Münster

Otto Mueller

Otto Mueller: Drei Frauen im Wald (Detail), um 1920. Fotoquelle: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster
Ausstellen, um anzuschwärzen: Das LWL-Museum für Kunst und Kultur versucht, den expressionistischen Maler als rassistischen und antiziganistischen Sexisten zu entlarven. Indem es seine üble Geisteshaltung bei rund 60 Bildern nachweisen will – für deren genauere Betrachtung bleibt bei so viel Furor kein Raum.

Wer den ersten Saal der Werkschau von Otto Mueller (1874-1930) betritt, gewinnt den Eindruck, in ein Nudisten-Camp geraten zu sein. Alle Wände füllen Nackerte, meist Frauen: Sie hocken und lagern im Gras, lehnen in freizügigen Posen an Bäumen oder tollen unbeschwert durchs Unterholz. Ihre Gesichtszüge sind schematisch, was sie anonymisiert, die Reize ihrer gelängten und androgynen Körper jedoch betont. Einheitliche Farbgebung in matten Ocker- und Grüntönen lassen sie fast wie Klone wirken. Da war wohl ein eingefleischter Erotomane mit eingeschränktem Horizont am Werk.

 

Info

 

Otto Mueller

 

20.09.2024 - 02.02.2025

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

am 2. Freitag im Monat bis 24 Uhr

im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Domplatz 10, Münster

 

Katalog 36 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Einige Gestalten gewinnen im nächsten Raum mehr Profil: Er ist Muellers Ehefrauen und Lebensgefährtinnen gewidmet. Die für ihn wichtigste war Maria Mayerhofer, genannt Maschka: Ab 1899 stand sie ihm nicht nur Modell, sondern kümmerte sich auch um Beteiligungen an Ausstellungen und um Verkäufe seiner Bilder. Nachdem ihre 1905 geschlossene Ehe 1921 zerbrach, blieb sie dennoch bis an sein Lebensende seine Vertraute – obwohl er sich nacheinander drei anderen jungen Damen zuwandte.

 

Drei Beziehungen zu Schülerinnen

 

Allesamt Schülerinnen an der Kunstakademie in Breslau, an der Mueller seit 1919 Professor war; das würde ihn heutzutage vermutlich seine Stellung kosten. Auffallend an seinen Porträts von ihnen ist, dass allenfalls die Frisuren und Gesichter verschieden sind, sich aber ihre schlanken Leiber mit kleinen Brüsten stark ähneln. Entweder suchte er stets den gleichen Frauentyp aus, oder er modellierte sie sämtlich nach seinem Körperideal.

Animationsfilm "Maschka - Mein Leben mit Otto Mueller" zur Ausstellung; © LWL-Museum für Kunst und Kultur


 

Rassismus-Kritik von Ex-Parteivorsitzender

 

Das bleibt offen, denn im nächsten Raum spielt Muellers Werk eine untergeordnete Rolle. Ihn hat die Kommunikations-Wissenschaftlerin und Afro-Aktivistin Natasha A. Kelly gestaltet; die 1973 in London geborene Schwarze mit karibischen Vorfahren war auch 2020/21 knapp drei Monate lang Bundesvorsitzende der Kleinpartei „Die Urbane. Eine HipHop Partei“. Ausgehend von drei Bildern Muellers mit nackten Schwarzen präsentiert Kelly einen Rundumschlag zu Kolonialismus und Rassismus im späten Kaiserreich und der Weimarer Republik. Wovon sich der Künstler nicht explizit distanziert hat – wie empörend!

 

Muellers Malweise im engeren Sinne kommt erst im vierten Saal in den Blick. Anhand des traditionsreichen Motivs der „Badenden“ werden Werke von seiner Hand mit denen seiner Weggefährten aus der „Brücke“-Künstlergruppe verglichen. Die Unterschiede springen ins Auge. Während etwa Ernst-Ludwig Kirchner oder Max Pechstein ihre Figuren in grellen Farben kraftmeierisch auf die Leinwand spachtelten, wirken Muellers Kompositionen deutlich ausgewogener – durch harmonische Verteilung dezenter Elemente erscheinen sie delikat und leicht.

 

Das böse Z****-Wort durchstreichen

 

Das muss als nähere Betrachtung seines Malstils genügen; im nächsten Raum geht es wieder um Ressentiments und Diskriminierung. Diesmal gegenüber denjenigen, die in Muellers Bildtiteln noch „Zigeuner“ heißen – doch die Ausstellung merzt das böse Z****-Wort aus, indem sie es ausnahmslos durchstreicht und stattdessen von Sinti und Roma spricht, genauer: gegendert von Sint:izze und Rom:nja. Neben acht Bildern von Zigeunern – Mueller war von ihnen so fasziniert, dass er sechs Mal ihre Siedlungen in Osteuropa bereiste – sind großformatige Werke gegenwärtiger Romnja-Künstlerinnen wie Małgorzata Mirga-Tas zu sehen. Durchaus eindrucksvoll, aber was haben sie in dieser Retrospektive zu suchen?

