Berlin + Karlsruhe

ART and PRESS – Kunst. Wahrheit. Wirklichkeit.

William Kentridge: „Could Anyone Be More Like Me?“, 2008, Malerei auf Leinwand, 320 x 480 cm. Foto: Stefan Korte/MGB/ZKM
Mit freundlicher Unterstützung von RWE und BILD: Eine Mammut-Schau im Martin-Gropius-Bau beleuchtet das Verhältnis von Kunst und Presse. Als Hochglanz-Journal – neben prächtigen Bild-Strecken machen sich geistvolle Inhalte rar.

Kiefer-Installation wie Theo-Sommer-Artikel

 

Solche eindeutig Partei ergreifenden Positionen sucht man im Erdgeschoss vergeblich: Meist greifen die Werke allgemeine Aspekte von Presse auf. Dabei setzen die Kuratoren fast ausschließlich auf berühmte Namen von Beuys bis Warhol; BILD-Leser sind auf Stars abonniert. Ein Dutzend zeitgenössischer Künstler hat eigens Arbeiten für diese Ausstellung angefertigt; RWE macht’s möglich.

 

Im Lichthof breitet Anselm Kiefer eine seiner bleiernen Riesen-Installationen aus: Das Ensemble aus still stehenden Druck-Maschinen überwuchern versteinerte Sonnenblumen. Begreift man die Schau selbst als Zeitung, wäre dies quasi ein ZEIT-Leitartikel alten Typs etwa von Theo Sommer: ellenlang, gedankenschwer, tief schürfend und ziemlich folgenlos.

 

Kasperle-Theater aus Österreich

 

Von Pop-Artisten wie Andy Warhol und Robert Rauschenberg werden geläufige Foto-Drucke und Collagen gezeigt, von manchen Altmeistern der Gegenwart Erwartbares: Dass Günther Uecker seine Nägel auch in Zeitungs-Stapel geschlagen hat, verwundert kaum. Ebenso wenig, dass Jenny Holzer provokative Schlüssel-Begriffe über LED-Leuchtbänder laufen lässt – wie immer.

 

Viele Gast-Autoren liefern eher uninspirierte Beiträge ab. Robert Longo kopiert zahllose Presse-Fotos mit Kohle; in diesem Bilder-Gewitter wird dem Betrachter schwarz vor Augen. Erwin Wurm kaspert mit Gratis-Zeitungen herum; sein österreichischer Landsmann Franz West vermanscht sie zu Pappmaché-Kugeln; zwei unfreiwillig komische Kommentare zur Güte der dortigen Presse.

 

Spiegel-Kabinett der Einfallslosigkeit

 

Marlene Dumas malt Fotos der Mauer ab, mit der sich Israel gegen Palästina abschottet; diese betongrauen Leinwände erschlagen den Besucher. Jonathan Messe pflastert mit rotzig-großmäuliger Phrasen-Drescherei die Wände. Sein Kabinett ist quasi die Schmuddel-Ecke der Schau; hier wird für Anrüchiges geworben wie im Kleinanzeigen-Teil für Wundermittel und Massage-Salons.

 

Gilbert & George tragen Schlagzeilen britischer Boulevard-Blätter zusammen und fetten ihre Reizworte: ein Spiegel-Kabinett ihrer Einfallslosigkeit im XXL-Format. Barbara Kruger hat Berichte über Immigration und Fremdenfeindlichkeit gesammelt, womit sie einen Raum auskleidet: gut gemeint, sattsam bekannt und auf wohlfeile Entrüstung setzend.

 

Zeitschriften-Titel als Perser-Teppiche

 

Als Publikation betrachtet, ähnelt diese Ausstellung also einer stinknormalen Zeitungs-Ausgabe: wenig Neues, noch weniger Originelles, aber viele Zweit- und Dritt-Aufgüsse, die mit üppiger Aufmachung um Aufmerksamkeit buhlen. Wer darin nicht nur flüchtig blättert, sondern konzentriert liest, kann aber hinter Balken-Buchstaben zwischen den Zeilen Bemerkenswertes entdecken.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Kritik der Ausstellung "Jack Freak Pictures" von Gilbert & George in den Deichtorhallen, Hamburg

 

und hier eine Rezension der Werkschau von Robert Longo in der Kunsthalle Weishaupt, Ulm

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Private Wurm" von Erwin Wurm im Essl Museum, Klosterneuburg bei Wien.

 

Der Iraner Farhad Moshiri hat das überbordende Angebot eines Zeitschriften-Stands als Perser-Teppiche nachweben lassen. In seinem «Kiosk de curiosité» liegen nun handgeknüpfte Titel-Seiten von «Gala», «Popcorn», «Vogue» und «Newsweek» neben arabischen Magazinen; ein schillerndes Panoptikum aus Marktschreierei, culture clash und globaler Hochglanz-Optik, so vielseitig und –schichtig wie eine ausführliche Auslands-Reportage.

 

Pilot-Ausgabe fehlt roter Faden

 

Der britische Künstler Adam McEwen formuliert fingierte Nachrufe auf lebende Prominente wie Bill Clinton, Jeff Koons oder Kate Moss. Damit beleuchtet er nicht nur die makabre Praxis, solche Texte aus der Schublade zu ziehen, sobald der jeweilige VIP stirbt, sondern auch ihre Beliebigkeit: one phrase fits all.

 

Was für die Aufmachung des ganzen Unternehmens gilt. Bei einer Blatt-Kritik kämen die Kuratoren der Schau wohl zum Fazit: Als Pilot-Ausgabe ist «ART and PRESS» verschwenderisch illustriert und ansprechend layoutet, doch thematisch fehlt ein roter Faden; geistvolle und –reiche Inhalte sind dünn gesät. Für langfristige Leser-Bindung müsste ein Relaunch her.