
Diese Ausstellung verleiht sich selbst einen Orden. Die Stellwände für die „deutschen Bilder“, die der US-Amerikaner Marsden Hartley zwischen 1913 und 1915 in Berlin malte, sind zur Form eines Eisernen Kreuzes angeordnet; die höchste preußisch-deutsche Kriegsauszeichnung war damals 100 Jahre alt.
Info
Marsden Hartley:
Die deutschen Bilder 1913-1915
05.04.2014 - 29.06.2014
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, Berlin
Katalog 29,90 €
Galerie-Beitrag zum Kriegs-Gedenken
Die Ausstellung ordnet seine Werke auf engem Raum vielfältig, informativ und subtil an. Doch sie lässt einen kritischen Blick auf die Frage vermissen, welchen künstlerischen Anspruch der Maler mit seiner Begeisterung für Krieger und Uniformen verband. Als „Beitrag der Nationalgalerie zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs“, so Kurator Dieter Scholz, ist das etwas dürftig.
Impressionen der Ausstellung
US-amerikanischer Mystizismus
In Europa ist Marsden Hartley (1877-1943) praktisch unbekannt. Dagegen gilt er in den USA als wichtiger Vertreter der klassischen Moderne, gerade wegen seiner „deutschen Bilder“. Als Arbeiterkind musste er in einer Schuhfabrik schuften und besuchte Mal-Kurse; Stipendien erlaubten Hartley das Studium an Kunsthochschulen, wo er neueste Strömungen kennen lernte.
Dabei kombinierte er Avantgarde und Volkskunst mit einem „amerikanischen Mystizismus“: Er las Autoren wie Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Walt Whitman und malte Kachina-Figuren der Hopi-Indianer, die er in ethnologischen Museen gesehen hatte. Die Verbindung abstrakter Moderne mit mystischem Romantizismus prägt auch die Werke seiner Berliner Jahre.
Bayerische Hinterglas-Malerei begeistert
1912 reist er nach Paris. Dort freundet er sich mit dem Berliner Bildhauer Arnold Rönnebeck und dessen Cousin Carl von Freyburg an; Hartley schwärmt für den schneidigen Offizier. Im nächsten Jahr folgt er beiden nach Berlin; bei einem Aufenthalt in München trifft er Expressionisten des „Blauen Reiter“ wie Kandinsky und Franz Marc – und begeistert sich für bayerische Hinterglas-Malerei.
Zurück in der Reichshauptstadt richtet er sich ein Atelier ein; im September nimmt er mit fünf Bildern am „Ersten Deutschen Herbstsalon“ teil, den Kandinsky, Marc und der „Sturm“-Galerist Herwarth Walden organisiert haben. Im August 1914 erlebt Hartley in Berlin den Kriegsausbruch; der von ihm verehrte Freyburg stirbt nur zwei Monate später an der Front.
Von Pastell zu Kontrastfarben
Das tragische Ende seiner engen Beziehung zu Freyburg nimmt die Ausstellung als Zäsur, durch die sich Hartleys Blick auf die preußisch-deutsche Militär-Ästhetik wandelt: Waren seine Gemälde zuvor in Pastelltönen gehalten, zeigen sie nun starke Kontraste, fauvistische Farben und den Symbolismus geometrischer Formen.
Allerdings lassen sie nicht erkennen, dass Hartleys Verklärung des Militärs einer realistischen Einschätzung gewichen wäre: Nun drückt er Kriegsgräuel ähnlich romantisch aus wie Märchenhaftes auf seinen Vorkriegsbildern. Ende 1915 stellt er ein letztes Mal in Berlin aus, danach reist er in die USA. Doch seine Faszination für alles Deutsche bleibt; in den 1920/30er Jahren kehrt er mehrmals ins Reich zurück.
Phallischer Vorstoß in strahlende Sonne
Hartleys frühe Bilder bestehen aus geometrischen Formen. Kreise, Pyramiden und Portalbögen, die an gotische Kirchenfenster erinnern, sehen weich aus; ihre Anordnung ist organisch, die Konturen sind verwaschen. In Pastellfarben tummeln sich Einhörner, Könige und Kreuze zur Verklärung der preußischen Krieger.
Phallische und ejakulative Bildelemente formen „Raptus“ (lateinisch: „Entführung“ oder „Vergewaltigung“) als Vorstoß direkt in die strahlende Sonne hinein. Ein Gemälde wie „Indian Fantasy“ von 1914 bedient sich der gleichen Formen: strahlende Sonnen, sich öffnende Wege. Diese Darstellungen von Fantasien sind mehrere Schritte von der Realität entfernt, gespiegelt durch Märchen und Museen.
Homoerotische Aufladung der Soldaten-Sphäre
In „One Portrait of One Woman“ (1916) verwandeln sich die Portale in einen Schwarm von Vaginal-Formen, als Kontrapunkt zu den phallischen Bildern von 1913. Die Dame wird als Strichfräulein gezeigt; die Stelle gegenüber markiert das geschriebene Wort „MOI“. Obwohl hochabstrakt, wirkt das Bild dennoch realistischer als die anderen: Hier kommt ein Humor zum Vorschein, von dem in den militärischen und indianischen Fantasien wenig zu sehen ist.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "1914 – Die Avantgarden im Kampf" über Künstler im Ersten Weltkrieg in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Bericht über die Ausstellung “1913: Bilder vor der Apokalypse” zum Bestseller von Florian Ilies im Franz Marc Museum, Kochel am See
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Der Sturm – Zentrum der Avantgarde” mit Werken von Kandinsky + Franz Marc im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Albert Weisgerber: Malerei” – Wiederentdeckung des im Ersten Weltkrieg gefallenen Künstlers im Edwin Scharff Museum, Neu-Ulm.
Leere hinter den Militaria im Raum
Gegenüber hängt das „Portrait of a German Officer“ (1914): kein Mann, sondern nur seine Uniform. Das Gemälde besteht aus Abzeichen, die den toten Freund symbolisieren, angeordnet wie bei einem antiken Tropaion: Solche Triumphzeichen wurden auf dem Schlachtfeld an der Stelle aufgerichtet, an dem geschlagene Feinde die Flucht ergriffen hatten.
Die Kraft dieser Bilder besteht weder in leuchtenden Farben noch in Formen, die für sich genommen banal sind, sondern in dem Verhältnis, das Hartley zwischen den Bildelementen erzeugt. In der Flächigkeit und Gesichtslosigkeit der bloß räumlichen Anordnung von Militaria bezeichnen sie die Entstehung der Leere, die darunter liegt, wie das Tropaion den Ort des Todes markiert.
Zufällige Reste eines Menschen
Damit gelingt es dem Bild, einen Moment des Entsetzens zu vermitteln, in das auch Gleichgültigkeit gegenüber den Symbolen hineinspielt: als wäre es ein Zufall, dass es diese Reste sind und keine anderen, die von einem Menschen übrig bleiben. So überzeugt die Ausstellung von Hartleys Ausdrucksstärke – aber nicht von einem kritischen Potential, das den Bezug auf das Gedenken an deutsche Kriegsgeschichte rechtfertigen würde.