Mittelasien – unendliche Weiten. Und mittendrin, etwa auf halbem Weg zwischen Deutschland und China gelegen: Usbekistan. Da läge die Metapher vom „Kreuzungspunkt der Kulturen“ nahe, doch das suggerierte eine Stabilität – Kreuzungen bleiben, wo sie sind –, von der hier nicht die Rede sein kann.
Info
Archäologische Schätze aus Usbekistan. Von Alexander dem Großen bis zum Reich der Kuschan
04.05.2023 - 14.01.2024
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
in der James-Simon-Galerie und dem Neuen Museum, Bodestr., Berlin
Katalog 49,80 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Von Tell Halaf bis Margiana
Diese Gemengelage will das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) für das hiesige Publikum entwirren. Ein ehrgeiziges Vorhaben; es knüpft an eine lockere Tradition der SMB an, archäologische Funde abseits der geläufigen antiken Zentren zu präsentieren: mit Ausstellungen zu Tell Halaf in Syrien (2011), der arabischen Halbinsel (2012) oder dem bronzezeitlichen Margiana-Königreich in Turkmenistan (2018).
Impressionen der Ausstellung
Ferne Weltgegend rückt näher
Ohnehin sind Ausstellungen über solche Themen hierzulande dünn gesät. Die letzte über die graeco-indische Mischkultur von Gandhara in Nordpakistan fand 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau statt; eine Schau über die Feldzüge Alexanders des Großen bis Mittelasien im selben Jahr in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen. 2017 betrachtete zudem die Bonner Bundeskunsthalle frühe Kulturen im Iran. Das war es dann auch weitgehend; diese Weltgegend ist eben von hier aus gesehen geographisch wie kulturell sehr weit weg.
Aber sie rückt näher. Aus dem failed state Afghanistan strömen unentwegt Flüchtlinge nach Europa; Ähnliches droht im Fall des Dauer-Krisenherds Pakistan. Die aggressive Außenpolitik des Mullah-Regimes in Teheran versetzt den gesamten Nahen und Mittleren Osten in Aufruhr. Und die Friedhofsruhe in den mittelasiatischen Autokratien könnte mit wachsendem demographischen Druck in absehbarer Zeit schlagartig enden. Grund genug, sich mit den politischen und kulturellen Wurzeln dieser Großregion zu beschäftigen.
Staatsgrenzen als Scheuklappen
Wobei sich die Zusammenarbeit der SMB mit der staatlichen usbekischen „Art and Culture Development Foundation“ durchaus als zwiespältig erweist. Einerseits ist sie wohl unabdingbar; ohne enge Kooperation mit regierungsnahen Stellen geht in Mittelasien gar nichts. Andererseits schränkt sie die Schau auf geradezu absurde Weise auf Fundorte im heutigen Usbekistan ein – obwohl sämtliche relevanten Phänomene und Kulturen weit darüber hinausreichen. Heutige Staatsgrenzen als Scheuklappen.
Die Ausstellung versucht, das Beste daraus zu machen. Indem sie enormen Vermittlungsaufwand betreibt: mit kleinteiliger Auffächerung in 13 Einzel- und 39 Unterthemen. Mit einer riesigen Zeittafel, etlichen Karten und eigens produzierten Panorama-Filmen über Fundstätten in der jeweiligen Landschaft. Und mit zahllosen Kurztexten über die jeweilige Epoche, ihre Völker und Herrscher, Religionen und Riten, Sitten und Gebräuche. Wer alles liest, dem schwirrt nach einer Weile der Kopf: Es war einfach zuviel los im betrachteten Zeitraum von etwa 700 Jahren.
Hellenismus als Kulturrevolution bis Indien
Am meisten Halt bietet der Anfang mit Alexander dem Großen (356-323 v. Chr.). Sein legendärer Persien-Feldzug, auf dem er in nur elf Jahren das größte Reich zusammenraffte, das diese Weltgegend je erlebt hat, bietet die Klammer dieser Schau: Nur durch seine Person wurden alle Landstriche zwischen Griechenland, Ägypten und Mittelasien in einem Staatsgebilde verbunden. Obwohl es äußerst kurzlebig war und nach Alexanders Tod sofort in Teilreiche zerfiel, deren Herrscher einander erbittert bekämpften: Die kulturelle Bande blieb Jahrhunderte lang erhalten.
