Mannheim

Inspiration Matisse

Henri Matisse: Akt im Wald (Detail), 1906, Öl auf Holz, 40.6 x 32.4 cm, Brooklyn Museum, Geschenk von George F. Of, 52.150. © Succession H. Matisse/ VG Bild- Kunst, Bonn 2023. Fotoquelle: Kunsthalle Mannheim
Im Wettstreit mit Picasso: Ab 1905 wurde der Fauvist Henri Matisse zu einer Zentralgestalt der Klassischen Moderne. Seinen enormen Einfluss auf Künstlerkollegen führt die Kunsthalle Mannheim in einer klug komponierten Gedenkschau zum 150. Geburtstag vor.

Inspiration ist bei kreativen Tätigkeiten immer gut: etwa Schreiben, Malen oder auch dem Kuratieren von Ausstellungen. Insofern hat offenbar eine Muse die Kunsthalle Mannheim geküsst, als sie entschied, ihre große Gedenkausstellung zum 150. Geburtstag „Inspiration Matisse“ zu nennen – mit Blick auf etliche andere Künstler, die er angeregt oder beeinflusst hat. In diesem Kontext werden Stärken und Schwächen des Phänomens Matisse besonders augenfällig.

 

Info

 

Inspiration Matisse

 

27.09.2019 - 09.01.2020

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

mittwochs bis 20 Uhr

in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichplatz 4

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen

 

Henri Matisse (1869-1954) gilt neben Picasso als eine der wichtigsten Zentralgestalten der Klassischen Moderne; ohne ihn wäre ihre furiose Entwicklung Anfang des 20. Jahrhunderts nicht möglich gewesen. Anders als beim Exil-Spanier, der sich alle paar Jahre eine neue Formensprache zulegte, ist bei Matisse aber nicht auf den ersten Blick ersichtlich, worin seine Ausnahmestellung eigentlich besteht: Sein Malstil oszillierte zwischen mehreren Polen hin und her. Da hilft diese umfassende Vergleichsschau mit rund 130 Werken, davon 70 von Matisse selbst, entscheidend weiter.

 

Unoriginelles Frühwerk

 

Der Drogistensohn aus Nordfrankreich wollte anfangs Jurist werden, gab aber 1891 diese Laufbahn auf und widmete sich fortan der Kunst. Nachdem ihn die renommierte École des Beaux-Arts in Paris nicht aufgenommen hatte, studierte er an der Académie Julian und beim symbolistischen Maler Gustave Moreau. Einige seiner frühesten Werke sind in der Schau zu sehen: in tonigen Farben angelehnt an den damals dominierenden Realismus – und recht unoriginell.

Kurzfeature über Henri Matisse; © Royal Academy of Arts


 

In nur fünf Jahren zum Weltruhm

 

1896 ist er erstmals auf einer Gruppenschau vertreten; in den Folgejahren saugt er intensiv alle möglichen Impulse aus der damals vibrierenden Pariser Kunstszene auf – von Cézanne und Gauguin, Impressionisten und Pointillisten. Doch deren penibles Getüpfel behagt ihm nicht; zusammen mit André Derain, Maurice de Vlaminck und anderen bemüht er sich um eine flächigere Malweise in leuchtenden, fast grellen Farben. 1905 stellt diese Gruppe gemeinsam im Herbst-Salon aus. Der Kritiker Louis Vauxcelles schmäht sie als „Fauves“ („Wilde“) und prägt damit ihr Markenzeichen – als Fauvisten werden sie in die Kunstgeschichte eingehen.

 

Diese Schau ist ihr Durchbruch. Vor allem für Matisse; kein anderer Künstler aus diesem schon 1907 aufgelösten Kreis wird auch nur annähernd seinen Rang und seine Popularität erreichen. Wie ihm das gelingt, deutet der Katalog an: durch rastloses Netzwerken bei Galeristen, Händlern und bedeutenden Sammlern – jedes Künstlergenie ist auch eines der Selbstvermarktung. Mit enormem Erfolg: In nur fünf Jahren werden seine Werke in Belgien, Großbritannien, Österreich-Ungarn, dem Zarenreich und den USA gezeigt. In Deutschland, das Matisse in diesem Zeitraum drei Mal besucht, sind sie 1906/7 in zwei Ausstellungen zu sehen; 1909 richtet ihm Paul Cassirer in Berlin seine bis dato größte Werkschau im Ausland aus.

