Hamburg + Basel

Geniale Frauen – Künstlerinnen und ihre Weggefährten

Catharina Treu und Johann Nikolaus: Portrait der Catharina Treu mit Früchtekorb, 1771, Museen der Stadt Bamberg, Historisches Museum. Fotoquelle: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Kein Geniestreich, eher eine bienenfleißig zusammengetragene Fallsammlung: Bucerius Kunst Forum und Kunstmuseum zeichnen das Arbeitsleben von 30 Künstlerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts nach. Ein überbordender, wenig strukturierter Bilderbogen bietet vorwiegend nahe liegende und etwas banale Einsichten.

„Geniale Frauen“ ist ein genialer Ausstellungstitel; damit hat man schon einmal 52 Prozent des potentiellen Publikums auf seiner Seite. Wie die meisten zündenden Reklameslogans ist auch dieser, wohlwollend betrachtet, reichlich unscharf – bösartig interpretiert: schlicht irreführend. Denn das Hamburger Bucerius Kunst Forum und Kunstmuseum Basel gehen nicht so weit, 30 Künstlerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts unisono Genialität zuzuschreiben.

 

Info

 

Geniale Frauen – Künstlerinnen und ihre Weggefährten

 

14.10.2023 - 28.01.2024

täglich außer montags 11 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, Hamburg

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

02.03.2024 - 30.06.2024

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

mittwochs bis 20 Uhr

im Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 8, Basel 

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Stattdessen dreht sich alles um den zweiten Kernbegriff im Titel: die „Weggefährten“, also das personelle und soziale Umfeld, in dem damalige Künstlerinnen tätig waren – oder es bleiben ließen. Trotz massiver Präsenz von Porträts in den Werbematerialien und Ausstellungsräumen stehen also weniger konkrete Personen im Zentrum der Betrachtung, sondern vielmehr Strukturen: Auf welche Weise konnten Frauen damals ihrem kreativen Metier nachgehen – oder auch nicht? Doch „Rahmenbedingungen der Berufsausübung für Künstlerinnen in der Frühneuzeit“ wäre als Titel wenig zugkräftig.

 

Überambitionierter Spagat

 

Der Spagat zwischen werbewirksamer Fokussierung auf attraktive Malerinnen und kunsthistorisch nüchterner Analyse ihrer Milieus prägt die gesamte Schau. Er macht das ehrgeizige Unterfangen lobenswert, aber auch überambitioniert. Durch seinen Anspruch, jederzeit alles im Blick zu haben und detailgesättigt vorzuführen, wirkt es leicht überfrachtet.

Impressionen der Ausstellung


 

Berühmteste Künstlerinnen fehlen

 

Zwar organisiert die Ausstellung ihr Material mustergültig, dennoch bleibt es eine überbordende Menge an Material. Davon dürften sich vor allem Besucher ohne Vorkenntnisse, also die große Mehrheit, beim Rundgang überfordert fühlen. Weniger wäre mehr gewesen; angefangen bei der Anzahl der ausgewählten Akteurinnen.

 

Rund 150 Werke von 30 Künstlerinnen und ihrem Umkreis – da entfällt rein rechnerisch auf jede fünf Arbeiten, von denen manche zudem von ihren Gatten, Vätern oder Brüdern stammen. Wie soll man sich da ein Bild vom jeweiligen persönlichen Stil machen? Wobei bizarrerweise die beiden berühmtesten Künstlerinnen der Epoche fehlen: Die Barockmalerin Artemisia Gentileschi (1593-1654) und die Klassizistin Élisabeth Vigée-Lebrun (1755-1842) werden nur im Katalog erwähnt.

 

30 nacherzählte Lebensgeschichten

 

Um den Eindruck einer beliebigen Bilderbogens zu vermeiden, ist die Schau in sieben Abschnitte unterteilt, etwa „Bewusst ohne Ehemann“, „Karriere vor der Ehe“ und „Malen mit Familie“. Diese Fixierung auf Verwandtschaftsverhältnisse ist durchaus in der Sache begründet: Frauen waren keine selbstständigen Rechtssubjekte, durften meist nicht bei einem Künstler in die Lehre gehen, nicht den Zünften beitreten und keine Werkstätten führen. Also mussten Familienmitglieder ran.

 

Dazu listet die Ausstellung Fallbeispiele mit nahe liegenden und etwas banalen Einsichten auf. Natürlich kamen Frauen, die künstlerisch aktiv wurden, meist aus Künstlerfamilien; sie erwarben ihre Kenntnisse von Vätern oder Brüdern. Hatten sie entsprechende Fertigkeiten, arbeiteten sie den Männern zu. Selten gelang es ihnen, sich mit eigenen Werken einen Namen zu machen; noch seltener konnten sie sich über strenge Zunft- und Standesregeln hinwegsetzen. Wie häufig das geschah und welche Umstände das begünstigten oder behinderten, bleibt offen; die Schau begnügt sich damit, 30 Lebensgeschichten nachzuerzählen.