 

Dass die sich wenig um den Künstler kümmert, dem sie gewidmet ist, scheint auch den Machern aufgefallen zu sein: Unter dem Titel „Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung“ geht es im letzten Raum endlich um seine Persönlichkeit. Zwar wirken seine Selbstporträts abermals wesentlich prägnanter als Bildnisse, die seine Brücke-Kollegen Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff von ihm anfertigten. Doch gelehrige Besucher haben längst begriffen: Alles Fassade – Mueller war ein verbohrter Sexist und Rassist, der Frauen, Schwarze und Zigeuner nur stereotyp und klischeelastig darstellte. Bleibt die Frage, warum man sich überhaupt mit den Gemälden dieses üblen Gesellen beschäftigen soll.

 

Falscher männlicher Blick des Malers

 

Wobei die Kuratoren dieser Werkschau keinesfalls ignorante Hexenjäger sind. Im Gegenteil: Vize-Museumsdirektorin Tanja Pirsig-Marshall hat über Mueller promoviert und sein Werkverzeichnis mit verfasst, darf also als Expertin gelten. Im Katalog, sozusagen im Kleingedruckten zur Ausstellung, schreibt sie explizit: „Mueller degradierte seine Frauen/ Lebenspartnerinnen nicht zu Objekten, sondern stand zu ihnen in einem von Gleichberechtigung geprägten Verhältnis.“ Na also – etwas Besseres kann man über einen Mann in den 1910/20er Jahren kaum sagen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maler, Mentor, Magier: Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau" im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wir gehen Baden!" – Sommerausstellung im Berliner Kupferstichkabinett mit Werken von Otto Mueller

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "130% Sprengel. Sammlung Pur" – Neupräsentation der  Klassischen Moderne im Sprengel Museum Hannover mit Werken von Otto Mueller

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Unzertrennlich – Rahmen und Bilder der Brücke-Künstler" – originelle Themen-Schau über die Expressionisten-Gruppe im Brücke-Museum, Berlin.

 

Auch an anderer Stelle werden Vorwürfe gegen den Künstler gegenstandslos. „Muellers Werke kennzeichnen das ungleiche Machtverhältnis von männlichem Sehen- und weiblichem Gesehen-Werden, das immer wieder den männlichen Blick auf den weiblichen Körper reproduziert und die Badeszenen romantisiert“, tadelt etwa der Raumtext zu den „Badenden“: Er hält also einem männlichen Künstler seinen männlichen Blick vor. Doch im nächsten Satz heißt es: „Gleichzeitig wirken viele seiner weiblichen Figuren aber auch, gerade durch ihre Androgynität, modern, selbstbestimmt und selbstbewusst.“ Offenbar haben sie es nicht nötig, durch wohlmeinende Kuratoren nachträglich rehabilitiert zu werden.

 

Sittenwächter leben vom Sünden-Anprangern

 

Was motiviert sie eigentlich zu ihrer Gesinnungskontrolle? Kaum die Kunstgeschichte, vielmehr ein ahistorisches Verständnis davon im derzeitigen Kulturbetrieb: Ein vor 95 Jahren gestorbener Maler soll gefälligst heutigen Ethik-Standards genügen. Es liegt etwas ungeheuer Hochfahrendes und abstoßend Kleinliches darin, Werke vergangener Epochen daraufhin abzuklopfen, ob ihre Schöpfer stets mit dem Grundgesetz oder der UN-Menschenrechtskonvention unter dem Arm herumgelaufen sind – beide gab es zu Muellers Lebzeiten bekanntlich noch nicht.

 

Dagegen sind Besserwisserei und Zensur wenn nicht zeitlos, so doch zumindest Jahrtausende alt: Kirchen aller Bekenntnisse prangern seit jeher die Sünden und Verfehlungen der Gläubigen an – dass sie dadurch nicht einfach verschwinden, garantiert ihre Sittenwächter-Rolle. Sie ist über die Kunstreligion des 19. Jahrhunderts auf Teile des zeitgenössischen Kulturbetriebs übergegangen. Oberlehrer-Verhalten und Denunziantentum im aktuellen Museumswesen: Das wäre doch ein schön ergiebiges Thema für eine Ausstellung.