
Die große Zeit des Modeschöpfers Jean Paul Gaultier ist schon eine Weile vorbei. Seine eigenwillige Ästhetik weist ihn eindeutig als Kind der 1980er und frühen 1990erJahre aus. Schrill, bunt, verspielt und postmodern; so lässt sich sein Schaffen umschreiben. Im Lauf der Jahre ist das ehemalige enfant terrible des Modebetriebs – mit seinen bretonischen Ringelpullis und dem gebleichten Haarschopf stilisierte er sich selbst zur Pop-Ikone – eine Art grauer Eminenz der Branche geworden.
Info
Jean Paul Gaultier: Freak & Chic
Regie: Yann L'Hénoret
96 Min., Frankreich 2018;
mit: Jean-Paul Gaultier, Tonie Marshall, Gilles Blanchard
Premiere in den „Folies Bergère“
Damit erfüllte sich der Designer, unterstützt von der kürzlich verstorbenen Schauspielerin und Regisseurin Tonie Marshall, einen Lebenstraum: seine eigene Lebensgeschichte als Revue auf die Bühne zu bringen, mit seinen legendären Kreationen und neuen Kostümen. 2018 feierte die Show ihre Premiere im Pariser Varietétheater „Folies Bergère“. Seither reist die „Fashion Freak Show“ durch die Welt; zuletzt gastierte sie in Russland.
Offizieller Filmtrailer
Wilder Ritt durch Leben + Laufbahn
Der Dokumentarfilm „Jean Paul Gaultier: Freak & Chic“ erzählt von den Vorbereitungen und ein wenig auch von den Hintergründen, ganz im Sinne einer klassischen Auftragsarbeit. Zwei Jahre lang begleitete der Regisseur Yann L’Hénoret den Entstehungsprozess der Show; auf recht konventionelle Weise. Bei den Bildern lässt L’Hénoret sich kaum etwas Überraschendes einfallen. Dennoch wird auf visueller Ebene bei diesem überbordenden Spektakel viel – bisweilen überfordernd viel – geboten.
Die Show und dieser Dokumentarfilm, der weitgehend der Show-Dramaturgie folgt, sind nicht nur ein wilder Ritt durch Leben und Laufbahn des 1952 geborenen Designers. Sie erinnern auch daran, dass er mit seinen Themen immer noch mehr auf der Höhe der Zeit ist, als sein etwas aus der Mode gekommener Stil signalisiert.
Teddy als Show-Moderator
Mit seinen Kreationen hinterfragte Gaultier Geschlechtergrenzen bereits zu einem Zeitpunkt, als das noch längst nicht jeder machte. Zudem schickte er dicke oder ältere Models über den Laufsteg, lang bevor es eine gesellschaftliche Diskussion über Size-Zero-Models und unrealistische Körperbilder gab. Dieser anarchisch-bunte, inklusive Geist weht auch durch die Show.
In 20 Bildern werden die zentralen Stationen seines Lebens aufgeblättert; sich selbst lässt Gaultier von zwei jungen Tänzern mit Streifenhemd und Blondschopf spielen. Anmoderiert wird die Show übrigens von einer lebensgroßen Nachbildung des Teddys, dem Gaultier im zarten Alter von sieben Jahren einen kegelförmigen Büstenhalter annähte – was man also als Vorläufer des konischen BHs betrachten darf, mit dem er Madonna 1990 auf ihre legendäre „Blond Ambition“-Tour schickte. Dieses Accessoire kommt in der Show natürlich auch vor.
AIDS-Tod des Lebensgefährten
Hintergrund
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Ohne Menuge hätte er sicher nicht so früh seine eigene Firma gegründet, wie er in einem der sporadisch eingestreuten Kurzinterviews verrät. Die Show ist also nicht nur Nummernrevue, die sich von Karrierehöhepunkt zu -höhepunkt hangelt. Leider fügt der Dokumentarfilm ihr wenig Neues hinzu. Man erfährt kaum mehr über den Designer als das, was Gaultier ohnehin schon in seine exaltierte Show gepackt hat. Kritische Rückfragen fehlen völlig; die eine oder anders fragwürdige Inszenierung gab es in seiner Karriere schließlich auch.
50 Jahre Popgeschichte
Der Film erweist sich als Doku-Porträt, bei dem der Porträtierte das Heft in der Hand behält und seine eigene Lebensgeschichte inszeniert. Dabei wird kurzweilig gezeigt, wie der perfektionistische, aber zugänglich wirkende Gaultier auf sein Leben blickt, wobei viele durchaus spannende Aspekte seiner Biographie unerwähnt bleiben. Alles in allem ein unterhaltsamer Rundumschlag zu 50 Jahren Popgeschichte anhand seiner Biographie, allerdings brav in Szene gesetzt.