Potsdam + Wuppertal

Maurice de Vlaminck – Rebell der Moderne

Maurice de Vlaminck: Die Brücke von Chatou, 1905, Öl auf Leinwand, 68 × 96 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024. Fotoquelle: Barberini, Potsdam
Her mit grellen Kontrasten: Die klassische Moderne beginnt im Farbenrausch der Fauvisten. Ihr neben Matisse berühmtester Vertreter war Maurice de Vlaminck: Ihm widmen nun Museum Barberini und Von der Heydt-Museum endlich die erste Retrospektive in Deutschland.

Wer Lust auf Farbenrausch verspürt, dem hat Maurice de Vlaminck einiges zu bieten. Koloristisch geht der französische Maler aufs Ganze und steigert die Kontraste, indem er grelle Töne provokant aufeinanderstoßen lässt. Jeder Farbklang scheint ihm recht zu sein, wenn es nur stark genug leuchtet: ob das Rot-Weiß-Blau der französischen Nationalfarben oder das Flirren, das beim direkten Zusammentreffen von Grün und Rot als Komplementärkontrast entsteht.

 

Info

 

Maurice de Vlaminck
Rebell der Moderne

 

14.09.2024 - 12.01.2025

täglich außer dienstags 10 bis 19 Uhr

im Museum Barberini, Alter Markt, Potsdam

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

16.02.2025 - 18.05.2025

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, Wuppertal

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Jede vorgegebene Farbenlehre lehnte der in Paris 1876 geborene Vlaminck ab: Er wollte intuitiv vorgehen, dem Drang seiner Gefühle und Empfindungen nachgeben – ähnlich wie die 1905 gegründete Künstlergruppe „Die Brücke“. In der Tat gibt es einige stilistische Parallelen zur Dresdener Malergemeinschaft. Aber während die „Brücke“ mit Ernst Ludwig Kirchner und Co. heute zu den Publikumslieblingen zählt, ist Maurice de Vlaminck eher aus dem Blick geraten.

 

Viele US-Leihgeber

 

Nun entdeckt ihn das Potsdamer Museum Barberini in Kooperation mit dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal wieder: für Vlamincks erste Retrospektive in Deutschland. Dazu haben sage und schreibe 50 Leihgeber Werke beigesteuert, was einiges über die Rezeptionsgeschichte verrät: Vlaminck ist in erstaunlich vielen Museumssammlungen der Moderne vertreten, vor allem in den USA.

Trailer zur Ausstellung. © Museum Barberini


 

Knalleffekt beim Herbstsalon 1905

 

Zudem fanden offenbar etliche Privatsammler schon früh Gefallen an den Farbgewittern des selbsterklärten Revoluzzers. Das sorgt für eine breite Auswahl. Allerdings, und das ist der Nachteil dieser Fülle: Beim Rundgang stellen sich alsbald Déjà-vu-Effekte ein. Der Maler hatte augenscheinlich nur ein beschränktes Motiv-Repertoire: Flussauf, flussab ist es vor allem die Seine, an der er sich mit malerischem Furor und Vehemenz abarbeitet.

 

Vlaminck trat erst mit knapp 30 Jahren künstlerisch in Erscheinung. Gemeinsam mit dem schon bekannteren Henri Matisse und weiteren Freunden füllte er 1905 einen Raum auf dem Pariser Herbstsalon: ein Knalleffekt mit Nachwirkung. Die intensiven Farben und breiten Pinselhiebe sprangen den Kritikern ins Auge. Fortan haftete den Künstlern das Schlagwort „Les Fauves“ an, die Wilden.

 

Vom Rennradler zum Berufsmaler

 

Eine Gruppe allerdings waren sie nie. Und der zum Einzelgängertum neigende Vlaminck war der einzige unter ihnen, dem die einprägsame Bezeichnung des Kritikers Louis Vauxcelles gefiel: ein wilder, ungestümer Instinktmaler, genau das wollte er sein. Später schrieb er: „Was ich im Leben nur als Anarchist hätte tun können, eine Bombe zu schleudern (…), das versuchte ich in der Malerei durch die ausschließliche Verwendung reiner Farben zu verwirklichen.“

 

Ein Draufgänger war Vlaminck tatsächlich. Zunächst hatte er sich und seine Familie als Radrennfahrer, Preisboxer und Stehgeiger ernährt. Seinen Plan, als Rennradler zu reüssieren, vereitelte eine schwere Typhuserkrankung. Erst die Zufallsbekanntschaft mit dem Maler André Derain – beide lernten sich bei einem Zugunglück kennen – verleitete ihn, die zuvor nur nebenbei betriebene Malerei zum Beruf zu machen; als Quereinsteiger. In den wilden Anfängen der klassischen Moderne, die alles Akademische rundheraus ablehnte, nicht der schlechteste Ansatz: Auch die Dresdener „Brücke“-Künstler kokettierten gern mit ihrem Status als Autodidakten.

 

Lange Radtouren zur Vorbereitung

 

Im ersten Raum der Ausstellung finden sich mehrere ganz frühe Werke, vor allem Figurenbilder – die arg klischeehaft aussehen. Stark geschminkte Prostituierte und Kneipengänger erscheinen im Kolorit krass und ungelenk, gewollt grell und düster zugleich. Da übt einer noch und will vor allem nicht handzahm rüberkommen. Dann entdeckt Vlaminck die freie Landschaft und lässt seine halbherzig betriebene Menschendarstellung fortan bleiben. Die Dorfansicht „Carrières-sur-Seine“ von 1905 ist ein noch tonig gehaltenes Übergangswerk, das er im Atelier nach einer Postkarte schuf.