 

Frau schafft Kunst + Kinder, Mann führt Haushalt

 

Manche sind spektakulär, etwa die von Lavinia Fontana (1552–1614). Sie war von ihrem Maler-Vater Prospero hervorragend ausgebildet worden; auch sein bester Schüler, der bis heute bekannte Manierist Denys Calvaert, übte großen Einfluss auf sie aus. Daher versuchte sich Fontana schon früh an vielfiguren Historienbildern, die als Königsdisziplin der Malerei galten.

 

1577 vermählte ihr Vater sie mit dem offenbar nachrangigen Künstler Giovanni Paolo Zappi; ohne eine Mitgift außer des Vaters Werkstatt. Bei freier Kost und Logis beanspruchte Prospero die Einnahmen aus der künstlerischen Tätigkeit seiner Tochter. Gleichzeitig bekam sie in den nächsten 18 Jahren elf Kinder, von denen nur vier überlebten, um die sich offenbar ihr Gatte kümmerte. Sie arbeitete, er führte den Haushalt – eine im 16. Jahrhundert außergewöhnliche Arbeitsteilung.

 

Verkauf von Grafik + Aquarellen war erlaubt

 

Konventioneller lebte Gesina ter Borch (1631–1690), obwohl sie ebenfalls in einer bekannten Künstlerfamilie heranwuchs. Doch neben kleinformatigen Zeichnungen und Aquarellen beschränkte sie sich darauf, ihrem Bruder Gerard für seine prachtvollen und bis heute hochgeschätzten Genrebilder Modell zu stehen. Auch Marietta Robusti, gen. La Tintoretta (1551-1590), trat künstlerisch wenig in Erscheinung. Die Lieblingstochter des berühmten Jacopo Tintoretto stand ihm in dessen Werkstatt zur Seite; ob sie eigene Bilder hinterlassen hat, ist ungewiss.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Anna Dorothea Therbusch – Eine Berliner Künstlerin der Aufklärungszeit" in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo" – hervorragende Themenschau mit Werken von Artemisia Gentileschi im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Wege des Barock" opulente Präsentation zweier hochkarätiger römischer Sammlungen mit Werken von Artemisia Gentileschi im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Fantastische Frauen – Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo" – ausgezeichnete Themenschau in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main.

 

Künstlerinnen, die eigenständiger agieren wollten, verlegten sich gern auf Grafik oder Aquarelle; deren Herstellung und Verkauf war, anders als bei Ölgemälden, auch Frauen in Eigenregie gestattet. Manche brachten es damit sehr weit. Maria Sybilla Merian (1647-1717) hob mit akribischen Naturstudien die Dokumentation in den Naturwissenschaften auf ein neues Niveau. Maria Katharina Prestel (1747–1794) hatte mit ihrem Lehrer und späteren Ehemann Johann Gottlieb großen Erfolg mit Druckmappen in Aquatinta-Technik; aus der von ihnen 1774 gegründeten Kunsthandlung ging der bis heute existierende Prestel-Verlag hervor.

 

Hofkünstlerinnen + Akademiemitgliederinnen

 

Ständezwängen nicht unterworfen waren Hofkünstlerinnen; etwa die Italienierin Sofonisba Anguissola (um 1532–1625), die am spanischen Hof Karriere machte. Oder Catharina Treu (1743–1811), die kurfürstliche Hofmalerin in Mannheim wurde. Echten Starkünstlerinnen-Status können jedoch die beiden Malerinnen beanspruchen, mit denen der Rundgang endet. Die Berlinerin Anna Dorothea Therbusch (1721–1782) startete erst mit 40 Jahren richtig durch, als ihre Kinder volljährig waren; sie schaffte es, in die Pariser „Académie royale de peinture et de sculpture“ aufgenommen zu werden.

 

Noch begehrter waren die Werke von Angelika Kauffmann (1741–1807), die Mitglied eines halben Dutzend von Kunstakademien europaweit wurde. Doch die Lebensläufe von Stars wie Therbusch und Kauffmann sind geläufig; sie wurden mehrmals in Ausstellungen der letzten Jahre gewürdigt. Anders verhält es sich mit den meisten der 30 hier vorgestellten Frauen – aber aufgrund der Überfülle bleiben die meisten schemenhaft und kaum greifbar.

 

Zuviel Geniekult erschöpft

 

Zwar fällt zumindest die Präsentation abwechslungsreicher aus als bei „Muse oder Macherin?“ 2023 in Berlin; darin reihte das Kupferstichkabinett nur Grafiken und Lebensläufe von „Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400-1800“ monoton aneinander. Dennoch: Bei der zweiten Station der Schau in Basel böte sich an, wichtige Akteurinnen eingehender zu beleuchten, und die übrigen wegzulassen. Zuviel Geniekult erschöpft jede Betrachterin.