
Ein ungeschriebenes Gesetz des Kulturbetriebs besagt, dass es für Konzertreihen, Literaturfestivals oder Großausstellungen passender Anlässe bedarf. Man kann nicht einfach herausragender Komponisten, Autoren oder Maler gedenken – dafür muss möglichst ein runder Jahrestag oder eine enge geographische Verbindung her. In diesem Fall ist es der Geburtsort: Olga Costa wurde 1913 als Olga Kostakowsky in Leipzig geboren. Sie war die älteste Tochter jüdischer Eltern aus Odessa in der Ukraine.
Info
Olga Costa – Dialoge mit der mexikanischen Moderne
01.12.2022 - 26.03.2023
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,
mittwochs 12 bis 20 Uhr
im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig
Katalog 29 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Erste Mexiko-Schau seit 2012
Wobei diese Präsentation der mexikanischen Moderne höchst verdienstvoll ist, denn sie wird hierzulande nur selten gezeigt – das letzte Mal vor elf Jahren in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall. Nur die Entscheidung, Costa in den Mittelpunkt zu rücken, erscheint etwas unglücklich: Gerade im direkten Vergleich mit denen von Weggefährten und Zeitgenossen wirken viele ihrer Arbeiten nicht gerade erstrangig.
Feature über Olga Costa mit Diaschau ihrer Werke; © Gab M
Populäres Früchte-Schulbuchbild
Das kommt auch in der überschaubaren Auswahl zum Ausdruck: Von den 90 meist kleinformatigen Exponaten, darunter knapp 40 Grafiken und Fotografien, sind nur 35 Werke von Costa selbst, also zwei Fünftel. Sie erlauben nur ansatzweise, ihren künstlerischen Werdegang nachzuvollziehen. 1933 besuchte sie vier Monate lang eine Kunsthochschule, heiratete aber zwei Jahre später ihren Ex-Studienkollegen José Chávez Morado. Mit ihm fand sie zurück zur Malerei, latinisierte 1936 ihren Nachnamen zu „Costa“ und hatte Zugang zu Künstlerkreisen.
1941 wurde sie Mitgründerin und Leiterin einer Galerie, vier Jahre später hatte sie ihre erste Einzelausstellung. 1951 erhielt sie ihren einzigen öffentlichen Auftrag: Das wandfüllende Gemälde „La vendedora de frutas“ („Die Früchteverkäuferin“) ist der Blickfang dieser Ausstellung und prangt auf sämtlichen Werbemitteln. Vor einer selbstbewusst thronenden Händlerin sind mehr als 50 Obstsorten ausgebreitet – ein bonbonbuntes Fest der natürlichen Reichtümer Mexikos. Das Bild zierte etliche Jahre mexikanische Schulbücher und ist entsprechend populär.
Keine Wandbilder oder Zeitkritik
Aber wenig repräsentativ für Costas Schaffen, das kaum Großformate umfasst. Ebenso wenig murales, also Wandbilder im öffentlichen Raum; der muralismo bleibt Mexikos wichtigster Beitrag zur Moderne. Staatliche Aufträge für Wimmelbilder zu historischen und sozialkritischen Themen wurden ab den 1920er Jahren meist an Männer vergeben, weil die Ausführung sehr strapaziös war; vor allem an die „Großen Drei“: Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros. Auch Costas Gatte Chávez Morado fertigte derartige Fresken an.
Fassaden lassen sich nicht in Ausstellungsräume wuchten, doch man könnte sich mit Fotos oder Entwürfen behelfen; das völlige Fehlen des muralismo befremdet. Wie die weitgehende Abwesenheit politischer Inhalte – nur ein Konvolut engagierter Druckgrafiken aus der 1937 gegründeten „Taller de Grafíca Popular“ („Werkstatt der Volksgrafik“, TGP) im MdbK-Besitz erinnert daran.
Stillleben + Landschaften bevorzugt
Von derlei hielt sich Costa fern, wie von Bildnissen überhaupt. Nur elf ihrer Arbeiten zeigen Menschen, und deren Darstellungen fallen nicht gerade ausdrucksstark aus. Die Künstlerin konzentrierte sich lieber – vielleicht aus Einsicht in die Grenzen ihres Könnens – auf Stillleben von Interieurs und Pflanzen. Ab den 1960er Jahren auch auf Landschaften, nachdem sie mit ihrem Mann in dessen Herkunftsregion Guanajuato umgezogen war.
Dort bauten sie eine Hacienda zum Künstlerhaus aus, das später in ein Museum umgewandelt wurde. Während ihr Lebensweg nach der Emigration trotz aller Vernetzung mit Mexikos intellektueller Elite eher geradlinig und beständig verlief, trifft das auf ihre Kunst kaum zu. Als Quasi-Autodidaktin probierte sie mal diese, mal jene Malweise aus – anders gesagt: Ihr fehlte eine persönliche Handschrift.
Nationalpreis + Hauptstadt-Werkschau
Was im mexikanischen Kontext, in dem flächige Formen der präkolumbischen Tradition und farbenfrohe Volkskunst mit Anklängen an naive Malerei geschätzt werden, offenbar kein Manko war. Costa fand durchaus Anerkennung, gipfelnd in der Verleihung des Nationalpreises und einer Lebenswerk-Retrospektive 1990 im hauptstädtischen Museo de Arte Moderno. Aber mit dem Abstand von drei Jahrzehnten wird deutlich: Etliche Zeitgenossen übertrafen sie um Längen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hello World – Revision einer Sammlung" – grandiose Universalkunst-Schau mit Werken des mexikanischen Surrealismus im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dark Mirror – Lateinamerikanische Kunst seit 1968" – hervorragende Überblicks-Schau mit zeitgenössischer Kunst aus Mexiko im Kunstmueum Wolfsburg
und hier einen Bericht über die Ausstellung "A Tale of Two Worlds" – umfassende Vergleichs-Ausstellung von Nachkriegskunst aus Lateinamerika und Europa im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main
und hier einen Beitrag über den Film "Eisenstein in Guanajuato" - sinnlich-burleskes Biopic über das Coming-Out des sowjetischen Regie-Genies in Mexiko von Peter Greenaway.
Mehr Mexiko ohne Leipzig-Bezug
Rosa Rolanda und Manuel González Serrano komponierten verstörende surrealistische Arrangements. Der Surrealismus wurde in Mexiko ab 1940 zum Magischen Realismus fortentwickelt; etwa von Carlos Mérida, Costas Lehrer an der Kunsthochschule. Oder von der französischstämmigen Alice Rahon, die mit irisierender Farbpalette kleinteilige Traumlandschaften entwarf. Eine Generation zuvor hatte Gerardo Murillo, genannt „Dr. Atl“, Ansichten majestätischer Vulkane mit scharfkantigem Realismus bildwürdig gemacht.
Jedem dieser Künstler wäre eine umfassende Retrospektive zu gönnen, um den Variantenreichtum mexikanischer Kunst im 20. Jahrhundert vor Augen zu führen. Interesse daran ist vorhanden; in drei Monaten haben 40.000 Besucher diese MdbK-Ausstellung gesehen. Sie bietet, was sonst in Museen moderner Kunst rar gesät ist: Farbenpracht und Sinneskitzel in tropischer Hülle und Fülle. Solcher Augenschmaus ließe sich mit den Werken der genannten Künstler fortführen – doch leider kam keiner von ihnen in Leipzig zur Welt.