
Aushänge-Schild der Arabellion: Die Umstürze in der arabischen Welt haben Wael Shawky ins Rampenlicht des Kunstbetriebs katapultiert. Seit 2010 wird er zu einer Groß-Ausstellung nach der anderen eingeladen – im Unterschied zu manchen Kollegen begnügt sich Shawky nicht damit, verwackelte Handy-Aufnahmen von Straßen-Schlachten zu kompilieren.
Info
dOCUMENTA (13)
09.06.2012 – 16.09.2012
täglich 10 bis 20 Uhr an 26 Standorten in Kassel
Katalog 24 €,
Begleitband 68 €
Wael Shawky:
Al Araba Al Madfuna
26.08.2012 - 21.10.2012
täglich außer montags 12 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr in den KunstWerken, Auguststr. 69, Berlin
Wiederauflage von «Spiel ohne Grenzen»
Dabei fallen seine Werke verblüffend abwechslungsreich aus. Die Serie «Telematch» (2007/9) ist an die TV-Show «Spiel ohne Grenzen» angelehnt, die in den 1970/80er Jahren im deutschen Fernsehen lief: Teilnehmer aus zwei Städten traten in grotesken Kostümen vor bombastischen Kulissen gegeneinander an.
In «Telematch Sadat» von 2007 lässt Shawky eine Gruppe von Kindern die Truppen-Parade nachspielen, bei der Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat 1981 ermordet wurde – und sein Begräbnis. Aus dem tragischen Ereignis wird ein chaotisch-anarchisches Spektakel.
Interview mit Kuratorin Susanne Pfeffer + Impressionen der Ausstellung in den KunstWerken
Geschichte der Kreuzzüge als Marionetten-Spiel
Mit seiner 2010 begonnenen Trilogie «Cabaret Crusades» hat sich der Künstler viel vorgenommen: Er will die Geschichte der Kreuzzüge darstellen – als Marionetten-Spiel. Als Vorlage dient ihm «Der Heilige Krieg der Barbaren» von Amin Maalouf: In diesem Sachbuch von 1983 (deutsch: 1996) schildert der französisch-libanesische Schriftsteller die Kreuzzüge aus Sicht der Araber anhand von zeitgenössischen Quellen, die im Westen kaum bekannt sind.
Shawkys Video-Verfilmung ist enorm aufwändig: Für die ersten beiden Teile «The Horror Show File» über den ersten Kreuzzug (1095 – 1099) und «The Path to Cairo» über die Zeit bis zum Beginn des zweiten Kreuzzugs (1099 – 1146) fertigte er mehr als 100 Marionetten aus Keramik an, die alle wichtigen Protagonisten der Epoche verkörpern – teils als Mischwesen aus Mensch und Tier.
«Augsburger Puppenkiste» in epischer Länge
Sie agieren in einem Dekor, das damaliger Miniatur-Malerei oder historischen Stadtplänen nachempfunden ist. Ihre Dialoge ergänzen Auszüge aus Vers-Epen wie dem «Rolandslied», die Rezitatoren oder Chöre vortragen. Das Ganze wirkt wie die «Augsburger Puppenkiste» in epischer Länge: Der erste Teil dauert gut eine halbe, der zweite mehr als eine Stunde.
Dessen ungeachtet ist «Cabaret Crusades» ein Publikums-Magnet der documenta: Die Projektions-Räume im Keller der Neuen Galerie sind stets gut gefüllt, obwohl etliche Zuschauer nur wenige Minuten bleiben. Den meisten dürfte der historische Kontext ebenso wenig vertraut sein wie subtile Stilmittel und Zitate, die Shawky einsetzt – sie erfreut das farbenprächtige Schauspiel.
Für Osama bin Laden waren US-Soldaten «Kreuzritter»
Kein Wunder: Europa hat seine Kreuzzüge im heiligen Land weitgehend vergessen. Ihren verwickelten Verlauf voller wechselnder Koalitionen, Intrigen und Verrat kennen nur noch Mittelalter-Spezialisten. Anders in der islamischen Welt, wo sie als archetypischer Kampf zwischen Moslems und Christen gelten: Terroristen-Führer Osama bin Laden nannte US-Soldaten ganz selbstverständlich «Kreuzritter».
Hintergrund
Hier finden Sie alle Beiträge zur documenta bei Kunst+Film.
Lesen Sie hier eine Rezension des Dokumentarfilms "Cinema Jenin" von Marcus Vetter über die Restaurierung eines Kinos in Palästina
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Roads of Arabia" mit archäologischen Schätzen aus Saudi-Arabien im Pergamonmuseum, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Lawrence von Arabien – Genese eines Mythos" im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln.
Preisträger der Schering Stiftung 2011
Mit der Anmutung eines illustrierten Hörspiels: Außer wenigen Schnitt-Bildern ist nur die Runde der Lauschenden zu sehen. So gefällt diese Arbeit vor allem Gleichaltrigen, die in aufgeschütteten Sandhaufen herumtollen. Ihre Altersgenossen bei den Beduinen treten in der Installation «Darb Al Arba’in» von 2006 auf: Sie bauen Hütten aus Lehmziegeln, während ein Nomade die alte Karawanen-Route aus dem Sudan nach Norden entlang wandert.
Mögen Shawkys Werke auch voller beziehungsreicher Anspielungen stecken – außerhalb des Maghreb sind sie kaum verständlich. Was ihm dennoch Anerkennung im Westen einträgt: Die Jury des Kunstpreises der Schering Stiftung kürte ihn zum Preisträger 2011.