All diese Porträts von Menschen, die keiner mehr kennt! Ist das nicht todlangweilig? Der niederländische Barockmaler Frans Hals (1582-1666) hat heutzutage ein Imageproblem. Seine graubraune Farbpalette macht es nicht besser. Lebenspralle Stoffe und dramatische Geschichten aus der Bibel und antiken Mythologie, wie sein Zeitgenosse Rembrandt von Rijn (1606-1669) sie so hinreißend effektvoll schildert, sind von dem Künstler aus der Kleinstadt Haarlem nicht zu erwarten.
Info
Frans Hals – Meister des Augenblicks
12.07.2024 – 03.11.2024
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr
in der Gemäldegalerie, Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin
Katalog 39 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Aus akademischer Sicht unakzeptabel
Nach seinem Tod wurde Frans Hals nahezu vergessen, bis man ihn Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckte. Lange Zeit hatte seine skizzenhafte Malweise als unakzeptabel schlampig gegolten. Aus akademischer Sicht war das verständlich. Doch die beginnende Moderne machte die flotte, offene Pinselführung von Hals wieder salonfähig.
Impressionen der Ausstellung
Klassisch bis dröge Präsentation
Impressionisten wie Max Liebermann und Lovis Corinth fanden das hinreißend. Genauso wollten sie es auch machen und schauten sich einiges ab. Einige ihrer Werke sind exemplarisch ebenfalls ausgestellt, quasi als Spätfolgen von Hals‘ malerischen Innovationen. Aber ihre Versuche, ihm seine Kunstgriffe und Effekte abzuluchsen, reichen an das Vorbild nicht heran.
Psychologie auf der Leinwand: Wer sich für Gefühlsregungen von Menschen und ihren Selbstdarstellungsdrang interessiert, kommt hier auf seine Kosten. Frans Hals beobachtete dermaßen treffend, dass manche dargestellte Gestalt einem geradezu vertraut vorkommt. Obwohl die Bilder in der Gemäldegalerie stark abgedunkelt präsentiert werden, also sehr klassisch, um nicht zu sagen: eher dröge. Aber unter Punktstrahlern entfalten sie dennoch ihre Wirkung.
Fröhlicher Trinker + lachende Kinder
Zu Beginn begrüßt den Besucher ein stämmiger Bursche mit Schlapphut und Lederwams. Er hebt sein Weinglas, prostet seinem Gegenüber zu, öffnet den Mund – es scheint, als sei man schon mitten drin in einer Unterhaltung. Wobei der Mann offenbar schon einiges intus hat; sein Gesicht glüht rot und erhitzt, speckig glänzen seine Wangen. Da zieht man doch lieber andere Gesellschaft vor.
Um die Ecke lachen zwei Kinder; überschäumende Fröhlichkeit springt einem entgegen. Mit wild zerzausten Haaren kümmern sie sich nicht um die gesellschaftlichen Normen und Benimmregeln der Erwachsenen. So zügellos zu lachen, dass die Zähne entblößt wurden, galt in den sittenstrengen protestantischen Niederlanden als unschicklich. Auch Frans Hals zeigt nur Betrunkene, geistig Eingeschränkte oder eben Kinder lauthals lachend.
Kinderschar als Studien-Objekt
Aber der versierte Menschenkenner hat noch andere Nuancen der Fröhlichkeit auf Lager: vom verliebten Lächeln bis zum verhaltenen Schalk, von zweideutigem Schmunzeln bis zu ansteckender Heiterkeit. Schon Renaissance-Künstler hatten versucht, lachende Menschen zu malen. Meist ähnelte das Resultat jedoch eher einer Grimasse, es wirkte starr statt fröhlich. Erst Frans Hals brachte es in dieser Disziplin zur Meisterschaft: Sein breiter, freier Farbauftrag, der vieles nur andeutet, vermag es, diesen flüchtigen Moment der Mimik festzuhalten.
Für seine unglaublich lebensnah wirkenden Kinder-Darstellungen beobachtete Frans Hals wahrscheinlich seine eigenen Nachwuchs. Aus erster und zweiter Ehe hatte er insgesamt elf Sprösslinge, von denen allerdings mehrere früh starben. Dennoch: Seine große Sippschaft wollte ernährt werden. Gottlob konnte Frans Hals, seit 1610 Mitglied der Malerzunft in Haarlem, über Mangel an Aufträgen nicht klagen. Als Werkstattleiter mit vielen Gehilfen hat er trotz beträchtlicher Konkurrenz gut verdient. Doch reich wurde er nicht; im Alter war er sogar auf finanzielle Unterstützung durch die Stadt angewiesen.
Aus Geburtsstadt Antwerpen geflohen
Zu seinen besten Zeiten konnte er es sich dagegen leisten, seine Auftraggeber nach Haarlem kommen zu lassen, damit sie ihm in seinem Atelier Modell saßen. Etliche von ihnen stammten aus Emigrantenkreisen wie er selbst: Hals war im flämischen Antwerpen zur Welt gekommen, bevor seine Eltern vor dem Einmarsch der katholischen Spanier in die nördlichen Niederlande geflohen waren und sich in Haarlem niedergelassen hatten.
