Berlin + Köln

Indigenous Australia: Masterworks from the National Gallery + Aboriginal Art der Spinifex und Yolŋu

Christian Thompson: Heat, 2010, (video still); © courtesy: the artist + Sarah Scout Presents, Melbourne. Fotoquelle: me Collectors Room
Ganze Welten nur mit Kreisen und Punkten erschaffen: Die uralte Kunst der Aborigines ist absolut einzigartig. Im "me Collectors Room" wird eine exzellente Auswahl der Nationalgalerie gezeigt, im Rautenstrauch-Joest-Museum beeindruckende Werke der Spinifex und Yolŋu.

Ein ganzer Kunst-Kontinent ist in den vier Sälen des „me Collectors Room“ in Berlin zu entdecken: Die private Kunsthalle gibt eine bündige Einführung in die Kunst der Aborigines anhand von rund 100 Werken aus den Beständen der australischen Nationalgalerie. Damit gelingt der Stiftung Olbricht als Betreiberin ein kleiner Coup.

 

Info

 

Indigenous Australia: Masterworks from the National Gallery of Australia

 

17.11.2017 - 02.04.2018

täglich außer dienstags

12 bis 18 Uhr

im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Auguststraße 68, Berlin

 

Katalog 19,90 €

 

Weitere Informationen

 

Wüste – Meer – Schöpfermythen: Aboriginal Art der Spinifex und Yolŋu

 

10.11.2017 - 04.03.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstraße 29-33, Köln

 

Begleitband 12,50 €

 

Weitere Informationen

 

Eigentlich wären für eine solche Überblicks-Schau auf nationaler Ebene die Staatlichen Museen Berlin (SMB) zuständig, sollte man meinen. Doch die sind offenbar derzeit mit der Renovierung der Neuen Nationalgalerie und dem Aufbau des Humboldt Forum völlig ausgelastet – vor Anfang 2019 sind von den SMB keine neuen Sonderschauen mit außereuropäischer Kunst zu erwarten.

 

Skizzen vom Erstkontakt mit Weißen

 

Die ältesten Stücke dieser Ausstellung sind zugleich die kleinsten: Ende des 19. Jahrhunderts hielten Aborigines wie Tommy McRae und Mickey of Ulladulla mit schwarzer Tinte auf Skizzenblättern den Erstkontakt ihrer Landsleute mit weißen Einwanderern fest. Traditionelle Malerei wurde dagegen Jahrtausende lang vorwiegend auf flüchtigem oder nicht transportablem Bildgrund wie Körperhaut, Sandböden oder Felswänden aufgetragen.

 

Dem westlichen Verständnis von Kunstwerken entsprach am ehesten das Malen auf geglätteter Baumrinde. Solche Arbeiten sammelten Anthropologen bereits ab Anfang des 20. Jahrhunderts – oder sie gaben sie eigens in Auftrag, um komplexe Aborigines-Mythen bildlich zu fixieren. Die ältesten Beispiele der Schau stammen aus den 1960er Jahren, etwa „Kundaagi – Red Plains Kangaroo“ (1962) von Yirawala (1897-1976). Das mythische Känguru wird im „Röntgenstil“ gezeigt, der seine Anatomie veranschaulicht, bedeckt mit Kreuzschraffuren im „rarrk“-Muster.

 

Hilfsmittel zur Mythen-Erhaltung

 

Alle übrigen Exponate sind jünger, doch ihre Motive und Maltechniken meist uralt. Sie beziehen sich auf die dreamtime, die Gesamtheit aller Schöpfungs-Legenden über einen Landstrich und die Ahnen eines Clans. Dessen Angehörige werden auf bestimmten Altersstufen in gewisse dreamings eingeweiht und müssen dann diese Erzählungen erhalten. Dazu dient ihnen Malerei als visuelles Hilfsmittel.

Impressionen der Ausstellung "Indigenous Australia"


 

Tüpfel-Technik deckt Verbotenes zu

 

Dabei wird Bedeutsames nicht nur offen gelegt, sondern häufig auch verborgen. Die als „Dot-Painting“ bekannte Tüpfel-Technik, die an Pointillismus erinnert, soll häufig nichts darstellen, sondern umgekehrt etwas zudecken: geheime Zonen, die Uneingeweihte nicht sehen dürfen. Häufig tauchen konzentrische Kreise, Hufeisen-Formen und gepunktete Verbindungslinien auf: Es handelt sich um Landschafts-Ansichten. Zwar wird das Areal stark stilisiert in der Draufsicht abgebildet, doch stets ist ein konkretes Gebiet gemeint samt Ereignissen, die dort geschahen.

 

Zeitgenössische Aborigines-Künstler gehen über diese Vorgaben hinaus, ohne sie zu verleugnen. Sie bedienen sich des herkömmlichen Repertoires, um eigene Inhalte auszudrücken, und gelangen so zu ihrem persönlichen Stil – ähnlich wie westliche Künstler, die sich auf den abendländischen Kanon beziehen, ohne ihn zu kopieren. Auf diese Weise haben Aborigines-Maler in wenigen Jahrzehnten ihre eigene Modernität herausgebildet.

