Hamburg

»Paris ist meine Bibliothek«: Zeichnungen und Druckgraphik von Félicien Rops

Jean de la Palette (1865–1923) nach Félicien Rops: Die Versuchung des Heiligen Antonius, Radierung, 186 x 138 mm. © Hamburger Kunsthalle / bpk. Foto: Christoph Irrgang
Die Busen des Bösen: Der belgische Baudelaire-Illustrator Félicien Rops karikierte die Doppelmoral des Fin de Siècle in drastisch expliziten Szenen. Die Kunsthalle präsentiert sein abgründig schillerndes Werk – keiner brachte Sex, Satan und Sarkasmus so virtuos aufs Papier wie er.

„Paris ist meine Bibliothek“: Das Zitat, das als Titel dieser Ausstellung dient, führt ziemlich in die Irre. Es suggeriert einen Flaneur, der geruhsam stöbernd durch die französische Hauptstadt schlendert – doch der belgische Künstler Félicien Rops (1833-1898) war alles andere als das. Seine Geisteshaltung beschreibt eher der kühne Vergleich: „Ich habe eine zerkratzte Seele, als hätte der Teufel eine hungrige Katze darin eingesperrt“ – ein Satz aus einem der circa 3000 (!) Briefe, die von ihm erhalten sind.

 

Info

 

»Paris ist meine Bibliothek«: Zeichnungen und Druckgraphik von Félicien Rops

 

10.02.2023 - 07.05.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

in der Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Hamburg

 

Katalog 36 €

 

Weitere Informationen

 

Oder, aus einem anderen Brief: „Tugendhaft kann ich nicht sein, scheinheilig will ich nicht sein, Rops bin ich.“ Exzentrischen Nonkonformismus konnte er sich leisten: Der Sohn eines Textilfabrikanten erbte 1856 ein Vermögen, das ihm einen gehobenen Lebensstil erlaubte. Zugleich frönte er zeitlebens seiner Lust am Zeichnen; durch seine drastischen Darstellungen mit häufig antiklerikaler Ausrichtung machte er sich rasch einen Namen.

 

Polygame Dreiecksbeziehung

 

Da es ihm im heimatlichen Belgien bald zu eng wurde, besuchte er in den 1860er Jahren oft Paris, wo er sich 1874 endgültig niederließ – dort kostete er das Angebot an Kultur und Amüsement voll aus. Auch das amouröse: Nach der Trennung von seiner belgischen Frau hatte Rops zahlreiche Affären. Währenddessen lebte er mit den Schwestern Léontine und Aurélie Duluc, die gemeinsam ein Modehaus führten, bis zu seinem Tod in einer polygamen Beziehung zusammen; mit beiden hatte er je ein Kind.

Impressionen der Ausstellung


 

Giftigste Blüte des Symbolismus

 

Obwohl der Freigeist ein gefragter und hoch bezahlter Illustrator war – etwa für Werke seines Freundes Charles Baudelaire oder der symbolistischen Dichter Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé – und dafür 1888 mit dem Orden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet wurde, ist er hierzulande wenig bekannt. Die beiden einzigen größeren Rops-Sammlungen in Deutschland gehören den Kunsthallen in Bremen und Hamburg. Von letzterer werden nun rund 100 Blätter ausgestellt; die meisten zum ersten Mal.

 

Warum seine Arbeiten so selten präsentiert werden, springt im Graphik-Kabinett der Kunsthalle sofort ins Auge. Anfangs orientierte sich Rops am Realismus, und etwa 20 für diese Werkphase typische Motive – vor allem Landleute und Genreszenen – werden auch gezeigt. Doch in Paris fand er zu seinem ureigenen, erotisch aufgeladenen Bilderkosmos; die „giftigste Blüte des Symbolismus“ hat man ihn genannt. Dafür kombinierte Rops den Pomp des Fin de Siècle mit morbider Dekadenz und überbordender Fantasie zu so sinnesprallen wie doppelbödigen Szenen, die immer noch sprachlos machen.

