Berlin

Transmediale 2015 – Capture All + Time & Motion: Redefining Working Life

Tuur van Balen & Revital Cohen: 75 Watt, 2013, Multimedia-Installation. © Tuur van Balen & Revital Cohe; Fotoquelle: Transmediale 2015
Ganz vorne dran und doch daneben: Die Ausstellung des Medienkunst-Festivals im HKW über Daten-Sammelwut ist so besucherfreundlich wie Nutzer-Einstellungen bei Facebook. Nebenan zeigt eine kleine, feine Schau anschaulich, was Arbeit heute bedeutet.

Augenpulver für Nichtleser

 

Ansonsten bietet die Ausstellung keinerlei Informationen über die meist spröden Arbeiten. Die finden sich nur in einem Hochglanz-Heft mit absurd wirrem Layout. Es erinnert an Techno-Magazine der 1990er Jahre wie „Groove“, deren Fünf-Punkt-Schrifttype schon damals nur fürs Durchblättern gedacht war: Augenpulver für Nichtleser.

 

Wohltuend ansehnlich sind die „Face Cages“ von Zach Blas: Draht-Masken für Gesichter in der Form biometrischer Diagramme nach der Computer-Vermessung. Die Gebilde sehen wie Folterinstrumente für Fetischisten aus. Auch „Invisible“ von Heather Dewey-Hagborg erschließt sich rasch: Ein TV-Reklamespot bewirbt Sprühflaschen, die DNA-Reste etwa an benutzten Gläsern beseitigen – Spurenverwischung vor der Gen-Polizei.

 

Flüchtig durch cutting edge technology klicken

 

Doch die meisten Installationen kommen als hermetische Konzeptkunst daher. Die Gruppe „Art is Open Source“ lässt ihren „Stakhanov“-PC das Verhalten von Facebook-Nutzern anhand ihrer Daten voraussagen; meist misslingt das. „Jennifer Lyn Morone Inc.“ erklärt sich selbst zur company: eine folgenlose Proklamation. Erica Scourti fotografiert für „Body Scan“ ihren Körper mit dem iPhone, das zugleich Internet-Daten lädt – ein hektischer Bildersalat. Und Markus Riegel spielt live ein cyberwar-Videospiel; es bleibt ein Videospiel.

 

Diese Schau ist so bedienerfreundlich wie die Benutzereinstellungen von Facebook oder Youtube: zugänglich, aber mit Absicht so verschachtelt, verquast und unübersichtlich, dass man nur flüchtig durchklickt und danach froh ist, es hinter sich zu haben – auch wenn man nichts kapiert hat. Aber stolz glaubt, man habe sich mit cutting edge technology beschäftigt.

 

Nutzloses Haushaltsgerät geht in Serie

 

Wie man es besser macht, zeigt die zweite Ausstellung „Time & Motion: Redefining Working Life“, die das HKW aus Liverpool von der FACT-Kulturstiftung übernommen hat; sie läuft bis Anfang April. Den Saal füllen nur fünf Arbeiten; doch jede führt einen Aspekt der heutigen Arbeitswelt anschaulich vor, ergänzt von präzisen Erläuterungen. Oliver Walker filmt sechs Menschen solange, wie sie brauchen, um einen Euro zu verdienen. Beim Börsenmakler wird der Bildschirm nach einer Sekunde schwarz; ein Baumwollpflücker ist nach einer Stunde noch nicht fertig.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Citizenfour” – beeindruckende Doku von Laura Poitras über Abhörskandal-Enthüller Edward Snowden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung Playtime mit Kunst zur Veränderung der Arbeitswelt im Lenbachhaus, München

 

Das Londoner Künstler-Paar Tuur van Balen & Revital Cohen hat ein zweckfreies Haushaltsgerät – irgendwo zwischen Bügeleisen und Handmixer – nur entworfen, um es in einem chinesischen sweatshop in Serie fertigen zu lassen: Die gefilmten Arbeitsabläufe am Fließband wirken wie eine Choreographie. Sam Meech füttert eine Webmaschine mit Arbeitszeit-Daten von (Schein-)Selbstständigen – so entsteht ein Wandteppich mit einer Parole des britischen Genossenschafts-Pioniers Robert Owen: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Schlaf“.

 

Gepflegt abhängen

 

Ellie Harrison hat tagelang Minute für Minute genau notiert, was sie gerade macht, um wieder Arbeits- und Freizeit unterscheiden zu können. Eine simple Selbstbeobachtung, die Therapeuten jedem workaholic anraten – aber mit hohem Nutzwert. Die sei auch den Transmediale-Besuchern empfohlen: Erlebt und erfahrt ihr noch etwas, oder hängt ihr schon gepflegt ab?