
„Hört auf zu malen!“ war der Bild gewordene Widerspruch. Jörg Immendorff brachte seine Schaffenskrise als Beuys-Schüler 1966 mit einem – gemalten – Imperativ auf den Punkt: Ein großes Kreuz streicht ein Bett mit Beuys-Hut aus. Diese Trotz-Geste taugt zugleich als Symbol für die Identitätskrise der ganzen Gattung, nachdem die Figuration für totalitäre Propaganda missbraucht und die Abstraktion ausgereizt worden war.
Info
Painting 2.0 - Malerei im Informationszeitalter
14.11.2015 - 30.04.2016
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
im Museum Brandhorst, Theresienstraße 35 a, München
Katalog 39,95 €
04.06.2016 - 06.11.2016
dienstags - sonntags 10 bis 19 Uhr, montags ab 14 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr
im Museum moderner Kunst (MUMOK), Museumsplatz 1, Wien
Seine Installation „Heavy Burschi“ steht jetzt am Anfang der Mammut-Schau „Painting 2.0 – Malerei im Informationszeitalter“ in der Münchner Sammlung Brandhorst. Dafür haben Direktor Achim Hochdörfer und Kurator Tonio Kröner fast 240 Exponate von mehr als 100 Künstlern zusammengetragen; rund die Hälfte sind Leihgaben aus aller Welt. Zudem werden einige Neuerwerbungen der letzten beiden Jahre präsentiert.
Spektakel, Figuration + Netzwerke
Ein ehrgeizige Bestandsaufnahme in 18 Kapiteln, die in Kooperation mit dem Wiener Museum für Moderne Kunst (MUMOK) entstanden ist und dort ab Juni gezeigt wird. Drei Sektionen erstrecken sich über ebenso viele Stockwerke: In „Geste und Spektakel“ geht es um malerische Reaktionen auf die von Guy Debord diagnostizierte „Gesellschaft des Spektakels“, wie die Plakatabriss-Bilder der so genannten Affichisten ab den 1950er Jahren.
Die Sektion „Exzentrische Figuration“ beschäftigt sich damit, wie sich Vorstellungen von Körperlichkeit angesichts von kommerzieller Massenkultur und neuer Technologien verändern, etwa in den Bildern von Maria Lassnig. „Soziale Netzwerke“ führt den Wandel von Gemeinschaft und sozialem Austausch vor, angefangen mit den Aktionen der „Kapitalistischen Realisten“ um Sigmar Polke und Gerhard Richter Mitte der 1960er Jahre.
Podiumsdiskussion zur Eröffnung der Ausstellung; © Pinakotheken
Transformation durch Aneignung
Die Ausstellung will zeigen, dass die Malerei nicht nur nie tot war, sondern auch, dass die Künstler bereits seit den 1960er Jahren vollzogen, was der heutigen digitalen Revolution im interaktiven Internet 2.0 ähnelt: Transformation durch Aneignung. Damals reagierten sie auf die Konsumgesellschaft und event-Kultur, die über das neue Massenmedium Fernsehen übermittelt wurden.
Dazu fährt die Schau etliche Maler auf, die dem Kunstbetrieb lieb und teuer sind: Neben Platzhirschen wie Polke und Richter auch die Pop-Artisten Andy Warhol und Robert Rauschenberg, die längst nicht mehr Neuen Wilden wie Kippenberger, Albert Oehlen und Philip Guston sowie Einzelgänger wie William Copley oder Michel Majerus.
Von Cézanne bis Jutta Koether
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Poesie der Großstadt – die Affichisten" in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/ Main
und hier einen Bericht über die Ausstellung „Leben mit Pop“ – eine „Reproduktion des Kapitalistischen Realismus“ mit u.a. Sigmar Polke + Gerhard Richter in der Kunsthalle Düsseldorf
und hier eine Besprechung der Ausstellung „Martin Kippenberger: sehr gut | very good“ – große Retrospektive des „Neuen Wilden“ im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Maria Lassnig: Der Ort der Bilder" in den Deichtorhallen, Hamburg
Lee Lozano behauptet sich brutal bildgewaltig, während Eva Hesses Materialcollagen zugleich betörend fragil und selbstbewusst bizarr wirken. Monika Baer bringt den Vampirismus des Kunstmarkts und die Malerei als Wiedergänger eindrucksvoll auf die Leinwand. Und Isa Genzkens Bild-Installationen führen vor Augen, dass Künstler ihre Glaubwürdigkeit verspielen, wenn sie auf ihren Marktwert schielen.
Wider die Warhol-Weihestätte
Mag die These von einer Malerei, die alle Modernisierungs-Schübe und Informations-Technologien der vergangenen 50 Jahre geschwind adaptiert habe, ein wenig bemüht wirken: „Painting 2.0“ ist eine fesselnde und facettenreiche Schau. An ihr imponiert nicht zuletzt, dass die Macher den Mut zur großen Geste und – oft überzeugenden – Behauptung haben. Das tut dem Museum Brandhorst, das als Weihestätte für Andy Warhol und den Abstrakten Expressionisten Cy Twombly in letzter Zeit etwas erstarrt wirkte, sichtlich gut.