 

Stets auf Seiten der Sinneslust

 

Zweifellos kitzeln sie die Schau- und Sensationslust, allein schon durch ihr Format: Auf großen Papierbögen sind die mittigen Drucke meist klein gehalten. Um alle Einzelheiten zu erkennen, muss der Betrachter sich nah heran beugen – womit er die gleiche Voyeur-Pose einnimmt, die Rops gern karikierte. Etwa in den vielen Zeichnungen, mit denen er die breiten Ränder bedeckte; von Detailstudien und Vignetten bis zu eng beschriebenen Text-Täfelchen.

 

Was man beim neugierigen Beäugen zu sehen bekommt, spottet jeder geläufigen Moral. Da tummeln sich meist spärlich bekleidete – doch fast nie nackte – Frauen, aber auch Männer mit grotesk erigierten Gliedern in mal krass expliziten, mal surreal überzeichneten Tableaus. Wie die Naturalisten eine Generation nach ihm hat Rops keine Scheu, alles Kreatürliche auszubreiten – und wie große Karikaturisten der Generation vor ihm, etwa Honoré Daumier (1808-1879), spießt er genießerisch die Doppelmoral der Gesellschaft auf. Sein Thema ist der Widerspruch zwischen Schein und Sein, wobei sich Rops stets auf die Seite der raffinierten Sinneslust schlägt.

 

Als Masturbationsvorlage ungeeignet

 

Ist seine Kunst pornographisch? Sicherlich für die heutige, schlicht gestrickte Neoprüderie, die schon das Entblößen und Sich-Weiden an nackter Haut als sexistisch brandmarkt. Aus juristischer Sicht, die darunter die Stimulation sexueller Erregung beim Zuschauer versteht, eher nicht: Als Masturbationsvorlage taugen die wenigsten von Rops’ Werken. Zwar räkeln sich manche Frauen lasziv wie passive Sexualobjekte, doch mitunter nehmen sie sich entschieden, was sie wollen – von zappelnden Gespielen bis zu lesbischen Gespielinnen.

 

Vor allem aber sind etliche seiner Arbeiten viel zu komplex, um sie darauf zu reduzieren. Im Stil barocker Allegorien häuft Rops eigentlich unvereinbare Elemente an und zieht damit eine Bedeutungsebene nach der anderen ein, bis sie kaum noch entschlüsselbar sind. Etwa auf seiner berühmten Farbradierung „Die Dame mit dem Schwein [Pornokrates]“ von 1896: Die Benennung bezieht sich auf das frauenfeindliche Pamphlet „La Pornocratie“ (1875) des Frühsozialisten Pierre-Joseph Proudhon, doch die Darstellung ist höchst vieldeutig.

 

Wer beherrscht wen?

 

Eine nur mit Kopfputz, Handschuhen, Strümpfen und Schuhen bekleidete Frau, deren Augen verbunden sind, lässt sich von einem Schwein führen, das sie an der Leine hält. Unter ihr grämen sich auf einem Fries vier Putten als Vertreter von Bildhauerei, Musik, Dichtkunst und Malerei – offenbar sind die klassischen Disziplinen ins Abseits geraten. Über ihnen flattern drei andere Putten ekstatisch am Firmament.

 

Auch wenn man das Schwein als Verkörperung des Mannes oder von niederen Regungen wie Begierde und Verderbtheit deutet: Gibt es der Frau die Richtung vor, oder wird es von ihm dirigiert? Wer beherrscht hier wen – und was haben die Künste damit zu tun? Sofort nach Veröffentlichung erregte das Werk Aufsehen, doch bis heute hat sich keine schlüssige Interpretation durchgesetzt.

