An Diversität mangelt es dem Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) nicht. Derzeit werden im Untergeschoss die süffigen Likör-Aquarelle von Rockstar Udo Lindenberg gezeigt, darüber die Dauerausstellung mit alten und jüngeren Meistern jeglicher Couleur, oben sperrige Ostkunst vor und nach der Wende – im quaderförmigen Bau soll es das ganze Kunst-Deutschland sein.
Info
Point of No Return - Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst
23.07.2019 - 03.11.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
mittwochs 12 bis 20 Uhr
im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig
Katalog 35 €
Nur Nachwende-Schau ist neu
Das mag allenfalls für den Ansatz gelten, die ostdeutsche Kunstproduktion nach dem Wendejahr 1990 weiter zu verfolgen. Denn ambitionierte Überblicks-Ausstellungen zur Entwicklung der DDR-Kunst gab es in den vergangenen Jahren bereits einige in Ost- und Westdeutschland – ohne dass sie revolutionäre neue Erkenntnisse zutage gefördert hätten.
Impressionen während der Museumsnacht 2019; © MdbK
Aus dem Nachlass von Peter Ludwig
Ihren Anspruch auf Superlative untermauern die Kuratoren Paul Kaiser, Christoph Tannert und MdbK-Direktor Alfred Weidinger mit Zahlen. Sie haben 300 Werke von 106 Künstlern und Künstlerinnen zusammengetragen; neben Malerei auch Skulpturen, Installationen und Fotografien. Viele Arbeiten stammen aus der Stiftung von Peter Ludwig, teilweise als Dauerleihgabe; der 1996 verstorbene Großsammler hatte seit den 1970er Jahren Kunst aus der ehemaligen DDR gekauft.
Natürlich sind in der Jubiläumsausstellung Bilder der bekanntesten ostdeutschen Maler zu sehen – von Werner Tübke und Willi Sitte über Wolfgang Mattheuer, Berhard Heisig und Arno Rink bis zu Neo Rauch. Der Großteil der Exponate jedoch stammt von Künstlern, die in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind; der eigentliche Vorteil dieser Ausstellung.
Existentielle Mauerfall-Erfahrung
Zwar überzeugt nicht jedes Werk, doch in ihrer Gesamtheit bieten sie einen sehenswerten Querschnitt an künstlerischen Positionen. Dabei kreisen sie um den „Point of No Return“ im Titel, mit dem der Mauerfall gemeint ist – was sonst? Dieses Ereignis war ein tiefgehender Einschnitt im Leben jedes ehemaligen DDR-Bürgers; es markiert den grundlegenden Erfahrungsunterschied zwischen Menschen mit west- und ostdeutscher Sozialisation.
Allerdings fasst die Ausstellung diesen Zeitraum sehr weit; so werden neben Arbeiten aus der unmittelbaren Wendezeit und dem ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung auch solche aus den 1970er und 1980er Jahren gezeigt. In diesen Werken findet sich schon die Brüchigkeit und Ambivalenz des „real existierenden Sozialismus“.
Mauerbilder in Pop-Art-Manier
Insgesamt sieht man viel Beklemmendes und Düsteres, zum Beispiel die Bilderserie „Klage“ von Einar Schleef. Er stellt stark verfremdet Menschen in Telefonzellen dar; sie wirken wie Gefängnisräume. Oder ein todtrauriges Selbstporträt von Eve Rub; sie war gemeinsam mit ihrem Mann Frank Rub vor ihrer Ausreise in den Westen jahrelang der Bespitzelung durch die Stasi ausgesetzt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Doppel-Ausstellung "Kunsthalle Rostock 69/19" + "Palast der Republik" in der Kunsthalle Rostock zum 50-jährigen Bestehen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949 – 1990" - große Bestandsaufnahme im Albertinum, Dresden
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Hinter der Maske - Künstler in der DDR" - umfassende DDR-Überblicks-Schau im Museum Barberini, Potsdam
und hier einen Bericht über die Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" - Ost-West-Vergleichs-Schau in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden.
Zeit verwandelt Bilder in Chiffren
Auch nach 1989/90 leuchtet nicht gerade Optimismus von den Leinwänden. In ihrem ausdrucksstarken „Passagen“-Zyklus reflektiert die Leipziger Künstlerin Doris Ziegler die Umbrüche in einer Übergangsgesellschaft: Die Menschen setzen sich neue Masken auf die alten Gesichter.
Solche mehrere Jahrzehnte alten Arbeiten werden durch Werke jüngerer Künstler ergänzt. Auffällig ist, dass sie sich oft an den Insignien der ostdeutschen Vergangenheit abarbeiten. Peggy Meinfelder etwa katalogisiert all die Abzeichen, die sie in ihrer Kindheit erhalten hat, während Martin Mannig in „Abendgruß“ ein verzerrtes Abbild des TV-Sandmännchens schafft. Je größer der Zeitabstand zum Erleben in der damaligen DDR wird, desto stärker wandeln sich die vielfach gebrochenen Bilder dieses verschwundenen Landes zu reinen Chiffren.