München + Hamburg

Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga (1870 – 1945)

Ignacio Zuloaga: Porträt der Gräfin Mathieu de Noailles, 1913, Öl auf Leinwand, 152 × 195,5 cm. Foto: © Arte Ederren Bilboko Museoa – Museo de Bellas Artes de Bilbao. Fotoquelle: Kunsthalle München
Toreros, Corridas und Flamenco: Kein anderer Künstler hat Spanien-Klischees so fantasievoll bebildert wie Ignacio Zuloaga. Daheim galt das als zu rustikal, im Ausland hatte er viel Erfolg – bis er Francos Hofmaler wurde. Nun präsentieren Kunsthalle und Bucerius Kunstforum sein schillerndes Œuvre.

Stolze Toreros, temperamentvolle Flamenco-Tänzerinnen und Frauen, die kokett mit ihrem Fächer wedeln: Das kommt vielen Menschen spanisch vor. Zwar bestimmen heute ganz andere Dinge das Leben auf der iberischen Halbinsel; auch um 1900 ließ sich das Land nicht auf Andalusien reduzieren.

 

Info

 

Mythos Spanien –
Ignacio Zuloaga (1870–1945)

 

15.09.2023 - 04.02.2024

täglich 10 bis 20 Uhr

in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8, München

Katalog 48 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

17.02.2024 - 26.05.2024

täglich 11 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im Bucerius Kunstforum, Alter Wall 12, Hamburg

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Doch ein von Folklore-Klischees geprägte Spanien-Bild hält sich hartnäckig in den Köpfen. Daran hat auch der baskische Künstler Ignacio Zuloaga seinen Anteil. Wie und warum er beharrlich am Mythos Spanien strickte, beleuchtet eine fulminante Ausstellung in der Münchner Kunsthalle, die anschließend im Bucerius Kunstforum Hamburg gezeigt wird – als erste deutsche Retrospektive seines Werks seit mehr als 100 Jahren.

 

Klee + Macke waren Zuloaga-Fans

 

Die lange Funkstille verwundert, denn damals war Zuloaga hierzulande sehr populär. Rainer Maria Rilke ließ sich von ihm zu seinen Gedichten „Spanische Tänzerin“ und „Corrida“ inspirieren. Kollegen wie Paul Klee, August Macke oder Paula Becker-Modersohn schwärmten von ihm. Nachdem seine Bilder zwischen 1900 bis 1914 in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Dresden und München präsentiert worden waren, lösten sie in Deutschland eine regelrechte Spanien-Begeisterung aus.

Feature zur Ausstellung. © BR/ Kunsthalle München


 

Paris, Madrid, Rom + wieder Paris

 

Offenbar bedienten die Bildthemen von Zuloaga eine weit verbreitete Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Leidenschaft und echten Gefühlen als Antidot gegen das Unbehagen am Zeitalter der Industrialisierung und Mechanisierung. Heutzutage ist er in Deutschland nur noch Kennern der spanischen Kunst ein Begriff. Doch seine Arbeiten beeindrucken noch immer, wie die rund achtzig teils sehr großformatigen Gemälde dieser Werkschau beweisen.

 

1870 im baskischen Eibar als Sohn eines angesehenen Goldschmieds geboren, wird Ignacio Zuloaga bereits mit elf oder zwölf Jahren auf eine Schule in Paris geschickt. Nach anschließender Malerei-Ausbildung in Madrid und kurzen Studienaufenthalten in Rom reist er um 1889 herum erneut in die französische Hauptstadt. Dort lernt er Künstler wie Degas, Gauguin, Van Gogh und Toulouse-Lautrec kennen, aber auch katalanische Modernisten um Santiago Rusiñol und Ramon Casas; sie sollten später Picasso den Weg ebnen. Mit Emile Bernard verbindet ihn eine enge Freundschaft; beide gehen mehrfach gemeinsam auf Reisen.

