Auch der Museumsbetrieb kennt Moden und Trends. Derzeit etwa die Restitution von Raubkunst aus der Kolonialzeit: Seit 100 Jahren ist allgemein bekannt, dass die Bestände von Völkerkunde-Museen oft gewaltsam zusammengetragen worden waren, aber lange kümmerte das keinen. Nun soll plötzlich die kulturelle Entkolonialisierung ganz schnell gehen: Alles sofort an die Nachfahren zurückgeben, fordern selbst ernannte Moralprediger. Ob und auf welche Weise das sinnvoll wäre, scheint egal – Hauptsache, Tabula rasa für ein reines Gewissen!
Info
museum global - Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne
10.11.2018 - 10.03.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Grabbeplatz 5, Düsseldorf
Katalog 34,- €
Neue Akteure, neue Moderne
Diese Meistererzählung von einer „transatlantischen Moderne“ wird zusehends aufgebrochen; vor allem durch neue Akteure. In nichtwestlichen Wohlstandszonen von Golfstaaten über Ostasien bis zu diversen Metropolen weltweit boomt der Kunstbetrieb mit jungen Galerien, Messen und Museen.
Feature zur Austellung. © Kunstsammlung NRW
Schwierige Globalisierungs-Schau
Dort besinnt man sich oft auf regionale Künstlergruppen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts internationale Impulse aufgenommen und mit lokalen Themen, Traditionen und Stilen zu je eigenen Spielarten der Moderne weiterverarbeitet haben. Häufig originell, aber mit begrenzter Reichweite – weil von wichtigen Playern im Westen ignoriert.
Diese Globalisierung der Moderne in Ausstellungen angemessen darzustellen, ist schwierig – jeder Ansatz droht auszuufern. Das Münchener Haus der Kunst probierte es mit „Postwar 1945-1965“, doch diese Überblicksschau über nur zwei Jahrzehnte erstickte fast an Überfülle. Ebenso überambitioniert geriet „A Tale of Two Worlds“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK): Der Vergleich der Nachkriegskünste in Lateinamerika und Europa scheiterte daran, dass beide Kontinente für eine strikte Parallelisierung viel zu unterschiedlich sind.
Verflechtungen nationaler Kunst-Szenen
Am besten im deutschsprachigen Raum gelang bisher der Berliner Nationalgalerie mit „Hello World“, die Vielfalt der nichtwestlichen Modernen im Plural vorzustellen – indem sie gar nicht erst versuchte, alles in ein übergreifendes Konzept zu pressen. Stattdessen präsentierte sie 13 „Kapitel“ über nationales Kunst-Geschehen von Armenien über Bali bis Mexiko.
Sie ähnelten eher Einzelausstellungen, ließen aber untereinander zahllose Verbindungen erkennen. Als vergleichbarer Augenöffner wirkte „Art et Liberté“ über den kurzlebigen, aber sehr produktiven Surrealismus in Ägypten, der detailliert dargestellt wurde. Diese Wanderschau machte in fünf Ländern Station; eine von ihnen war das Düsseldorfer K20.
Unklare Auswahl-Kriterien
Nun zielt die Leiterin der Kunstsammlung NRW, Susanne Gaensheimer, die zuvor als MMK-Direktorin die dortige Lateinamerika-Schau verantwortete, aufs große Ganze. „museum global“ will neben Tokio, Sao Paolo und Mexico City auch Nester wie das nordindische Shimla und Zaira in Nigeria auf die Landkarte der modernen Kunst setzen. Um den weltumspannenden Anspruch handhabbar zu machen, wird er in sieben „Mikrogeschichten“ und einen „Prolog“ unterteilt.
Der gilt einem alten Bekannten: Paul Klee. Rund 60 Werke von ihm schickte die Kunstsammlung NRW ab 1966 bis 1985 auf Reisen. Als kulturelle Botschafter der Bundesrepublik; ob und was diese Ausstellungs-Tournee bewirkt hat, bleibt jedoch unerfindlich. Die meisten „Mikrogeschichten“ konzentrieren sich ebenfalls auf einzelne Erscheinungen – ohne zu erläutern, warum gerade diese ausgewählt wurden, und welchen Stellenwert sie in ihrem jeweiligen Umfeld hatten.