 

Millionenerlöse für Mehrebenen-Bilder

 

Eindrucksvoll führt diese Auswahl aus der National Gallery diverse Spielarten vor, die meist unterschiedlichen Mal-Schulen aus verschiedenen Regionen Australiens entsprangen. Die erste von ihnen entstand um 1970 in der Siedlung Papunya, als der Kunstlehrer Geoffrey Bardon dortige Aborigines ermunterte, althergebrachte Motive auf Brettern und Leinwänden festzuhalten. Aus dieser Schule ging Clifford Possum Tjapaltjarri (1932-2002) hervor; seine irisierend vielschichtigen Mehrebenen-Bilder erzielen heutzutage bei Auktionen bis zu siebenstellige Preise.

 

Völlig anders wirken die Arbeiten von Rover Thomas (1926-1988) aus dem nordwestlichen Kimberley: Er konturierte große Flächen in Erdtönen mit zarten Punktlinien – etwa zur Erinnerung an einen verheerenden Zyklon. Und die Künstlerin Emily Kam Kngwarray (1910-1996) baute das „Dot-Painting“ zu einer dynamischen Variante gestischer Malerei aus; so sieht etwa die meterlange Leinwand von „Yam Awely“ (1995) wie eine eigenwillige Version von action painting aus.

Impressionen der Ausstellung "Wüste – Meer – Schöpfermythen"


 

Aktuelles in gängigen Formensprachen

 

Für eine solche Weiterentwicklung archaischer Aborigines-Muster in gegenwärtige Bildsprachen weist aber die Schau nur wenige Beispiele auf: etwa den monumentalen „Canyon“ (1997) von Judy Watson, dessen Pastelltöne zu Felsformationen aus der Vogelschau zu zerfließen scheinen. Oder „Big brush stroke“ (2005) von Richard Bell; er macht mit wenigen Akzenten auf die Nähe von „Dot Painting“ zu plakativen Oberflächen der Pop-Art wie bei Rasterbildern eines Roy Lichtenstein aufmerksam. Doch die meisten aktuellen Beiträge behandeln australische Themen in international gängigen Formen und Techniken.

 

Dagegen halten die im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum gezeigten Künstler an ihren traditionellen Malweisen fest. Die Ausstellung von „Aboriginal Art der Spinifex und Yolŋu“ hat die rührige Galerie „Artkelch“ in Freiburg zusammengestellt; seit Jahren zeigt sie bundesweit Wanderschauen mit Aborigines-Kunst.

 

Mit Bildern Gebiets-Rückgabe erzwingen

 

Alle knapp 60 Werke in zwei Räumen sind mit einer ausführlichen Erläuterung samt Kurzporträts ihrer Schöpfer versehen; Fotografien und Kurzfilme auf Monitoren zeigen sie in Aktion. Diese vorzügliche Dokumentation bietet einen ausgezeichneten Einblick in die völlig andersgearteten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstler. Sie dient gewiss auch der Verkaufsförderung, doch prägnante Informations-Vermittlung steht im Vordergrund.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Spinifex Arts Project: Aboriginal Art aus der Great Victoria Desert Australiens" - über Aborigines-Kunst aus dem Südwesten Australiens in München, Hamburg, Überlingen

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Remembering Forward" über Malerei der australischen Aborigines seit 1960 im Museum Ludwig, Köln

 

und hier einen Beitrag über das Gespräch mit Warwick Thornton über die Modernisierung der Aborigines-Kultur auf den "Künstler-Kongressen" der documenta 13

 

und hier eine Besprechung des Films "Samson & Delilah" - erster Spielfilm über die Ureinwohner Australiens von Warwick Thornton

 

Den Spinifex People aus der Great Victoria Desert im Südwesten Australiens gelang es 1997, mit ihren Bildern die Rückgabe ihrer Heimatregion zu erzwingen, aus der sie in den 1950er Jahren vertrieben worden waren. Sie klagten vor Gericht und untermauerten ihre Ansprüche mit Gemälden, die ihr umfangreiches Wissen über das fragliche Territorium belegten.

 

Baumstämme als Toten-Gedenkpfähle

 

Abgesehen von ihrer Eigenschaft als Beweismittel überzeugen ihre Bilder durch rein ästhetische Qualitäten: Sie beeindrucken mit spannungsreichen Kompositionen in leuchtenden Acrylfarben voller harmonischer Kontraste. Einzelne Werke zeigen einen sehr individuellen Stil, etwa „Lake Baker“ von Timo Logan: Der 44-jährige Maler tüpfelt ein Wasserschlangen-Schöpferwesen, das wie ein Spermium in die gleißend weiße See-Oberfläche eindringt.

 

Weiß ist auch die dominierende Farbe im Nachbarsaal mit Werken der Yolŋu. Dieses im Arnhemland an der Nordspitze des Kontinents lebende Volk benutzt neben Holz- und Kartonplatten auch ausgehöhlte Stämme von Eukalyptusbäumen als Bildträger. Letztere werden mit dichten Schraffur-Mustern bedeckt und dienen als Gedenkpfähle für Verstorbene, so genannte Larrakitj.

 

Flirren wie bei sengender Sonne

 

Die Raffinesse der Yolŋu-Arbeiten erschließt sich erst beim genauen Hinsehen: Dann wird deutlich, wie aufwändig verflochten und verschlungen diese Muster sind – aus größerem Abstand scheinen sie zu flirren wie das Licht unter sengender Sonne. Es verwundert nicht, dass Yolŋu-Maler damit schon etliche Preise und Auszeichnungen in Australien gewonnen haben; ihre graphisch so ausgefeilte Kunst bei radikal reduziertem Farbspektrum dürfte weltweit einmalig sein.