Köln + Paris

Tintoretto – A star was born

Jacopo Tintoretto: Joseph und Potiphars Weib; Foto: © Museo Nacional del Prado, Madrid. Fotoquelle: Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
Tausendsassa des Manierismus: Der Venezianer Jacopo Tintoretto war der experimentierfreudigste Maler seiner Zeit. Zum 500. Geburtstag stellt das Wallraf-Richartz-Museum sein Frühwerk zusammen – wie originell es ist, zeigt der Vergleich mit der Konkurrenz.

Wenn ein Museum den 500. Geburtstag eines Malers feiert, geschieht das üblicherweise mit einer gravitätischen Gedenkschau: Der Jubilar ist längst in den Olymp entrückt. Sein Werk zählt zum Kanon abendländischer Kultur; Kunsthistoriker haben es mit jahrzehntelanger Forschung bis ins kleinste Detail entschlüsselt. Das wird mit einem festlichen Hochamt von Retrospektive besiegelt.

 

Info

 

Tintoretto -
A star was born

 

06.10.2017 - 28.01.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

im Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten 40, Köln

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

07.03.2018 - 01.07.2018

täglich 10.30 bis 19 Uhr,

freitags bis 22 Uhr

im Musée du Luxembourg,

19 rue de Vaugirard, Paris

 

Weitere Informationen

 

Bei Jacopo Tintoretto (1518-1594) sieht das völlig anders aus. Niemand bestreitet seinen Rang im Dreigestirn der venezianischen Malerei, neben Tizian (1490-1576) und Veronese (1528-1588). Doch im Unterschied zu den beiden Spätrenaissance-Meistern, deren opulent ausstaffierte Gemälde meist repräsentativ und staatstragend anmuten, war Tintoretto ein so unsteter wie produktiver Feuerkopf – daher geben viele seiner Bilder noch heute Rätsel auf.

 

Furchterregendster Intellekt der Malerei

 

Seinen eigenwilligen Charakter beschrieb Giorgio Vasari, der Erfinder der Kunstgeschichte, bereits 1568: „In allem was die Malerei anbelangt aber ist er wunderlich, kapriziös, schnell und kühn und der furchterregendste Intellekt, den die Malerei je besessen.“ Deshalb tut diese Ausstellung, die ab März im Pariser Musée du Luxembourg zu sehen ist, gut daran, sich auf die ersten 20 Jahre seiner Laufbahn zu konzentrieren. Im Frühwerk wird seine irrwitzige Experimentierfreude besonders deutlich: Viele Gemälde wirken so unterschiedlich, dass Laien sie kaum demselben Künstler zuschreiben würden.

Impressionen der Ausstellung; © ARTinWORDS


 

Suche nach Double-Spuren

 

Fachleute oft ebenso wenig: Bei etlichen Bildern wird seit langem darüber debattiert, ob und in welchem Umfang Tintoretto sie geschaffen hat. Was auch am damaligen Kunstbetrieb lag: Berufsanfänger gingen bei einem etablierten Meister in die Lehre und wirkten als Gehilfen an vielen Leinwänden mit – bevor sie ihre eigene Werkstatt einrichteten und ihrerseits Assistenten beschäftigten.

 

So arbeitete Tintoretto offenbar zehn Jahre lang mit einem ansonsten fast unbekannten Maler namens Giovanni Galizzi zusammen, der an manchen Gemälden beteiligt war und andere möglicherweise kopierte. Der Suche nach Spuren dieses Phantoms widmet die Schau eine eigene Abteilung: „Tintoretto und sein Double“.

 

Parodie auf Akademiker-Streitlust

 

Klar ist jedenfalls: Mit Farben kam Tintoretto schon als Kind in Berührung. Sein Vater war Färber; der Rufname seines Sohnes bedeutet „Färberlein“. Er machte sich schon als 20-Jähriger selbstständig – und rasch mit exzentrischen Bild-Kompositionen auf sich aufmerksam. Diese kontrastiert Kurator Roland Krischel mit ähnlichen Gemälden der Epoche; so lassen die rund 60 Exponate anschaulich werden, wie gewagt Tintorettos Arbeiten seinen Zeitgenossen erscheinen mussten.