 

Obszöne Antiken-Fantasie

 

Noch bizarrer und zugleich rätselhafter wirkt die Serie „Die Satanischen“ (1881/2). Auf dem ersten Blatt stapft der Teufel mit Riesenschritten übers nächtliche Paris und sät weibliche „Spreu“ aus. Auf weiteren Blättern penetriert ein fliegender Dämon ein Weib mit einem Besenstiel, ein anderer stranguliert eine gekreuzigte Frau. Besonders absurd erscheint „Das Götzenbild“: Eine Frauengestalt klammert sich an eine Stele und küsst eine Helmbüste, beidseitig flankiert von mannshohen Fackeln in Phallusform. Das Arrangement wirkt wie eine obszöne Antiken-Fantasie aus Hollywoods überkandidelter Stummfilmzeit.

 

Solche irrwitzigen Motive gelten Kritikern als Belege für die Misogynie der Epoche: Männer hätten um ihre Macht gefürchtet, da die Industrialisierung soziale Regeln auflöste und arbeitende Frauen selbstständiger werden ließ – und daher letztere als triebhafte und bedrohliche Femmes fatales dämonisiert. Diese arg simple Geschichtsauffassung wird dadurch nicht stimmiger, dass einer sie vom anderen abschreibt.

 

Schäferstündchen mit Sensenfrauen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Femme Fatale: Blick – Macht – Gender" – Überblicksschau zu erotisch aufgeladenen Männerfantasien des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "SUSANNA – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo" – hervorragende Themenschau zum Vergewaltigungs-Motiv im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Dekadenz und dunkle Träume – Der belgische Symbolismus" – hervorragende Epochenschau mit Werken von Félicien Rops in der Alten Nationalgalerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Daumier ist ungeheuer!" - grandioser Überblick über das Gesamtwerk von Honoré Daumier im Max Liebermann Haus, Berlin.

 

Malochen mussten Bäuerinnen und arme Industriearbeiterinnen; Bürgersfrauen ließen ihr Gesinde schuften, litten aber selbst unter einem engen Etikette-Korsett. Der befremdliche Boom übersexualisierter Frauenbilder Ende des 19. Jahrhunderts hat einen anderen Grund: Bevölkerungswachstum und Urbanisierung beförderten die Armutsprostitution, denn die meisten Jobs für Frauen waren miserabel bezahlt. Dadurch grassierte die Syphilis – damals eine unheilbare und langfristig tödliche Krankheit, der auch Genies wie Schubert, Nietzsche und Baudelaire erlagen.

 

Erotik und Sex waren nun für Männer leichter verfügbar als je zuvor; andererseits konnte one wrong fuck jederzeit ein Todesurteil fällen. Diese fatale Angstlust brachte Krisenkunst zu ihrer Bewältigung hervor, in denen Frauen als unheilbringende Fabelwesen dargestellt wurden, also als klassische Sündenböcke für eigene Unkeuschheit. All die Schädel und Skelette in Rops’ Werk, die sich hinter weiblichen Masken verbergen, sind demnach nicht metaphorisch, sondern buchstäblich zu verstehen – als Schäferstündchen mit Sensenfrauen.

 

Drei-Klassen-Amt für Fortpflanzung

 

Was bei vielen seiner Zeitgenossen pathetisch und schwülstig daherkommt, zeugt bei Rops aber von sarkastischem Humor, gepaart mit Sozialkritik. Etwa bei drei Federzeichnungen über ein „Amt für künstliche Fortpflanzung“: Auf dem ersten Blatt lässt sich eine junge Schöne „mit reichen Illusionen“ von einem feinen Galan im Frack befruchten – samt Aufzieh-Schraube am Rücken. Auf dem zweiten Blatt „mit einfachen Illusionen“ übernimmt eine Maschine die Insemination. Der Frau auf dem dritten Blatt „ohne Illusionen“ muss ein Klistier genügen. Geschmacklos oder nicht: Jedenfalls sind die Klassenverhältnisse treffend skizziert.