 

Zum Defranzösisieren nach Sevilla

 

Kurzzeitig experimentiert Zuloaga mit verschiedenen Stilen, hat aber nur mäßigen Erfolg. Anders als viele seiner Landsleute, die sich an der französischen Avantgarde ausrichten, wendet er sich 1894 von der als dekadent empfundenen Metropole ab. Er kehrt nach Spanien zurück, um sich zu „defranzösisieren“: „In Paris glaubte ich, die Kunst und ihre Schule zu finden. Ich war ein Avantgardist. Eine Reise in mein Heimatland zeigte mir, dass ich mich irrte, ich sah mich in einer Sackgasse. Von da an ließ ich meine Irrtümer hinter mir und besann mich auf die Tradition meines Landes“, wird er rückblickend sagen.

 

Sevilla wird für den jungen Basken zur Offenbarung. Er taucht ins andalusische Lebensgefühl ein, in die Welt des Flamenco, der Gitanos und Toreros, lässt sich sogar zum Stierkämpfer ausbilden und verarbeitet all das in seiner Kunst. 1898 folgt er seinem Onkel Daniel Zuloaga nach Segovia und entdeckt dort das karge Kastilien, die Heimat des Don Quijote. Nach dem heiteren „weißen Spanien“ im sonnendurchglühten Andalusien begeistert er sich nun für la España negra, das so genannte „schwarze Spanien“ voller Aberglauben, mystischem Katholizismus und archaischen Traditionen.

 

Spaniens Essenz festhalten

 

Damit beginnt eine neue Etappe in seiner künstlerischen Entwicklung: Prächtig gekleideten Toreros stellt er wettergegerbte Bauern bei der Weinernte zur Seite. Neben seinen koketten Cousinen bevölkern nun auch Bucklige, Kleinwüchsige, Bettler oder Prostituierte die Gemälde. In Spanien rümpft man darüber die Nase und bevorzugt die Werke von Zuloagas Rivalen Joaquín Sorolla; der impressionistische Maler sorgt mit lichtdurchfluteten Strandbildern für gute Stimmung.

 

Dabei geht es Zuloaga keineswegs um Sozialkritik oder Miesmacherei. Vielmehr will er festhalten und damit retten, was seiner Meinung nach die Essenz Spaniens ausmacht: „Wir sind das letzte Land der Kunst auf der Welt, mit unseren Dörfern, unseren Trachten, unserem Stierkampf, unseren jahrhundertealten Riten, unseren Prozessionen, unseren Bräuchen. Bei uns lebt und vibriert die Vergangenheit noch, während anderswo nichts von ihr übrig geblieben ist“, ist er überzeugt.

 

Anerkennung nördlich der Pyrenäen

 

Seine Darstellungen einer vermeintlich unverfälschten Volkskultur soll auch der tiefen Depression entgegenwirken, die im Land herrscht: 1898 hatte Spanien den Krieg mit den USA und damit seine letzten Überseekolonien Kuba und Philippinen verloren. Der darauf folgenden Identitätskrise will Zuloaga mit Bildern vom Landleben, volkstümlichen Fiestas und bodenständigen Charakteren entgegenwirken. Dabei greift er auf die Traditionen des Siglo de Oro zurück, dem „Goldenen Zeitalter“ von etwa 1550 bis 1660. Der Einfluss von alten Meistern wie El Greco, Velázquez und Goya auf sein Werk ist unverkennbar.

 

Zwar gilt Zuloaga als Prophet im eigenen Land wenig, doch sein Erfolg ist jenseits der Pyrenäen umso größer. Die spanische Jury lehnt seinen Beitrag zur Pariser Weltausstellung von 1900 ab; stattdessen wird das Werk „Am Vorabend der Corrida“ vom belgischen Staat angekauft. Zuvor hatte die französische Republik 1899 sein Gemälde „Mein Onkel und meine beiden Cousinen“ erworben; zwei Jahre später wird Zuloaga assoziiertes Mitglied der Pariser Société Nationale des Beaux-Arts.

 

Erste Werkschau in Spanien erst 1926

 

Die Popularität von iberischer Folklore und Exotik in Frankreich seit Georges Bizets „Carmen“-Oper von 1875 nach Prosper Mérimées gleichnamiger Erzählung nutzt der Maler geschickt zur Selbstvermarktung. Dabei eröffnet ihm seine Heirat mit Valentine Dethomas, einer Dame aus wohlhabendem Haus, ab 1899 den Zugang zur feinen Pariser Gesellschaft. Zuloaga wird zum gefragten Porträtisten; so verewigt er etwa 1913 die mondäne Dichterin Gräfin Mathieu de Noailles in lasziver Pose.