 

Etwa „Jesus unter den Schriftgelehrten“ von 1539: Der Erlöser sitzt als strahlende, aber winzige Gestalt am Ende einer Säulenhalle, nur von Maria am vorderen Bildrand beachtet. Dagegen sind die Gelehrten vollkommen mit sich und ihren dickleibigen Folianten beschäftigt; alle rufen und gestikulieren heftig. Rechts halbwegs gesittet als gestaffelte Reihe von Häuptern, links in wildem Durcheinander – wenn das keine Parodie auf Akademiker-Streitlust ist!

 

Von unten in den Schritt blicken

 

Dabei konnte Tintoretto auch ganz anders: Zur gleichen Zeit schuf er ein „Liebeslabyrinth“, das wahrscheinlich als Hochzeitsgeschenk diente. In dieser Allegorie auf das menschliche Leben wandeln Figuren auf zwei Wegen durch ein Hecken-Labyrinth. Eine Abkürzung führt zum kleineren Teil der Mitte; an die festliche gedeckte Tafel im größeren gelangt nur, wer den wesentlich längeren Pfad beschreitet. Die moralische Botschaft lautet eindeutig: Fleiß und Beharrlichkeit werden belohnt – verpackt in einer originellen Darstellung. Es ist kein anderes Gemälde mit einer zweigeteilten Labyrinth-Mitte bekannt.

 

Noch verwegener wirken zwei achteckige Tafeln, die ursprünglich in einer Kassettendecke aus Holz gefasst waren. Ein Personen-Paar, die eine Götterstatue anbeten, zeigt Tintoretto aus extremer Untersicht; man blickt ihnen quasi in den Schritt, ihre Gesichter bleiben verdeckt. Nebenan windet sich Jupiters Geliebte Semele in Qualen auf einem Tisch, während seine Blitze sie verbrennen; der Betrachter wird von unten Zeuge der Szene.

 

Fassaden-Fresken als Eigenwerbung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" - gute Einführung in den florentinischen Manierismus im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Fantastische Welten - Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500" - hervorragender Überblick über nordeuropäischen Manierismus in der Kunst um 1500 in Frankfurt/ Main + Wien

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Das Jahrhundert Vasaris" - schöne Kabinett-Schau über "Florentiner Zeichner des Cinquecento" in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Venedig-Prinzip" - anschauliche Doku über die Lagunen-Stadt von Andreas Pichler.

 

Bei solchen Schockeffekten reizte Tintoretto das Formen-repertoire des Manierismus voll aus: extreme, anatomisch fast unmögliche Körperhaltungen, schräge Perspektiven und grell beleuchtete Farbkontraste. Wobei ihm spektakuläre eye catcher auch im Freien gelangen.

 

Eine Hausfassade an der Wasserstraße zwischen Rialto und Dogenpalast schmückte er 1546 mit Fresken voller trompe l’œil-Effekte – etwa riesigen Händen und Füßen, die das Gebäude in die Höhe zu stemmen scheinen. Dafür soll der Maler nur den Preis der Pigmente verlangt haben; die Wandbilder in bester Lage waren erstklassige Werbung für ihn.

 

Zyklus von 56 Gemälden

 

Im reichen und kultivierten Venedig herrschte starke Konkurrenz auf dem Kunstmarkt. Tintoretto verstand, sich durchzusetzen: Um an prestigeträchtige Aufträge zu kommen, lieferte er zuweilen Bilder zu dumping-Preisen oder verschenkte sie sogar. Damit hat er seine Heimatstadt wie kein zweiter Künstler geprägt.

 

Allein die Scuola Grande di San Rocco, Sitz einer Bruderschaft, verfügt über einen Zyklus von 56 Gemälden, an denen er 22 Jahre lang arbeitete. Auch der Dogenpalast enthält zahlreiche Monumentalbilder von ihm, darunter „Das Paradies“ im Saal des Großen Rates. Das seinerzeit größte Tafelbild der Welt wurde von Veronese begonnen und nach dessen Tod von Tintoretto vollendet.

 

Mehr ab September in Venedig

 

Leider lässt diese Ausstellung solche Großtaten völlig unerwähnt – sie hält sich strikt an ihre selbst gesetzte Altersgrenze. Andererseits: Das reife Werk ist im Wortsinne untrennbar mit Venedig verbunden; allein hier kann die umfassende Jubiläumsschau stattfinden, die Anfang September im Dogenpalast und Gallerie dell’Accademia beginnen wird. Und sie wird ein halbes Jahrtausend Tintoretto gewiss mit pomp and circumstances zelebrieren.