Russischer Georgier + ungarische Inderin
Manchmal handelt es sich eindeutig um Nebenfiguren. So wird der naive georgische Maler Niko Pirosmani (1862-1918) als Hauptvertreter des russischen Neoprimitivismus vorgestellt – nur, weil er von Moskauer Avantgardisten entdeckt worden war. Oder die Libanesin Saloua Raouda Choucair (1916-2017), die in Paris bei Fernand Léger studiert hatte und später zur Bildhauerei wechselte: Ein paar kleinformatige Bilder von ihr sollen die angeblich blühende Kunstszene im Beirut und, im weiteren Sinne, in der arabischen Welt der Nachkriegszeit repräsentieren.
Amrita Sher-Gil (1913-1941) war gewiss eine eigenwillige und – trotz ihres frühen Todes mit nur 28 Jahren – sehr produktive Malerin. Doch sie verbrachte weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in Europa; ihre Mutter war Ungarin, ihr Sikh-Vater ein kosmopolitischer Privatgelehrter. Allein Sher-Gil als Beispiel für moderne Kunst in Indien herbeizuzitieren, erscheint reichlich absurd: Auf dem Subkontinent gab und gibt es Dutzende von Künstler-Schulen, die völlig unterschiedliche Malweisen und Stile ausgeprägt und kultiviert haben.
Mexico’s last Topmodel
Ein ähnlicher Grenzgänger war Lasar Segall (1891-1957): Als Sohn litauischer Juden lebte er ab 1910 in Deutschland, bevor er mit 33 Jahren nach Brasilien auswanderte. Sein dort entstandenes Werk behandelt vor allem Krieg, Verfolgung und Vernichtung des Judentums – kaum zentrale Themen der brasilianischen Avantgarde. Sie wollte europäisches Erbe mit tropischem Wuchern überwinden, wie es Oswald de Andrade 1928 in seinem „Anthropophagischen Manifest“ forderte. Immerhin sind von seiner Frau Tarsila do Amaral und anderen mehrere prägnante Bilder dieser Bewegung zu sehen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hello World - Revision einer Sammlung" - grandioser Überblick über moderne Kunstströmungen weltweit im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "A Tale of Two Worlds" - umfassende Vergleichs-Ausstellung von Nachkriegskunst aus Lateinamerika und Europa im MMK 1, Frankfurt am Main
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Art et Liberté - Surrealismus in Ägypten (1938-1948)" - erste westliche Wanderschau zum Thema in den K20, Düsseldorf
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965" – enzyklopädischer Nachkriegsmoderne-Überblick mit Werken von Saloua Raouda Choucair im Haus der Kunst, München.
Gender-Sternchen bei alten Zitaten
Sie betonen in ihren Saaltexten und Werkerläuterungen unermüdlich, wie antikolonialistisch, -rassistisch, -patriarchalisch und sonstwie progressiv die ausgestellten Künstler waren. In ihrem Katalogbeitrag fügt Isabelle Malz sogar bei historischen Zitaten etliche Gender-Sternchen („*innen“) ein, um heutigen Ansprüchen an Geschlechter-Gerechtigkeit zu genügen. Solche Kotaus vor politischer Korrektheit könnte man nachsichtig belächeln, würden sie durch inhaltliche Klammern ausgeglichen, die zwischen den disparaten Teilen Zusammenhänge stifteten.
Doch die gibt es nur als Nabelschau: Leiterin Gaensheimer bemüht bei jeder Gelegenheit die Geschichte ihrer Sammlung. Angefangen bei Klassikern aus eigenem Bestand, die unsystematisch bis erratisch in die Hängung eingestreut sind, über die ständige Erwähnung von Werner Schmalenbach, dem Gründungsdirektor und Hausheiligen der Kunstsammlung, bis zu einem „Epilog“ mit Monumentalbildern, die Schmalenbach in den 1950/60ern Jahren erwarb.
Provinzielles Kaleidoskop
Sie sollen auf einer gesamten Ausstellungs-Etage vor Augen führen, dass seine damalige Ankaufspolitik die außereuropäische Moderne ignorierte – wie überraschend! Mit ihrem willkürlich zusammengeschütteten Kaleidoskop aus Mikro-Künstlern um das Epizentrum Düsseldorf herum erweist sich diese Weltkunst-Schau als ziemlich provinziell.