Große Namen ziehen immer: Monet, Gauguin und van Gogh – jeder einzelne unter ihnen lockt schon Scharen von Fans an. Doch das eigentliche Thema dieser Schau versteckt sich im Titel hinter drei Pünktchen: Inspiration Japan. Die Bilder dieser drei und vieler weiterer Maler sähen ohne ihre Begeisterung für fernöstliche Kunst ganz anders aus.
Info
Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan
27.09.2014 - 01.02.2015
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
freitags bis 22 Uhr
im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen
Katalog 39 €
West-Käufer ersetzen Samurai
Woher kam diese Leidenschaft? Nach 250 Jahren Abschottung gegen den Rest der Welt öffnete sich Japan ab 1854 für westliche Einflüsse; 14 Jahre später begann das Inselreich mit rascher Modernisierung. Dabei wurde die Kriegerkaste der Samurai entmachtet; sie fielen als Käufer weg. Nun suchten die Hersteller andere Abnehmer: Enorme Mengen von Kunsthandwerk – Farbholzschnitte und Tuschemalerei, Porzellan und Keramik, Kleidung und Wandschirme – wurden gen Westen exportiert.
Interview mit Kuratorin Sandra Gianfreda + Impressionen der Ausstellung
Farbholzschnitte für wenige Sous
Dort faszinierten ihre fremdartigen Formen und Motive. Japan erschien als Hochkultur, deren verfeinerte Ästhetik der europäischen qualitativ ebenbürtig, aber zugleich eigenständig und unbeeinflusst war. Was etliche Maler schätzten, die nach Alternativen zur Salonkunst der Akademien suchten. Obwohl es nicht ganz stimmte: Holländische Händler hatten schon im 18. Jahrhundert europäische Bilder nach Japan eingeschleust.
Deren Merkmale wie Zentralperspektive und realistische Details hatten sich bedeutende Künstler wie Hokusai und Hiroshige angeeignet und mit japanischen Traditionen amalgamiert – womit sie in europäischen Augen umso attraktiver wurden. Anschauungsmaterial gab es reichlich: Japans Drucker produzierten arbeitsteilig Farbholzschnitte in riesigen Auflagen. Man konnte sie für wenige Sous überall in Paris kaufen – wie 100 Jahre später US-Comics.
Trophäen als Blickfang in Gemälden
So durchdrang der Japonismus die Kunstwelt von 1860 bis etwa 1910. Auf diesen Zeitraum konzentriert sich die Ausstellung; als erste über dieses Phänomen seit 25 Jahren. Mit 400 Exponaten – halb aus Frankreich, halb aus Japan – macht sie glänzend deutlich, wie stark fernöstliche Künstler ihre westlichen Kollegen beeinflussten. In sämtlichen Bereichen: von der Malerei über Keramik und Mode bis zu Alltagsgegenständen.
Anfangs überwog die Neugier auf exotische Dinge, die plötzlich in Europa auftauchten. Vasen, Kimonos und Masken des No- und Kabuki-Theaters wurden wie Trophäen bestaunt und als Blickfang in Gemälden platziert; deren Machart blieb aber konventionell. Das änderte sich durch die populären Farbholzschnitte: Französische Künstler übernahmen japanische Sujets und Formen in ihren eigenen Werken.
Wellen- + Berg-Bilder gehen in Serie
In Japan waren Farbholzschnitt-Serien beliebt, die ein Motiv vielfach abwandelten. Eine der bekanntesten sind die „36 Ansichten des Berges Fuji“ von Hokusai; deren berühmtestes Blatt zeigt „Die große Welle vor der Küste bei Kanagawa“. Sie inspirierte den Realisten Gustave Courbet zu seinen Wogen-Gemälden, von denen er 40 malte; zuvor war eine bloße Meereswelle als Thema undenkbar. Ebenso hatte man Bilder-Variationen bislang nie als Ensemble ausgestellt.