Entspannt im Freien präsentiert sich ein Ehepaar auf einem großformatigen Doppelbildnis von 1622, das einiges gekostet haben dürfte. Er lehnt sich lässig an einen Baum, während sie mit verschmitztem Lächeln ihre Hand auf seine Schulter legt: Liebesglück pur. Zu sehen sind vermutlich Isaac Abrahamsz Massa und seine Gattin Beatrix van der Laen. Der schwerreiche Getreidehändler Massa zählte zu Hals‘ Freunden; in der Ausstellung ist er gleich mehrfach anzutreffen.
Panoptikum der Posen + Emotionen
Einmal hat er schlechte Laune: trotzig verschränkt er die Arme vor der Brust, wobei das filigrane Muster seines Ärmels blendend zur Geltung kommt. Eine Allegorie des Neides mit Schlangenhaaren, die ursprünglich im Hintergrund auftauchte, ist später übermalt worden; damit wollte der Kaufmann wohl auf die Missgunst seiner Konkurrenten anspielen. Massas Geschäftstätigkeit reichte bis nach Russland, was die nordische Landschaftskulisse in einem dritten Bildnis andeutet. Diesen Blick durchs Fenster ließ Frans Hals jedoch von einem Kollegen einfügen.
Er selbst blieb bei seinem Spezialgebiet: Menschen. Immer näher rückte er seine Modelle ins Bild und konzentrierte sich vor allem auf ihr Gesicht, die Nuancen der Emotionen. Neben einem fotografischen Gedächtnis muss Hals eine phänomenale Beobachtungs- und Einfühlungsgabe gehabt. Dabei dirigierte er Gelehrte, Brauereibesitzer oder Mitglieder einer Schützengilde in die zum Bild passende, selbstbewusste Pose. Viele stemmen jovial den Arm in die Hüfte oder lehnen sich lässig über die Rückenlehne eines Stuhls; solche Standardhaltungen machten Schule.
Sturzbetrunkene auf Podest
Indes: Nicht jedes Gemälde, das aussieht wie ein Porträt, ist auch eins. „Tronien“ nannte man damals Charakterstudien, die eher Typen verkörperten, obgleich sie oft lebende Menschen abbildeten. Äußerst beliebt war dieses neue Genre; Frans Hals brilliert darin. Und er erlaubt sich gerade bei solchen günstigen Bildern allerlei Freiheiten, die der Auftraggeber eines repräsentativen Porträts nicht toleriert hätte. Noch breiter, innovativer und offener handhabt er den Pinsel, was die Kundschaft offenbar zu schätzen wusste.
Paradebeispiel dafür ist die berühmte „Malle Babbe“; für sie errichtet die Gemäldegalerie eigens ein Podest. Auf dem Bild von 1640 hebt die offenbar sturzbetrunkene Frau breit grinsend ihren riesigen Zinnhumpen. Barbara Claes, so ihr Name, war eine stadtbekannte Erscheinung in Haarlem.
Defilée der Honoratioren ermüdet
Weil sie auf offener Straße Obszönes gebrüllt hatte, steckte man die „verrückte Barbara“ ins Arbeitshaus. Hals‘ skizzenhaftes Gemälde sah der französische Realist Gustave Courbet 1869 in einer Münchener Ausstellung; es begeisterte ihn derart, dass er es sofort vor Ort kopierte. Erstmals hängen beide Werke nebeneinander, fast zum Verwechseln ähnlich.
Hintergrund
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und hier einen Bericht über die Ausstellung "Wege des Barock" – opulente Präsentation zweier Sammlungen in Rom mit Werken von Caravaggio + Caravaggisten im Museum Barberini, Potsdam.
Musik im Bild
Einen großen Auftritt hat auch der „Lautenspieler“ (1623/4) aus dem Louvre: Der hübsche junger Geck im rotgestreiften Dress greift vergnügt in die Saiten. Überhaupt wird viel musiziert, auch auf Bildern seiner Meisterschülerin Judith Leyster (1609-1660), die sich ein Studio mit ihrem Maler-Gatten Jan Miense Molenaer teilte. Er war gleichfalls bei Frans Hals in die Lehre gegangen.
Dagegen ist den „Regenten des Altmännerhauses“ scheinbar das Lachen vergangen. Dieses wohl späteste Gemälde von Frans Hals ist zugleich eines der größten in der Ausstellung; er schuf es, als er mehr als 80 Jahre alt war. Zwar lässt er mit schwungvoll breitem Pinsel gekonnt die blütenweißen Ärmel und Kragen aufblitzen. Ansonsten steckt das Bild aber voll Düsternis; der rabenschwarze Hintergrund droht alles Licht zu verschlucken.
Vermächtnis ohne letzten Schliff
Müde, gelangweilt und desillusioniert schauen die sechs versammelten Herren dem Betrachter entgegen; gerade dadurch berührt das Bild. Nach Ansicht von Fachleuten fehlen die letzten markanten Akzente, die Frans Hals gewöhnlich noch setzte, um Bildern den finalen Schliff zu geben. Vielleicht kam der Hochbetagte nicht mehr dazu. Die Auftraggeber akzeptierten das Gemälde jedenfalls so radikal offen, wie es ist.