Alexander trug die griechische Kultur bis nach Nordwest-Indien: Der Hellenismus war eine Kulturrevolution, deren Wirkung nur mit der Amerikanisierung des Globus seit dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar ist. Das Seleukidenreich im Vorderen Orient, das Partherreich im Iran, das Graeco-Baktrische Reich zwischen Aral-See und Indus-Tal, die Region Gandhara im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan, selbst das Kuschan-Reich von Tadschikistan bis Mittelindien – sie alle waren durch Hellas‘ Sprache und Zivilisation geprägt.
Meditation neben korinthischen Säulen
Aber nicht allein durch sie. Die Einflüsse kamen aus allen Himmelsrichtungen: von Westen aus dem Zweistromland und dem iranischen Hochland, von Norden durch Reiternomaden, von Osten aus dem heutigen Tibet und China – und vor allem aus der indischen Hochkultur im Süden. Kaum glaublich, dass die buddhistische Kunst ihre früheste Blütephase nicht im indischen Kernland, sondern in Gandhara und Kuschana erlebte: Hier wurde erstmals Buddha nicht nur symbolisch, sondern als Figur dargestellt – und zwar nach dem Vorbild von Apoll in faltenreichem Gewand.
Wie beim wohl schönsten Exponat: einem makellosen Hochrelief aus Lehm, gefunden in der Klosteranlage von Fayaztepa in Süd-Usbekistan. Buddha sitzt meditierend unter einem Bogen, der von zwei Säulen mit korinthischen (!) Kapitellen getragen wird. An beiden Seiten stehen Mönche, hinter ihm wölbt sich ein Bodhi-Strauch. Das Amalgam aus griechischen und indischen Elementen ist unübersehbar; noch ausgefeiltere Beispiele für den graeco-buddhistischen Stil finden sich allerdings kaum 500 Meter entfernt in der Dauerschau des Humboldt-Forum.
Kiloweise Gold aus Dalverzintepa
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gandhāra" – guter Überblick über die antike graeco-indische Mischkultur im Museum DKM, Duisburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Margiana - Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan" über eine 4000 Jahre alte Hochkultur nördlich des Iran in Berlin, Hamburg + Mannheim
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Iran: Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste" – große Überblicksschau bis Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Roads of Arabia" mit archäologischen Schätzen aus Saudi-Arabien im Pergamonmuseum, Berlin.
Karge Reste von Festungen wie Kurganzol und Uzundara, die er zwischen Sogdien und Baktrien im heutigen Süd-Usbekistan errichten ließ, werden durch aufwändige Computer-Simulationen anschaulich. Aus Dalverzintepa, einem wichtigen Zentrum des Kuschan-Reichs nahe der heutigen tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, wurden sogar Teile eines 35 Kilogramm schweren Goldschatzes herbeigeschafft.
Griechen-Götter von China-Nomaden
Allein: Solche Funde sprechen nicht zum hiesigen Publikum. Reiz und Bedeutung erschließen sich erst nach der Lektüre umfangreicher Erläuterungen. Das zeigt sich besonders im letzten Saal; er ist der Palastanlage von Chaltschajan aus dem 1. Jh. v. Chr. gewidmet. Dort wurde eine ganze Halle mit vollplastischen Figuren aus der Mythologie und Königsfamilie geschmückt. Auf den ersten Blick wirken sie frisch und lebendig, aber unspektakulär, zumal die meisten nur in Fragmenten erhalten sind.
Man muss sich klar machen, dass diese Tonköpfe und -leiber, die Göttern aus provinzgriechischen Heiligtümern und Soldaten oder Jägern aus dem europäischen Mittelalter ähneln, vor 2100 Jahren von Yuezhi-Reiternomaden geformt wurden, die aus Westchina stammten. Dann erst erfasst man den ungeheuren Brückenschlag, der hier zu sehen ist: Nie wieder kamen Ost und West sich kulturell so nahe.