Alternde Künstler haben es schwer. Die Lebenskraft schwindet, das Publikum erwartet weiterhin Großartiges, und dann sind da auch noch die Fallstricke der Libido. Pablo Picasso (1881-1973) startete mit mehr als 70 Jahren noch einmal neu durch. An der Seite seiner letzten Partnerin Jacqueline Roque stürzte er sich in die Arbeit, als verhindere pausenloses Schaffen das Verrinnen der Zeit. Jetzt ist sein spätes Werk im Museum Barberini in Potsdam zu sehen.
Info
Picasso – Das späte Werk
09.03.2019 - 16.06.2019
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr,
samstags bis 21 Uhr
im Museum Barberini, Alter Markt, Potsdam
Katalog 29,95 €
Befremden beim Publikum
Zuvor gibt es in Potsdam nun einen Einblick in diese zahlenmäßig umfangreichste Picasso-Kollektion überhaupt. Die pointierte Auswahl von rund 100 Werken zeigt einen Künstler, den man so noch nicht kannte. Der späte Picasso ist kein Publikumsliebling. Die uferlose Viel- und Schnellmalerei seiner letzten Lebensphase, als er sich mit seiner zweiten Ehefrau Jacqueline Roque in Südfrankreich niederließ, befremdete zu Lebzeiten sein Publikum.
Impressionen der Austellung; © Kunstleben Berlin
Malen gegen den Tod
Picasso eckte an. Ratlos standen die Zeitgenossen vor der expliziten Erotik, dem allzu lässigen Pinselschwung, den unendlichen Variationsreihen nach Alten Meistern: Waren dem Jahrhundertkünstler auf der finalen Wegstrecke seines Lebens die Ideen ausgegangen? Seit Picassos Tod sind mehr als 45 Jahre vergangen. Es scheint an der Zeit, sein spätes Schaffen unvoreingenommen und mit frischem Blick zu würdigen.
Wer an Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat und andere malwütige Künstler späterer Generationen gewöhnt ist, kann mit den furios freien Arbeiten dieses Alten Wilden vermutlich mehr anfangen, als das Publikum der 1950er und 60er Jahre. Die Wiederentdeckung der lange geschmähten Spätperiode Picassos läutete 2006 Werner Spies mit seiner Monografie „Malen gegen die Zeit“ ein. Er deutete die enorme Produktivität Picassos als panische Angst vor dem Tod.
Ein ungleiches Paar
Dabei kamen vor allem die zahllosen Aktdarstellungen aufs Tapet, an denen der älter werdende Picasso wie manisch arbeitete. In der Potsdamer Ausstellung stehen nicht die nackten Frauen und entblößten Geschlechtsteile im Fokus. Vielmehr lenken Themenräume den Blick auf die stilistische und technische Bandbreite, auf die künstlerischen Strategien und variantenreichen Sujets des späten Picasso.
Zentralgestalt dieses vielgestaltigen Kosmos ist eine einzige Frau: Jacqueline. Um sie kreist Picassos Malen, Zeichnen, Gestalten und Denken. In nahezu jedem Werk der Ausstellung ist sie präsent, ob sichtbar oder unsichtbar. 1952 lernten sich das ungleiche Paar im südfranzösischen Töpferdorf Vallauris kennen: der weltberühmte Künstler und die 45 Jahre jüngere Frau, die als Verkäuferin in einer Keramikgalerie arbeitete und mit ihrer Tochter Catherine aus geschiedener Ehe zusammenlebte.
Jacqueline wird zur Vase
Picasso soll ihr täglich eine Rose gebracht haben, bevor sein Werben Erfolg hatte. Am 2. Juni 1954 malte Picasso sein berühmtes Porträt „Madame Z“ in knalligem Rot und Blau. Damit stellte er seine neue Partnerin, noch ohne ihren Namen zu nennen, der Öffentlichkeit vor. Wie in einem noblen Profilporträt der Renaissance, aber kubistisch gestrafft lässt er Jacqueline vor Rosen an einem Gitter posieren. Verblüffend daran: Trotz deformierter Proportionen und extrem langem Hals wirkt sie schön, zugleich unnahbar wie ein Kristall.
Der erste Ausstellungsraum rollt das ganze Spektrum künstlerischer Techniken auf, in denen Picasso seiner Lebensgefährtin in den darauf folgenden Jahren Präsenz verlieh. Er klebte sie als schnittige Geschenkpapier-Collage aufs Blatt, formte ihren Kopf als Keramikvase und malte sie im Großformat – gern an ihrem Lieblingsplatz, dem Schaukelstuhl.
Eigensinnige Variationen alter Meister
Dann wieder zeigt er Jacqueline im offenherzigen türkischen Kostüm, als sei sie eine der „Frauen von Algier“ auf Eugéne Delacroix´ berühmter Haremsszene aus dem Louvre. Tatsächlich sah Jacqueline einer der Odalisken zufällig ähnlich. Verschiedenste Anregungen saugt Picassos schweifendes Sehen auf. Die knalligen Farben der Pop Art, die Modetrends der 1960er Jahre, die Bildtypen der klassischen Kunstgeschichte – alles amalgamierte er.
