Wenn ein Museum den 500. Geburtstag eines Malers feiert, geschieht das üblicherweise mit einer gravitätischen Gedenkschau: Der Jubilar ist längst in den Olymp entrückt. Sein Werk zählt zum Kanon abendländischer Kultur; Kunsthistoriker haben es mit jahrzehntelanger Forschung bis ins kleinste Detail entschlüsselt. Das wird mit einem festlichen Hochamt von Retrospektive besiegelt.
Info
Tintoretto -
A star was born
06.10.2017 - 28.01.2018
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten 40, Köln
Katalog 35 €
07.03.2018 - 01.07.2018
täglich 10.30 bis 19 Uhr,
freitags bis 22 Uhr
im Musée du Luxembourg,
19 rue de Vaugirard, Paris
Furchterregendster Intellekt der Malerei
Seinen eigenwilligen Charakter beschrieb Giorgio Vasari, der Erfinder der Kunstgeschichte, bereits 1568: „In allem was die Malerei anbelangt aber ist er wunderlich, kapriziös, schnell und kühn und der furchterregendste Intellekt, den die Malerei je besessen.“ Deshalb tut diese Ausstellung, die ab März im Pariser Musée du Luxembourg zu sehen ist, gut daran, sich auf die ersten 20 Jahre seiner Laufbahn zu konzentrieren. Im Frühwerk wird seine irrwitzige Experimentierfreude besonders deutlich: Viele Gemälde wirken so unterschiedlich, dass Laien sie kaum demselben Künstler zuschreiben würden.
Impressionen der Ausstellung; © ARTinWORDS
Suche nach Double-Spuren
Fachleute oft ebenso wenig: Bei etlichen Bildern wird seit langem darüber debattiert, ob und in welchem Umfang Tintoretto sie geschaffen hat. Was auch am damaligen Kunstbetrieb lag: Berufsanfänger gingen bei einem etablierten Meister in die Lehre und wirkten als Gehilfen an vielen Leinwänden mit – bevor sie ihre eigene Werkstatt einrichteten und ihrerseits Assistenten beschäftigten.
So arbeitete Tintoretto offenbar zehn Jahre lang mit einem ansonsten fast unbekannten Maler namens Giovanni Galizzi zusammen, der an manchen Gemälden beteiligt war und andere möglicherweise kopierte. Der Suche nach Spuren dieses Phantoms widmet die Schau eine eigene Abteilung: „Tintoretto und sein Double“.
Parodie auf Akademiker-Streitlust
Klar ist jedenfalls: Mit Farben kam Tintoretto schon als Kind in Berührung. Sein Vater war Färber; der Rufname seines Sohnes bedeutet „Färberlein“. Er machte sich schon als 20-Jähriger selbstständig – und rasch mit exzentrischen Bild-Kompositionen auf sich aufmerksam. Diese kontrastiert Kurator Roland Krischel mit ähnlichen Gemälden der Epoche; so lassen die rund 60 Exponate anschaulich werden, wie gewagt Tintorettos Arbeiten seinen Zeitgenossen erscheinen mussten.
Etwa „Jesus unter den Schriftgelehrten“ von 1539: Der Erlöser sitzt als strahlende, aber winzige Gestalt am Ende einer Säulenhalle, nur von Maria am vorderen Bildrand beachtet. Dagegen sind die Gelehrten vollkommen mit sich und ihren dickleibigen Folianten beschäftigt; alle rufen und gestikulieren heftig. Rechts halbwegs gesittet als gestaffelte Reihe von Häuptern, links in wildem Durcheinander – wenn das keine Parodie auf Akademiker-Streitlust ist!
Von unten in den Schritt blicken
Dabei konnte Tintoretto auch ganz anders: Zur gleichen Zeit schuf er ein „Liebeslabyrinth“, das wahrscheinlich als Hochzeitsgeschenk diente. In dieser Allegorie auf das menschliche Leben wandeln Figuren auf zwei Wegen durch ein Hecken-Labyrinth. Eine Abkürzung führt zum kleineren Teil der Mitte; an die festliche gedeckte Tafel im größeren gelangt nur, wer den wesentlich längeren Pfad beschreitet. Die moralische Botschaft lautet eindeutig: Fleiß und Beharrlichkeit werden belohnt – verpackt in einer originellen Darstellung. Es ist kein anderes Gemälde mit einer zweigeteilten Labyrinth-Mitte bekannt.
Noch verwegener wirken zwei achteckige Tafeln, die ursprünglich in einer Kassettendecke aus Holz gefasst waren. Ein Personen-Paar, die eine Götterstatue anbeten, zeigt Tintoretto aus extremer Untersicht; man blickt ihnen quasi in den Schritt, ihre Gesichter bleiben verdeckt. Nebenan windet sich Jupiters Geliebte Semele in Qualen auf einem Tisch, während seine Blitze sie verbrennen; der Betrachter wird von unten Zeuge der Szene.
Fassaden-Fresken als Eigenwerbung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" - gute Einführung in den florentinischen Manierismus im Städel Museum, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Fantastische Welten - Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500" - hervorragender Überblick über nordeuropäischen Manierismus in der Kunst um 1500 in Frankfurt/ Main + Wien
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Das Jahrhundert Vasaris" - schöne Kabinett-Schau über "Florentiner Zeichner des Cinquecento" in der Gemäldegalerie, Berlin
und hier einen Bericht über den Film "Das Venedig-Prinzip" - anschauliche Doku über die Lagunen-Stadt von Andreas Pichler.
Eine Hausfassade an der Wasserstraße zwischen Rialto und Dogenpalast schmückte er 1546 mit Fresken voller trompe l’œil-Effekte – etwa riesigen Händen und Füßen, die das Gebäude in die Höhe zu stemmen scheinen. Dafür soll der Maler nur den Preis der Pigmente verlangt haben; die Wandbilder in bester Lage waren erstklassige Werbung für ihn.
Zyklus von 56 Gemälden
Im reichen und kultivierten Venedig herrschte starke Konkurrenz auf dem Kunstmarkt. Tintoretto verstand, sich durchzusetzen: Um an prestigeträchtige Aufträge zu kommen, lieferte er zuweilen Bilder zu dumping-Preisen oder verschenkte sie sogar. Damit hat er seine Heimatstadt wie kein zweiter Künstler geprägt.
Allein die Scuola Grande di San Rocco, Sitz einer Bruderschaft, verfügt über einen Zyklus von 56 Gemälden, an denen er 22 Jahre lang arbeitete. Auch der Dogenpalast enthält zahlreiche Monumentalbilder von ihm, darunter „Das Paradies“ im Saal des Großen Rates. Das seinerzeit größte Tafelbild der Welt wurde von Veronese begonnen und nach dessen Tod von Tintoretto vollendet.
Mehr ab September in Venedig
Leider lässt diese Ausstellung solche Großtaten völlig unerwähnt – sie hält sich strikt an ihre selbst gesetzte Altersgrenze. Andererseits: Das reife Werk ist im Wortsinne untrennbar mit Venedig verbunden; allein hier kann die umfassende Jubiläumsschau stattfinden, die Anfang September im Dogenpalast und Gallerie dell’Accademia beginnen wird. Und sie wird ein halbes Jahrtausend Tintoretto gewiss mit pomp and circumstances zelebrieren.