 

Nun hellen sich Vlamincks Farben auf und gewinnen Strahlkraft: die einsetzende Fauves-Periode gilt als der Höhepunkt seines Werks. Sie umfasst nur wenige Jahre, war hochproduktiv und nimmt in der Ausstellung breiten Raum ein. Die Ufer der Seine und die Dörfer im Pariser Umland hat Vlaminck bereits früher auf langen Fahrradtouren erkundet: „Ich schmeckte den Staub, fühlte den Regen, kämpfte gegen den Wind. (…) Die Sinne erfassten das Wesen von Raum und Freiheit.“

 

Friedlicher Angler in schreienden Farben

 

Auch als Maler bleibt ihm das Fahrrad nützlich, nun zum Transport seiner Leinwände. Und einem großen Vorrat an Tubenfarben, wenn er im Freien malte: Die Farbpaste schichtet sich oft ziemlich dick auf seinen Gemälden. Teilweise entstehen regelrechte Farbreliefs aus Orange, Rot, Grün, Gelb und Blau. Dass diese Bilder schnell gemalt sind, verleugnen sie nicht. Die Pinselstriche bewahren die Energie und Bewegung des gestischen Auftrags: Diese Dynamik gehört zu Vlamincks besonderen Qualitäten.

 

Interessanterweise wählte er für sein rasches, heftiges Malen allerdings oft Motive von eigentlich ruhigem, sanftem Charakter. Etwa die Felder des agrarischen Frankreich, wie die „Hügel bei Rueil“. Oder ländliche Weiher und Baumreihen, wie bei Chaville 1905, und häufig spielzeugbunte Dorfhäuser, insbesondere in Chatou, wo Vlaminck wohnte. Erst der rasante Farbauftrag und das kontrastreiche Kolorit geben harmlosen Motiven etwas Rebellisches. Eines der Gemälde mit den schreiendsten Farben in der gesamten Schau zeigt ausgerechnet einen friedlichen „Angler in Chatou“.

 

Vincent van Gogh als großes Vorbild

 

Immer wieder widmet sich Vlaminck seinem Lieblingsmotiv, der Seine. Mal tuckern qualmende Dampfer durchs Bild, mal wachsen am anderen Ufer neuerrichtete Fabrikbauten empor. Hier steigt ein Freizeitsportler ins Ruderboot, dort gliedern Brückenbogen den Bildraum. In diesem vertrauten Motiv-Radius der Flusslandschaft läuft Vlaminick zur Hochform auf, insbesondere, wenn er sich ganz auf sein Farbgefühl verlässt. Dann klingen die Blautöne in zahllosen Hell-Dunkel-Stufen aneinander und erreichen ein tiefes Leuchten, wie auf Glasfenstern.

 

Dass Vlaminck sich bei seinen Erkundungen von Landschaften stets auf den Spuren der Impressionisten bewegt, stellt die Ausstellung deutlich heraus. An genau denselben Orten entlang der Seine, etwa in La Grenouillere, hatten ja eine Generation zuvor schon Claude Monet oder Auguste Renoir gemalt. Vlaminck selbst aber bestritt jeden Einfluss durch andere Künstler. Nur Vincent van Gogh ließ er als sein großes Vorbild gelten. Tatsächlich zeigt sich bei vielen Werken, wie genau er dessen energischen Pinselstrich studiert hatte. So könnte ein „Weizenfeld“ (um 1906) auch von Van Gogh selbst gemalt sein.

 

Kollaboration mit NS-Besatzern

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Inspiration Matisse" – prägnanter Vergleich von Henri Matisse + seinen Schülern in der Kunsthalle, Mannheim

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Vincent van Gogh – Stillleben" – prägnanter Überblick über das Werk des Post-Impressionisten im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Cézanne – Metamorphosen" – umfassende Retrospektive in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.

 

Vlamincks Experimente in Richtung Kubismus um 1908/09 dagegen blieben eine kurze Episode. Nachhaltiger wirkte auf ihn die ruhige, klare Malweise von Paul Cézanne, der Körper tendenziell auf geometrische Grundformen reduzierte. Ab 1910 beruhigen sich in Vlamincks Schaffen die Formen, die Farbwahl wird gedämpfter. So gleiten die Besucher im eleganten Ambiente der klassisch gehängten Ausstellung genießerisch von Raum zu Raum: Ein Aufreger ist diese Malerei schon längst nicht mehr.

 

Bis man den letzten Raum betritt – der rundweg überrascht. Hier hängen Beispiele für Vlamincks Spätwerk, dass ansonsten meist ins Depot verbannt wird. Sein biografisches Irrlichtern wird ebenfalls nicht unter den Teppich gekehrt: Zwar schmähten die Nationalsozialisten seine Werke als „entartet“. Aber als 1940 die Wehrmacht in Pars einmarschierte, kollaborierte Vlaminck mit den Besatzern und suchte die Nähe von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker. Nach einer von Goebbels initiierten Reise durch Deutschland pries er sogar die NS-Kulturblüte.

 

Anachronistischer Abschied von Moderne

 

Was Vlaminck in dieser Zeit und später nach Kriegsende malte, ist ausgesprochen düster. Schwarze Wolken jagen über Gewitterhimmel, strohgedeckte Häuser ducken sich im Schnee aneinander, Heuschober werfen finstere Schatten. Seine anachronistischen Motive erscheinen wie aus der Zeit gefallen; von der Moderne hat sich der Künstler längst verabschiedet.