 

Brücke-Maler laden Matisse ein

 

Matisse ist so etabliert, dass er 1908 in Paris seine private Kunstschule eröffnet; auch, um in der Prestige-Konkurrenz mit Picasso die Nase vorn zu haben. Diese „Académie Matisse“ durchlaufen in zwei Jahren fast 100 Schüler, doch schon 1910 stellt der Meister den Unterricht ein: „Am meisten irritierte mich, dass sie sich nicht vorstellen konnten, wie verzweifelt ich war, wenn ich sah, dass sie ‚in Matisse machten‘. So begriff ich, dass ich zu wählen hätte zwischen dem Metier des Malers und dem des Professors.“

 

Trotzdem wächst sein Einfluss auf die internationale Kunstszene weiter. Reiche Sammler in den USA und Russland wie Iwan Morosow und Sergej Schtschukin kaufen en gros seine Werke; letzterer regt ihn zu seinem wohl berühmtesten Gemälde „Der Tanz“ an. Die deutschen Expressionisten im Münchener „Blauen Reiter“ und der Dresdener „Brücke“ sind von seinem Werk schwer beeindruckt. Die Brücke-Maler Erich Heckel und Karl Schmidt-Rotluff wollen ihn sogar einladen, ihrem Zirkel beizutreten – was der eifersüchtige Ernst Ludwig Kirchner später abstreiten wird. Dennoch enthalten auch seine Werke offensichtliche Anleihen bei Matisse.

 

Schroffer Meister, zahme Schüler

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Matisse - Bonnard: "Es lebe die Malerei!"" - umfassender Künstler-Vergleich im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Magie des Augenblicks: Van Gogh, Cézanne, Bonnard, Vallotton, Matisse" – eindrucksvolle Werkschau der Nabis-Künstler, mit Werken von Matisse, in Halle/ Saale + Stuttgart

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Brassaï Brassaï. Im Atelier & Auf der Straße" - Fotoschau mit Serien über Matisse im Atelier im Museum Berggruen, Berlin

 

und hier einen Bericht über die "Neueröffnung der Kunsthalle Mannheim" mit dem Erweiterungsbau von Gerkan, Marg und Partner im Juni 2018.

 

Das zeigen die gelungensten Abteilungen der Ausstellung, etwa ein Dutzend weiblicher Akte. Im direkten Vergleich wird aber auch deutlich: Die Kompositionen von Albert Marquet, Henri Manguin, August Macke, Georges Braque oder Max Pechstein wirken durchweg ausgefeilter und überzeugender als die ihres Vorbilds. Besonders sichtbar wird das an Kleinplastiken von Matisse: Seine Versuche, in der Nachfolge Rodins körperliche Dynamik und schrundige Oberflächen mit blockhafter Gestaltauffassung zu verbinden, geraten oft vergleichsweise ungelenk und plump.

 

Ebenso interessant fällt die Gegenüberstellung von Matisse-Originalen und Bildern seiner Académie-Schüler aus. Viele wie Hans Purrmann, Oskar und Margarethe Moll oder Rudolf Levy sind wenig bekannt – doch gerade solche Werke von Künstlern aus der zweiten Reihe, die heutzutage selten gezeigt werden, vermitteln einen aufschlussreichen Überblick über das juste milieu der damaligen Avantgarden. Sie sind meist zahmer und gefälliger, als die übliche Standard-Geschichte vom heroischen Kampf gegen die verstaubte Salonkunst erwarten lassen würde – dabei sticht Matisse selbst aber durch schroffe Radikalität heraus.

 

Keine Scherenschnitte

 

Zwar bricht der Parcours etwa 1930 ab; das in Nizza entstandene Spätwerk, in dem Matisse vor allem sein erprobtes Repertoire variierte und mit bonbonbunten Scherenschnitten sein Bestreben nach Reduktion auf die Spitze trieb, bleibt außen vor. Doch innerhalb des klugen Konzepts dieser Ausstellung erscheint das durchaus sinnvoll: Als Inspirationsquelle für die Moderne war Matisse, der lange Jahre an schweren Krankheiten litt, erschöpft.