Geographisch ist Indien ein Subkontinent, kulturell ein Planet für sich: mit der zweitgrößten Bevölkerung der Erde, Hunderten von Völkern, die Dutzende Sprachen sprechen, und der einzigen Welt-, die zugleich eine Nationalreligion ist.
Info
Indien entdecken!
08.12.2012 - 01.04.2013
täglich 10 bis 17 Uhr
in der Zitadelle Spandau,
Am Juliusturm 64, Berlin
Bildband "Heiliges Indien"
65 €
60 Jahre diplomatische Beziehungen
Wie beherrschend sie sind, zeigen faszinierende Panorama-Fotografien von Amit Pasricha, die derzeit in der Zitadelle Spandau zu sehen sind. Als Teil der Ausstellung «Indien entdecken!» im Rahmen der «Days of India 2012/13» aus Anlass von 60 Jahren deutsch-indischen diplomatischen Beziehungen.
Impressionen der Ausstellung
Heiliges Indien im Alltag
Sie soll mit Werken aus der Sammlung der Nationalen Kunstakademie in Neu-Delhi und Skulpturen einen Einblick in die zeitgenössische Kunst-Produktion geben. Als Ausstellungs-Ort ist die Zitadelle im Außenbezirk Spandau etwas abgelegen, aber für diese Schau ideal: Die komplett erhaltene Renaissance-Festungen zählt zu den ältesten Bauwerken in Berlin. Andernorts will sich die Hauptstadt ständig neu erfinden; hier vergewissert sie sich ihrer Geschichte.
Wie Amit Pasricha mit seiner Bilderserie «Heiliges Indien»: Auf Hochglanz-Landschaftsfotografie spezialisiert, hat er hierfür nur Motive mit religiösem Bezug aufgenommen. Er führt vor, wie selbstverständlich Spiritualität und Transzendenz zum indischen Alltag gehören – auch bei rascher Modernisierung.
Tempel für Scharen von Ratten
Direkt neben einer U-Bahn-Trasse in Delhi steht eine bunt bemalte Riesen-Statue des hinduistischen Affengottes Hanuman. Die Gattin eines Superreichen steigt aus der Stretch-Limousine, um am Hausaltar ihrer Residenz dem Elefantengott Ganesha zu opfern. Ein älteres Paar ruht am Fuß eines Monuments mit goldener Kugel aus: Der «Tempel der Mutter» ist das Zentrum von «Auroville», einer 1968 von einer Guru-Schülerin neu gegründeten Stadt.
Andere Szenen sind für westliche Augen kaum als religiöse zu erkennen. In Coimbatore tauchen Gläubige neun Meter unter der Erde in ein Wasserbecken, um einen Linga-Stein zu berühren: Der Stein-Phallus ist ein Symbol für die Schöpfungskraft des Gottes Shiva. Scharen von Ratten bewohnen einen Tempel in Deshnoke. Die Nager gelten als Reinkarnationen des Clans einer Göttin; sie werden von Besuchern mit Speisen und Getränken versorgt.
Fluss-Wasser trägt Tempel ab
In Joranda steht ein weitläufiger «Tempel der Leere», weil die Mahima-Sekte das höchste Wesen als abstraktes Absolutes verehrt. Und im Golf von Bengalen liegen die Trümmer eines Tempels aus dem 12. Jahrhundert über den Strand verstreut. Kein Opfer von Vandalismus, sondern des natürlichen Wellengangs: Der Tempel liegt im Delta eines heiligen Flusses, den einzudämmen unstatthaft wäre.
Solche Ansichten hält Pasricha mit allen technischen Tricks der Glamour-Fotografie auf extremen Breitformaten fest: Dramatische Lichtführung, satte Farben, gestochen scharfe Konturen und ausgefeilte Kompositionen machen sie zu wundervollen Prospekten, an denen man sich kaum satt sehen kann. Ein brillanter Bilderbogen, so exotisch wie indische Miniaturenmalerei und zugleich absolut gegenwärtig.
Einflüsse von Informel bis neuer Figuration
Vertrauter wirken die rund 30 Gemälde, Drucke und wenigen Skulpturen aus der Kollektion der Nationalen Kunstakademie: Die Farbpalette ist gedeckter, die Formensprache moderat abstrakt. Viele der Werke aus den 1960er bis 1980er Jahren lassen Einflüsse der damals dominanten Weltkunst-Stile erkennen, von Informel bis neuer Figuration; zugleich wirken sie radikal eigensinnig.
Hier sind einige der wichtigsten indischen Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten, etwa Francis Newton Souza und Maqbul Fida Husein. Beide wollten ab 1947 mit ihrer Progressive Artists Group eine indische Avantgarde von internationaler Ausstrahlung begründen. Leider fehlen außer Namen und Bildtiteln alle Informationen über die Künstler; der Katalog dieser Abteilung ist vergriffen.
Mannshohe Chili-Schoten
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Das Koloniale Auge" über frühe Porträtfotografie in Indien im Museum für Fotografie in Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "The Last Harvest " mit Meisterwerken von Rabindranath Tagore im Museum für asiatische Kunst in Berlin
und hier ein Bericht über die Ausstellung "India Awakens – Under The Banyan Tree" mit zeitgenössischer Kunst aus Indien im Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien.
Die Kolonisatoren christianisierten viele Einwohner und brachten ihnen bei, gesäuertes Brot zu backen. Brötchen in Schmetterlingsform bildet Kerkar vielfach vergrößert nach. Geradezu monströs wirken daneben mannshohe Chili-Schoten: Das Gewürz brachten einst die Portugiesen ins Land. Heute produziert Indien mit einer Million Tonnen pro Jahr die größte Menge weltweit; zu 90 Prozent für den heimischen Bedarf.
Doch die Autarkie-Politik des Subkontinents ist weitgehend Vergangenheit. Anstelle von Feldfrüchten exportiert Indien vor allem kreative Dienstleistungen: von Bollywood-Filmen und Banghra-Pop bis zu Software und IT-Support. Gut möglich, dass bald Foto- und Konzept-Kunst dazukommen – weltmarktfähig sind sie längst, wie diese Ausstellung zeigt.