 

Erfolge feiert er ab 1900 ebenso in Deutschland, wo er bei einer Ausstellung in Dresden mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wird. Es folgen Werkschauen in anderen Ländern, nach dem Ersten Weltkrieg gleichfalls in New York, Boston oder Havanna, bevor er 1926 endlich auch in Madrid mit seiner ersten Einzelausstellung in Spanien gewürdigt wird. Inzwischen hat sich die Avantgarde längst in Richtung Abstraktion bewegt, doch Zuloaga bleibt seiner Maltechnik und seiner figurativen Motivwelt treu.

 

Drei Zuloaga-Gemälde für Adolf Hitler

 

Mittlerweile wohlhabend, betätigt er sich nebenher als Kunstsammler und -händler, erwirbt einige Werke von El Greco und Goya, erleidet aber durch den Börsencrash von 1929 erhebliche finanzielle Verluste. Noch schmerzlicher ist für ihn, dass republikanische Truppen im Spanischen Bürgerkrieg sein Bankschließfach in San Sebastian plündern, in dem er sein Geldvermögen und ein Gemälde von El Greco aufbewahrt hatte. Nun schlägt sich der bislang eher liberal Gesinnte auf die Seite des Putschisten Francisco Franco.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Joaquín Sorolla – Spaniens Meister des Lichts" - opulente Retrospektive des iberischen Impressionisten in der Kunsthalle München

 

und hier eine Besprechung des Films "La Singla" – raffiniert komponierte Doku über den gehörlosen Flamenco-Star der 1960/70er Jahre von Paloma Zapata

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "El Siglo de Oro – Die Ära Velázquez" – hervorragende Epochen-Schau über spanischen Barock in Berlin + München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Emile Bernard – Am Puls der Moderne" – große Werkschau des Künstlerfreunds von Zuloaga in der Kunsthalle Bremen.

 

Bittere Ironie der Geschichte: Nachdem Zuloaga zuvor von vielen Spaniern als unpatriotisch abgestempelt worden war, stilisiert ihn nun die Militärdiktatur zur Ikone jenes traditionsverhafteten und volkstümlichen Spaniens, das die Ideologie des franquismo propagiert. Mit höchsten Ehren auszeichnet, lässt er sich für die Zwecke des Regimes einspannen. Was darin gipfelt, dass der Generalísimo drei Zuloaga-Gemälde 1939 Adolf Hitler schenkt; zum Dank für dessen Entsendung der „Legion Condor“, die Guernica bombardiert hatte. Kurz vor seinem Tod 1945 porträtiert der Künstler sogar Franco selbst und seine Familie.

 

Automobil-Besitzer seit 1902

 

Die verschiedenen Etappen dieser schillernden Künstlerkarriere werden in der Ausstellung reich bebildert. Nach Themen wie „Stierkampf“ oder „Religiöses“ geordnet, spannt sie den Bogen von frühen Pariser Straßenszenen über Landleben-Bilder, Darstellungen von Heiligen oder Kreuzigungen bis zu späten Porträts. Während manche früheren Werke durch meisterhafte Komposition und fein herausgearbeitete Gesichtszüge überzeugen, zeigen andere Gemälde eher Archetypen als lebendige Menschen.

 

Vor allem Porträts von befreundeten Dichtern und Künstlern, die er vor karge Berge oder archaische Dörfer platziert, wirken bisweilen steif, fast plakativ. Zumal Zuloaga alle Elemente des modernen Daseins wie etwa Automobile tunlichst ausspart – obwohl er sich bereits 1902 eine Limousine für seine Reisen zugelegt hatte. Doch gerade dadurch, dass er so beharrlich das zeitlose, archaische Iberien beschwor, bebilderte er den „Mythos Spanien“. Bis heute hat der nicht ausgedient – vor allem in der Tourismusindustrie.