Paul Cézanne schuf 36 Ansichten der „Montaigne Sainte-Victoire“ bei Aix-en-Provence; wie Hokusai aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Der eifrigste Serialist der Epoche war aber Claude Monet. Er fertigte zahlreiche Reihen an, um Licht und Atmosphäre zu studieren: etwa von der Kathedrale in Rouen oder den Seerosen-Teichen seines Gartens in Giverny. Den hatte er nach japanischem Vorbild angelegt; samt halbrund geschwungener Brücke.
Motive abschneiden + Leere aufwerten
Andere fernöstliche Stilmittel, die Furore machten, waren extreme Größenunterschiede zwischen Vorder- und Hintergrund und radikales Beschneiden des Motivs. Wie etwa im „Pflaumengarten von Kameido“ von Hiroshige: Vom vordersten Stamm ist nur eine Astgabel zu sehen, die andere Bäume und winzige Betrachter halb verdeckt. Ähnlich gestaltete Edgar Degas 1872 seine „Orchestermusiker“: Zwischen Hinterköpfen und Streicher-Hälsen blickt man auf die Bühne mit Tänzerinnen.
Auch Japans Raumkonzeption wirkte revolutionär: Dort wurden Bilder oft mit mehreren Fluchtpunkten, in extremer Drauf- oder Untersicht komponiert. Dadurch rückt das Motiv aus dem Zentrum; Leere wird als Bildelement aufgewertet. Das fand besonders bei den symbolistischen Malern der Nabis-Gruppe Anklang: Sie verschoben den Horizont über den oberen Bildrand, wodurch der Raum flächig wirkt. Ein Kniff, den auch Paul Gauguin bei seinen „Frauen aus Arles“ 1888 anwendete.
Van Gogh hielt Provence für Japan
Japanische Figuren haben keine Schatten und kaum Binnenzeichnung. Stattdessen wird die Konturlinie so moduliert, dass sie den Eindruck von Volumen vermittelt. Daran knüpften Plakatkünstler der Belle Époque wie Jules Cheret und Henri Toulouse-Lautrec an: Ihre wild geschwungenen Linien hauchen Farbflächen Leben ein. Toulouse-Lautrec ließ sich Malzubehör aus Japan kommen und wäre gern dorthin gereist; leider fehlte ihm das Geld.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" - mit Werken von Vincent van Gogh in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Goldene Impressionen: Japanische Malerei 1400 – 1900" im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln
und hier eine Lobeshymne auf die grandiose Hokusai-Retrospektive zu Anfängen des Japonismus im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Ferne Gefährten” über 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim.
Japan-Verinnerlichung bis heute
Ein produktives Missverständnis: Indem van Gogh fernöstliche Prinzipien wie einfache, kräftig konturierte Formen, asymmetrischen Aufbau und diagonale Bildteilung auf südfranzösische Sujets anwandte, fand er zu seinem einzigartigen Stil. Etwa bei den „Rhone-Barken“ von 1888: Er malte sie aus der Vogelschau mit kleinen Figuren, nach dem Vorbild von Hokusai.
Solches Vorgehen nennen die Kuratoren treffend die „Verinnerlichung Japans“ – deren Folgen dauern bis heute an. Flächige Verwendung von Farben mündete in die Abstraktion. Extreme Perspektiven, Anschneiden des Motivs und Spiel mit krassen Gegensätzen prägen die Grafik der Moderne: von der Fotografie des „Neuen Sehens“ und Collagen der 1920er Jahre bis zur zeitgenössischen Reklame.
Unbekanntes Japan
Japan exportierte seine Ästhetik, bevor es den Weltmarkt mit high tech-Produkten eroberte. Ohne selbst wahrgenommen zu werden: Kaum ein Künstler oder Nippon-Liebhaber hat das Land persönlich besucht – damals wie heute. Und Japan hat sich längst verwestlicht; mit Accessoires, deren Gestaltung auch durch die Japonismus-Mode vor 100 Jahren beeinflusst ist. Wie diese komplexe Wechselwirkung verlief, lässt diese großartige Ausstellung erkennen.