Sein „Dialog mit den Alten Meistern“, so der Titel eines Themenraums, wird gerade im Spätwerk zur Triebfeder. Die Journalistin Hélène Parmelin besuchte ihn im Atelier: „Man hört Picasso oft sagen, dass alle Maler bei ihm im Atelier sind, wenn er malt. Oder vielmehr hinter ihm. Und sie schauen ihm zu.“ Beispielhaft zeugen davon die eigensinnigen Variationen auf Édouard Manets „Frühstück im Grünen“ oder auf die Interieurs des alten Konkurrenten und Künstlerfreundes Henri Matisse.
Picasso malt ausnahmsweise Alltag
Gemeinsam mit Jacqueline schuf sich Picasso in wechselnden Wohnsitzen seine eigene Welt. Anfangs hielt das Paar in der herrschaftlichen Belle-Époque-Villa „La Californie“ an der Bucht von Cannes noch glamourös Hof und empfing während der Filmfestspiele dort Stars von Brigitte Bardot bis Gary Cooper. Später entzog man sich dem Rummel hinter Privatmauern, im provençalischen Chateau Vauvenargues und zum Schluss in einem Landhaus in Mougins.
Einige Werke der Ausstellung spiegeln Momente des Alltags: Vor einem wuchtigen Buffetschrank hat sich einer von Picassos Hunden ausgestreckt. Der Dalmatiner wird mit knapper Kontur stilisiert, nicht ohne Witz. Eine Fischsuppe inspirierte den Maler zu einem markanten Stillleben: Die Aale, frisch vom Markt, ringeln sich auf einem Bogen Zeitungspapier, als seien sie fast noch lebendig. Aber solche Themen sind Ausnahmen im exzessiven Schaffen des alternden Künstlers.
Trotzig gegen die Abstraktion
Es dominiert die Figur – und zwar in voller, direkter und meist unbewegter Präsenz. Seine Gestalten rückt Picasso offensiv in den Bildvordergrund; das Umfeld lässt er vielfach leer. Was ihn niemals zu langweilen scheint, ist der Mensch. Sitzfigur, Halbfigur, Ganzfigur, Kopf. Dass der Künstler gerade an diesem klassischen Motivfundus so unbeirrbar festhielt, erscheint wie eine trotzige Antwort auf den damaligen Zeitgeist.
Überall im Westen feierte in den 1950er und frühen 60er Jahren die Abstraktion ihren Siegeszug als künstlerisches Idiom. Aber so dynamisch, gestisch und frei wie die Maler des Abstrakten Expressionismus, des Informel und der Art Brut schwang auch der alte Picasso den Pinsel. Vitalismus als Methode? Ihm stand das ganze Spektrum stilistischer Ausdrucksformen zur Verfügung, das er sich im Laufe der Jahrzehnte erarbeitet hatte.
Zart nur mit Bleistift
Aus der Ära des Kubismus, den er einst mit Georges Braque aus der Taufe gehoben hatte, griff er nun die Mehransichtigkeit der Figur wieder auf. Zugleich im Profil und frontal zeigt die „Frau mit Hut“ ihr Gesicht. Auch für sie diente Jacqueline als Vorbild. Gern setzt der Maler auf die Linie, eine Arabeskenkontur umreißt die „Stehende Frau“, bei der jeder Strich sitzt.
Hintergrund
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Selbstbefragung durch Männerfiguren
Für Picasso kann es nicht das eine große Meisterwerk geben. Er setzt immer wieder neu an, ein unendlicher Prozess. „Eigentlich ist das Allerschrecklichste für einen Maler die weiße Leinwand“, gibt er zu Protokoll. Ganz zum Schluss, nach Jahren der Konzentration auf die weibliche Figur, treten plötzlicher wieder Männergestalten auf. Es sind Matadore, Musketiere, Männer in Macho-Rollen. Sie zeigen monumentale Präsenz, aber auch Nachdenklichkeit.
Mal lassen bärtige Gesellen an einen Christus denken, mal mit Strohhut und Pfeife ausstaffiert an die berühmten Selbstbildnisse von Vincent van Gogh. Sie sehen nicht aus wie Picasso. Aber in diesen männlichen Akteuren befragt der Künstler sich selbst und die Erinnerung an seinen Vater. Bis zum Schluss lässt Picasso den Pinsel nicht sinken: Wer malt, ist nicht tot.
Offenes Ende
Den Schlussakzent der Ausstellung setzt ein unvollendetes Großformat. „Figuren“ stand am 8. April 1973 auf der Staffelei, als Picasso starb. Was das mit pastosen Farbmassen durchfurchte Großformat darstellen sollte, bleibt offen. Aber die wuchtigen schwarzen Konturen behaupten sich, vital bis zuletzt.