheinen. Auf diesem kleinen Blatt wird schon sichtbar, was die Renaissance auszeichnet: genaues Naturstudium, mit ökonomischen Mitteln perfekt festgehalten. Darin waren die Maler von Florenz im 15. Jahrhundert, dem Quattrocento, ihren Kollegen europaweit überlegen.
Auf dieses Jahrhundert konzentriert sich die Ausstellung. Bereits 100 Jahre zuvor hatten toskanische Maler wie Cimabue und Giotto die Abkehr von der mittelalterlichen Kunstauffassung eingeleitet; und viele der bedeutendsten Künstler der Hochrenaissance wie Leonardo, Raffael und Michelangelo wirkten bis weit ins 16. Jahrhundert hinein.
Alleinherrschaft der Medici ab 1434
Doch im Quattrocento überschlug sich die Entwicklung geradezu: Neue Materialien und Techniken wie die Kreidezeichnung und Ölmalerei kamen auf, neue Verfahren setzten sich durch, etwa die präzise Zentralperspektive mithilfe von Bildrastern. Wie grundlegend sich das Bild vom Menschen wandelte – erst noch im religiösen, dann im profanen Kontext – führt die Schau mustergültig vor.
Florenz war ab Mitte des 12. Jahrhunderts mit Textilherstellung, Finanzgeschäften und Fernhandel reich und mächtig geworden; es hatte andere regionale Zentren wie Pisa, Siena und Arezzo unterworfen oder ausgeschaltet. Nominell eine Republik, beherrschten de facto einflussreiche Patrizier-Clans an der Spitze der Zünfte die Geschicke der Stadt. Bis 1434 der Bankier Cosimo Medici d.Ä. die Macht übernahm; seine Familie sollte sie mit zwei kurzen Unterbrechungen 300 Jahre behalten.
Mehr Künstler als Metzger
Damit endeten zwar die politischen Rivalitäten, nicht aber der permanente Geltungs-Wettbewerb um Prestige: Die Medici brachten ihre Vorrangstellung durch üppige Kultur-Förderung zum Ausdruck – und die übrige Stadtelite eiferte ihnen nach. Unter der Herrschaft von Lorenzo dem Prächtigen (1449-1492) verwandelte sich Florenz in eine verschwenderisch geschmückte Schatzkammer, die Meister aus halb Italien anzog. Die Gemeinde mit rund 30.000 Einwohnern beherbergte zeitweise fast 100 Werkstätten von Malern, Bildhauern und Goldschmieden; damals soll es in der Stadt mehr Künstler als Metzger gegeben haben.
Bei großer Nachfrage und scharfer Konkurrenz entstand hoher Innovationsdruck: Wie rasch bestimmte Bildtypen fortentwickelt wurden, führt die Ausstellung sehr anschaulich vor. Etwa bei Marienbildnissen: Anfang des Quattrocento zeigten Maler wie Lorenzo Monaco oder Masolino die Gottesmutter noch traditionell starr mit geschlossener Silhouette vor Goldgrund – eine Erscheinung nicht von dieser Welt. Mitte des Jahrhunderts sieht Maria auf Gemälden von Fra Angelico oder Fra Filippo Lippi ganz anders aus: in Landschaften oder Innenräumen platziert, mit nachdenklichem oder zärtlichem Gestus, wirkt sie wie eine liebende Mutter.
Drei Marien aus einer Werkstatt
Binnen weniger Jahre loteten Maler zahlreiche Varianten aus. Das wird sehr deutlich bei drei Marienbildern, die personell miteinander verbunden sind. Andrea del Verrocchio war ein berühmter Bildhauer, der auch als Maler brillierte; in seiner Werkstatt arbeiteten zahlreiche Talente. Verrocchios „Maria mit Kind und zwei Engeln“ von 1467/9 in herkömmlicher Tempera-Technik beeindruckt mit fast naturalistisch präzisen Gesichtern und Händen; auf den Außenraum dahinter verwandte der Maler weniger Sorgfalt.
Sein Schüler war der junge Leonardo da Vinci. Mit nur 23 Jahren malte er seine „Madonna mit der Nelke“ (1475) – ein Prunkstück der Alten Pinakothek –, auf der Personen und Landschaft im Hintergrund völlig anders erscheinen: mit weich modellierten sfumato-Oberflächen. Daneben hängt eine Maria (1480) von Lorenzo di Credi, der Verrocchios Werkstatt übernommen hatte: Er orientiert sich in Bildaufbau und Kolorit an Leonardo, doch seine Gestalten wirken eher wulstig und ungelenk.
High Society-Gruppenbild von Botticelli
Einem ähnlich raschen Wandel unterlagen auch profane Porträts; oft wurden sie als Mitgift bei der Heirat eines hochgestellten Paares angefertigt. Piero Pollaiuolo porträtierte noch 1475/80 eine junge, kostbar gekleidete Dame vor neutralem Hintergrund im Profil; das galt als schicklich. Kurz zuvor hatte Sandro Botticelli bereits eine Frau in legerem Gewand gemalt, die aus einem Fenster den Betrachter direkt ansieht; dabei bedeckt sie mit der Hand ihren gewölbten Bauch, als sei sie schwanger – es ist das erste Damen-Porträt mit Blickkontakt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Florenz!" - umfassende Kulturgeschichte der Toskana-Metropole in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier eine Besprechung der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" - zwiespältige Retrospektive des Renaissance-Meisters in der Gemäldegalerie, Berlin
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" - beeindruckende Manierismus-Schau im Städel-Museum, Frankfurt am Main
und hier ein Bericht über die Ausstellung "Das Jahrhundert Vasaris" - informative Grafik-Schau über "Florentiner Zeichner des Cinquecento" in der Gemäldegalerie, Berlin.
Ergreifende Erlöser-Beweinung
Auch den Schlusspunkt dieser Schau setzt Botticelli: mit seiner frisch restaurierten „Beweinung Christi“ (1490/95), ebenfalls im Pinakotheken-Besitz. In der wild bewegten und zugleich wie eingefroren wirkenden Komposition fällt Maria in Ohnmacht, während ihr der nackte Leib des Gekreuzigten vom Schoß zu gleiten droht. An Kopf und Füßen halten ihn Klagefrauen, von hinten stützt Johannes die Gottesmutter. Der expressive Realismus dieser Szene in so grellen wie kalten Farben ergreift unmittelbar – das ist himmelweit entfernt von den schematisch steifen Figuren, die noch 100 Jahre zuvor die Ikonographie prägten.
Den Prozess dieser Veränderung dokumentiert und erklärt die Schau vorzüglich: mit einem Prolog zu Techniken und Arbeitsbedingungen der Künstler, mit Schwerpunkten zu Einzelfragen wie Restaurierung – und der klugen Entscheidung, auch zweitrangige Artefakte auszustellen, damit die Klasse der Meisterwerke prägnant hervortritt. Souveräner und für das Publikum gewinnbringender kann man Alte Meister in Deutschland kaum ausstellen.