
„Wir müssen reden!“ findet das Albertinum Dresden. 150 Werke der ostdeutschen Malerei und Plastik hat Chefin Hilke Wagner aus dem Depot wieder ans Licht geholt. Dass viele kapitale Stücke aus DDR-Zeiten in den letzten Jahren stillschweigend beiseite geräumt worden waren, hatte zuletzt heftigen Protest entfacht. Jetzt steht die heiße Ware erneut zur Debatte. Ist die Zeit endlich reif für eine entkrampfte, differenzierte Begegnung mit der Kunst des verschwundenen Landes DDR?
Info
Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949 – 1990
15.06.2018 - 07.01.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Albertinum, Dresden
DDR-Institutionen wirkten zusammen
Und sonst? Das Gespräch ist eröffnet. Seit 1952 sitzt das „Hausfriedenskomitee“ von Rudolf Bergander unbeirrbar ins Denken und Diskutieren vertieft. Wie auf einer Bühne hat der langjährige Dresdener Akademiedirektor seine Akteure gruppiert: Das wirkt glaubwürdig, aber trotzdem gespielt.
Als Programmbild für die Abteilung „Sozialistische Gegenwartskunst“ wurde das Gemälde 1960 mithilfe des DDR-Kulturfonds erworben. Wie die verschiedenen Institutionen im Staat beim Aufbau der Albertinums-Sammlung zusammenwirkten, zeigt die chronologisch nach Ankaufsjahren gehängte Schau ebenfalls auf.
Grau-rot-gold
Es beginnt Grau in Grau und blutig Rot: Bevor 1949 der „Sozialistische Realismus“ ausgerufen wurden, verarbeiteten die Maler den Kriegsschrecken in expressiver Symbolik. Hans Lachnit setzt eine verzweifelte Mutter in eine halbabstrakte Trümmerlandschaft. Als formalistisch beargwöhnt, gelangte das Bild erst mit Verspätung 1957 in die Sammlung.
Ähnlich erging es Hans Grundig. Mit echtem Blattgold überzog er den kahlen Boden eines KZ-Lagers, auf dem starr und kantig verkrampft die „Opfer des Faschismus“ liegen: tot. Dieses Meisterwerk hat zeitlose Gültigkeit.
Ideologiekonforme Helden
Aber gilt das auch für Willi Sittes monumentales Soldatentriptychon „Die Überlebenden“ von 1963, das vis-á-vis hängt? Der spätere Chef des mächtigen DDR-Künstlerverbands ließ sich von Picassos Monumentalbild „Guernica“ von 1937 und George Grosz beeinflussen, formt aber ideologiekonforme Helden aus dem Schlamm der Geschichte.
Werner Tübkes winziges „Requiem“ dagegen bemüht die manieristische Feinpinselei Alter Meister, um die Zeit stillzustellen und der Gegenwart zu entschlüpfen. Eine Zimmerbrigade malt er wie eine Sacra Conversazione der Renaissance. Dass Tübkes detailverliebte Gemälde nie eindeutig zu enträtseln waren, machte sie anfangs umstritten. Eine ideologisch wasserfeste Botschaft lieferten auch die anderen Stars der Leipziger Malerschule nicht.
Seltene Politikerporträts
Johlend und stampfend rollt Wolfgang Mattheuers übermütiger „Sisyphos“ 1972 seinen Stein bergab in den Abgrund, statt ihn brav auftragsgemäß bergan zu wuchten. Frei von subversiven Doppelbödigkeiten hingegen blicken einem „sozialistische Persönlichkeiten“ entgegen: der Schach spielende Arbeiter, die sportlich radelnde Familie, die selbstbewusste Traktoristin. Auf leisen Sohlen geht der Dichter Brecht in Bronze vorüber und lächelt fein, das alte Schlitzohr.
Der marmorne Lenin kam bei einem Kunst-Tausch aus der UdSSR. Insgesamt aber blieben Politikerporträts in der Sammlung die Ausnahme. Viel Dresdener Malerei ist zu sehen, angefangen von den Altmeistern Rosenhauer und Hegenbarth, auch viel unverfängliche Landschaft. Sie bot den Malern experimentellen Spielraum.
Öffnung in der Ära Honecker
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hinter der Maske - Künstler in der DDR" - umfassende Überblicks-Schau im Museum Barberini, Potsdam
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft" – Retrospektive eines der bekanntesten DDR-Künstler in der Kunsthalle Rostock
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das große Welttheater" mit Werken des DDR-Künstlers Bernhard Heisig im Kunst-Raum des Bundestags, Berlin.
und hier einen Beitrag zur Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" - große Vergleichs-Schau in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden.
Der Dresdener erlangte seinen verdienten Platz in der Sammlung erst 1990, sprich postum. Da war auch der Staat, in dem er seine klaren, schönen Faltungen schuf, schon Geschichte. Am Ende der Ära Honecker wurden selbst die wilden Farbmaterialschlachten von Angela Hampel und Hubertus Giebe toleriert, sogar angekauft. Längst schlugen sich die Kulturfunktionäre nun mit anderen aufmüpfigen Phänomenen wie Aktionskunst und Performance herum.
Propaganda-Wimmelbild
Peng! Atompilze schießen in den grellorangenen Himmel. „Die freie Welt des Imperialismus“ türmt sich auf einer Riesenleinwand im Comicstil wie ein moderner Turmbau zu Babel auf, gespickt mit der Kapitalkraft von Konzernen wie Shell, Ford und AEG. Das kuriose Propaganda-Wimmelbild, 1958 datiert, stammt von Oscar Nerlinger, den man eher als Avantgardisten der 1920er Jahre kennt.
Still und laut, penibel gepinselt oder wuchtig hingestrichen, vom „Bitterfelder Weg“ 1959 bis zu den kulturpolitischen Lockerungen der Spätphase: Die Ostkunst des Albertinums lohnt einen zweiten Blick, bevor sie womöglich wieder ins Depot entschwindet.