Hamburg

Dix und die Gegenwart

Nicolas Party: Portrait with a Lawyer (Detail), 2021, © Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Foto: Adam Reich. Fotoquelle: Deichtorhallen Hamburg
Otto Dix hat das Bild der Weimarer Republik geprägt wie kein anderer. Doch der größte Teil seines Werks, das in der NS- und Nachkriegszeit entstand, ist wenig bekannt. Das ändern die Deichtorhallen mit einer opulenten Retrospektive – plus 100 Arbeiten von heutigen Künstlern. Was zuviel des Guten ist.

Das Werk von Otto Dix (1891-1969) lässt sich dreiteilen. Der erste Teil, der in nur 15 Jahren entstand, ist weltbekannt: Es ist das Werk des militanten Pazifisten und Chronisten der Weimarer Republik – so ätzend wie das von George Grosz, aber künstlerisch ausgefeilter. Dix war versiert in altmeisterlichen Maltechniken; damit schuf er kleinteilige Kriegs-Panoramen voller grässlicher Details. Und Sittenbilder der Nachkriegszeit, die mit ihrer unbarmherzigen Genauigkeit zu den Ikonen der Neuen Sachlichkeit zählen.

 

Info

 

Dix und die Gegenwart

 

30.09.2023 - 01.04.2024

 

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,
1. Donnerstag im Monat bis 21 Uhr
in den Deichtorhallen, Deichtorstr. 1-2, Hamburg

 

Katalog 48 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Der zweite Teil entstand in den zwölf Jahren des NS-Regimes. Dix galt als ‚entarteter‘ Künstler, wurde als Hochschulprofessor in Dresden entlassen, konnte sich aber in die so genannte innere Emigration zurückziehen. Dank seiner verwickelten Familienverhältnisse: Er hatte 1923 Martha Koch geheiratet.

 

Ex-Mann von Dix‘ Frau ist sein Schwager

 

Sie war die geschiedene Frau von Hans Koch; der vermögende Arzt und Kunstsammler hatte zuvor Marthas Schwester Maria geehelicht. So wurde der Ex-Mann von Dix‘ Frau zu seinem Schwager – und bot beiden 1933 Unterschlupf am Bodensee auf Schloss Randegg, das Koch gehörte. Drei Jahre später baute sich das Ehepaar Dix mithilfe einer Erbschaft von Martha in der Nähe ein Atelierhaus.

Impressionen der Ausstellung


 

Nicht konventionell, sondern subversiv

 

Die Gemälde, die dort entstanden, sind selten öffentlich zu sehen: Natur- und Landschaftsansichten sowie repräsentative Porträts – manche waren Auftragsarbeiten, mit deren Verkauf Dix sich über Wasser hielt. Doch diese Bilder seien weniger konventionell als gemeinhin angenommen wird, argumentiert Kuratorin Ina Jessen: Sie steckten voller hintergründig subversiver Botschaften. Die hervorzukehren, ist Absicht der Ausstellung in den Deichtorhallen.

 

Die dritte Phase von Dix Œuvre beginnt gegen Kriegsende und wird nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 dominant: eine stilisierte Malweise in fahlen Farben und gröberem Duktus wie zeitgleich etwa bei Karl Hofer. Dieses neoexpressionistische Spätwerk mit vielen religiösen Motiven wird ebenfalls kaum gezeigt; auch diese Ausstellung beschränkt sich auf wenige Beispiele.

 

Unklare Definition von Einfluss

 

Stattdessen bietet sie neben 50 Originalwerken von Dix rund 100 Arbeiten von 50 zeitgenössischen Künstlern auf, die von ihm inspiriert oder beeinflusst sein sollen. Um diese Bilderflut zu strukturieren, ist die Schau in sieben Abteilungen gegliedert, von denen manche unmittelbar einleuchten: etwa „Großstadt“, „Altmeisterlichkeit“ oder „Zwischen den Weltkriegen“. Andere wirken recht konstruiert wie „Das Typenporträt im Umbruch“, „Politische Landschaft“ oder „NS-Rezeption und das Groteske“.

 

Was auch daher rührt, dass unklar bleibt, welcher Art der Einfluss ist, den Dix auf heutige Künstler ausgeübt haben soll. Geht es um Motive und Bildformeln, die von ihm übernommen werden? Eine ideologisch oder weltanschaulich bestimmte Themenwahl? Seine spezielle Technik, zeitgenössische Phänomene altmeisterlich darzustellen und ihnen damit einen besonderen Nimbus zu verleihen? Oder um das allgemeine Flair von Dix‘ Bilderkosmos, das sich bei heutigen Nachfolgern wiederfindet?

 

Abwechslungsreich + verwirrend

 

Das lässt die Schau unbestimmt: mal so, mal so. Indem sie einmal diesen, dann jenen Aspekt aufgreift, macht sie es sich leicht – sie wird abwechslungsreich, aber auch verwirrend. Bereits die erste Sektion „Großstadt“ gleicht einem Potpourri. Dix‘ gleichnamiges, epochales Gemälde von 1927/8 ist wie zwei andere bedeutende Triptychen von ihm verständlicherweise nur als Reproduktion zu sehen.

 

Doch ringsherum tummeln sich verschiedenste vielfigurige Darstellungen: von einer farbenfrohen Steppdecke mit Jazzband von Faith Ringgold über zwei American-Football-Szenen im Comicstil von Ernie Barnes bis zu einem „Hospital Triptych No. 1“, das der chinesische Künstler Zeng Fanzhi 1991 malte. Seine grobschlächtige Karikatur einer überfüllten Klinik hat mit dem Dix-Bild nur gemeinsam, dreiteilig zu sein.

 

Alle möglichen Typen

 

Die „Typenporträts“ im Anschluss würfeln ebenso alles Mögliche zusammen: klassische Radierungen von Dix, eindrucksvolle Grafiken von Lucien Freud und der portugiesisch-britischen Künstlerin Paula Rego, die motivisch daran anschließen. Aber auch sattsam bekannte Underground-Schnappschüsse von Nan Goldin mit drop-outs jeder Couleur, und den opulenten Videofilm „Deep Gold“ von Julian Rosefeldt. Darin ließ der Münchener 2013/4 das ach so dekadente Treiben in den Goldenen Zwanzigern nachspielen. Wenn dieses Augenpulver von Dix inspiriert ist, dann sind es sämtliche Staffeln der TV-Serie „Berlin Babylon“ umso mehr.

 

Gewiss: Es gibt Arbeiten, die sich offensichtlich an Dix orientieren – etwa an seiner Manier, körperlichen Verfall akribisch darzustellen. Daran schließen Frauen-Porträts von Martin Eder, Falk Gernegroß und John Currin mit viel schaurig-schöner nackter Haut direkt an; jedes Bild eine Paraphrase von Dix‘ „Vanitas“-Darstellung von 1932, auf dem eine rosig frische Maid von einer nackten Greisin verfolgt wird.

 

Acht Meter hohe Leinwände als Blickfang

 

Noch enger knüpft die israelische Künstlerin Yael Bartana an Dix an. Seine invaliden „Kriegskrüppel“ auf einem verschollenen Bild von 1920 hat sie animiert; nun humpeln die Figuren zitternd und rumpelnd durch ihren Video-Trickfilm „Entartete Kunst lebt“ von 2010. Doch solche appropriation art kann schwerlich als Aktualisierung von Dix‘ Geist für die Gegenwart gelten. Und die schwarzweißen Fotoserien von Gestrandeten, die Miron Zownir seit den 1980er Jahren in diversen Metropolen knipste, der radikalen Dix-Radierungsmappe „Der Krieg“ von 1924 gegenüberstellen – das kann nur, wer Kaputtniks aller Zeiten in einen Topf werfen will.

 

Am anderen Ende des Spektrums hängen die monumentalen, schwärzlich schillernden Banner-Bilder von Anselm Kiefer mit dunkel dräuenden Titeln wie „Am letzten Tor“ und „An die Haltlosigkeit“. Mit Dix‘ sehr konkretem Anmalen gegen mörderisches Schlachten hat das so gut wie nichts zu tun – aber bis zu acht Meter hohe, frei im Raum schwebende Leinwände sind immer ein Blickfang. Darauf kommt es an; kein anderes Exponat nutzt die Dimensionen der Deichtorhallen derart aus.

 

Schockwirkung durch Ton-in-Ton

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Otto Dix: Der böse Blick" – spektakuläre Gedenkschau in den Kunstsammlungen K20, Düsseldorf

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" mit Werken von Otto Dix in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München

 

und hier einen Beitrag über den Film "Jeder schreibt für sich allein" – differenzierter Essay-Film über innere Emigration in der NS-Zeit von Dominik Graf

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Blickwechsel: Pioniere der Moderne" mit Arbeiten von Otto Dix in der Neuen Pinakothek, München.

 

Wobei die Schrecken des Kriegs durchaus das Generalthema dieser Schau sind. Dafür darf Dix‘ Großformat „Flandern“ von 1934/6 als Schlüsselbild gelten; es veranschaulicht den Übergang von der ersten zur zweiten Phase seines Werks. Bei flüchtigem Hinsehen scheint die Szene idyllisch: Sonnenübergang über beschaulichen Tümpeln und Hügeln. Näher betrachtet enthüllt sie Grauenvolles: Die Tümpel sind Bombentrichter, die Hügel aufgehäufte Soldatenleichen, die in Verwesung übergehen. Das Scheußliche wird durch penible Ton-in-Ton-Malweise camoufliert – und dadurch umso schockierender.

 

Ähnlich, so Kuratorin Ina Jessen, seien viele der Bilder zu verstehen, die Dix nach 1933 am Bodensee schuf. Das mag für etliche Landschaften gelten: anmutige Postkarten-Panoramen, aber in so übertrieben leuchtenden Farben, als hätte ein Photoshop-User die Kontrast-Funktion bis zum Anschlag hochgedreht. Grellrot lodernde Himmel und mächtig sich bauschende Wolkenformationen lassen sich als Anspielungen auf den drohenden Weltenbrand deuten, der 1939 begann.

 

Tübke ist kein Dix-Adept

 

Derlei Symbolik fehlt den Porträts, mit denen Dix damals Geld verdiente. Insofern lassen sich durchaus Traditionslinien von seinen Naturdarstellungen zu stilisierten heutigen ziehen – aber schwerlich bei seinen Bildnissen. Und schon gar nicht bei seinen teils kitschig bonbonbunten, teils stumpf kolorierten und karg komponierten religiösen Motiven aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Was die Ausstellung in diesen Abteilungen an Gegenwartskunst ausbreitet, wirkt meist beliebig oder abseitig – so hatte etwa Werner Tübke (1929-2004) als Neo-Altmeister der Leipziger Schule für seine Historienmalerei mit Anklängen an Magischen Realismus keine Vorbilder nötig.