
Was für ein Empfang! Im Grassi-Museum, in dem es sonst bedächtig ruhig zugeht, blinkt und dröhnt es auf allen Frequenzen. Neonröhren flackern wie beim Wackelkontakt, über Monitore flimmern Handkamera-Bilder, umhüllt von aufdringlicher Geräuschkulisse: Stimmengewirr, Motorenlärm, Händlergeschrei, Autohupen. Als stände man mittendrin im alltäglichen Verkehrschaos auf den Straßen von Kinshasa.
Info
Megalopolis - Stimmen aus Kinshasa
01.12.2018 - 31.03.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Grassi Museum für Völkerkunde, Leipzig
Dandytum im Slum
Trotz politischer Wirren und Wirtschaftskrisen, unter denen der Kongo in den 60 Jahren seit seiner Unabhängigkeit meist litt, blühen Kunst und Kultur in Kinshasa – oder eher: gerade deswegen. Hier produzierter Lingala-Pop ist in ganz Schwarzafrika populär; Musiker wie Werrason, Koffi Olomide oder Papa Wemba sind Megastars. Letzterer wirkte stilprägend auf die Bewegung der Sapeurs: junge Männer in auffälliger, eleganter und teurer Kleidung, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Ihr gespreiztes Auftreten soll als ironischer Protest gegen die Tristesse ringsum verstanden werden: Dandytum im Slum.
Impressionen der Ausstellung
Einzige Kunstakademie in Zentralafrika
Das Nationalmuseum besitzt rund 45.000 Kunstwerke der rund 200 Ethnien im Kongo – ein Großteil dessen, was nach dem Vernichtungsfuror der belgischen Kolonialherren übrig blieb. Doch seine Schauräume sind winzig; die meisten Objekte warten in Lagerhäusern darauf, dass ein neues, von Südkorea finanziertes Museumsgebäude fertig wird. Einer hellen, geräumigen Lagerhalle gleicht auch die bereits 1943 gegründete Kunstakademie von Kinshasa, die einzige ihrer Art in Zentralafrika.
In jeder Raumecke scharen sich Studenten um einen Professor; sie lehren vor allem diverse Verfahren, Plastiken anzufertigen. Das knüpft an lokale Traditionen an und bringt die im tropischen Klima haltbarsten Arbeiten hervor: Eine eindrucksvolle Kollektion monumentaler Skulpturen aus Stein, Stahl oder Zement füllt den Garten der Akademie. Von all dem erfährt man jedoch in der Leipziger Schau so gut wie nichts.
Sehen Sie zu, wie Sie zurechtkommen!
Den Entschluss des Grassi-Museums, Kinshasas vitale Kunstszene erstmals ausführlich vorzustellen, kann man nur als heroisch preisen. Nach hiesigen Maßstäben läuft im Kongo nichts in geordneten Bahnen ab; allein die Ausfuhr der Exponate dürfte ein bürokratischer Kraftakt gewesen sein. Ebenso die Teilnahme der meist jungen Künstler: Nur acht von ihnen stellte die deutsche Botschaft ein Visum aus, obwohl das Museum gern mehr eingeladen hätte und dieses Projekt von der Bundeskulturstiftung gefördert wird. Dazu kam ein Wechsel an der Spitze des Hauses während der Ausstellungs-Laufzeit.
Aus diesen Hindernissen machen die kongolesischen Kuratoren Eddy Ekete und Freddy Tsimba, renommierter Hersteller großer Schrott-Skulpturen, eine Tugend: Sie stürzen den Besucher mitten ins Getümmel. Alles stehe unter dem täglichen Überlebensmotto der Kinois, der Einwohner von Kinshasa, erklären die beiden: Débrouillez-vous! – Sehen Sie zu, wie Sie zurechtkommen! Dann mal los.
Schlösser-Golem + Altmetall-Roboter
Manches wirk auf den ersten Blick leicht verständlich; etwa die poppig-bunten Alltagsszenen in naiv realistischer Manier von Chérie Bengas „populärer Malerei“. Derlei findet sich ähnlich überall in Schwarzafrika; sie hat sich aus der Reklame- und Gebrauchsgrafik heraus entwickelt, denn Produktwerbung und Ladenschilder werden dort oft handgemalt. Doch die possierliche Anmutung enthüllt, sieht man genauer hin, oft galligen Humor: etwa Gewalt in der Schule oder Schlägereien unter freiem Himmel.
Eine afrikanische Spezialität sind Kunstwerke aus Recycling-Material; Mangelgesellschaften verwenden alles wieder. In Kinshasa schraubt sich das, wohl dank der Akademie, in virtuose Höhen: Eunice Kamanda wuchtet einen überlebensgroßen Golem nur aus Vorhängeschlössern und Schlüsseln in den Raum. Danniel Toya kombiniert Altmetall zu fantasievoll geformten Pseudo-Robotern.
Medizinmann im Spritzen-Kostüm
Der Anschein verspielter Bastelfreude trügt: Nada Tshibuabua montiert ausgediente Handy-Komponenten zu bedrohlich aussehenden aliens, die herkömmlichen Geist-Masken nachempfunden sind – und betitelt sie etwa „La face cachée du Coltan“ („Das verborgene Gesicht von Coltan“). Dieses Erz wird für die Produktion von Mobiltelefonen benötigt; der Kongo zählt zu den wichtigsten Lieferanten weltweit. Daher sorgen Kämpfe unter Milizen um lukrative Coltan-Minen dafür, dass der Kleinkrieg im Osten des Landes nicht enden will.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Félicité" - ergreifendes Sozialdrama aus Kinshasa von Alain Gomis, prämiert mit dem Silbernen Bären 2017
und hier eine Besprechung des Films "Das Kongo Tribunal" - anschauliches Dokudrama über neokoloniale Ausbeutung von Milo Rau
und hier einen Beitrag über den Film "Viva Riva! – zu viel ist nie genug" – rasant inszenierter Benzinschmuggler-Krimi als erster Spielfilm aus der DRC Kongo von Djo Tunda wa Munga
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo" mit faszinierenden traditionellen Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Deadly And Brutal" mit handgemalten Filmplakaten aus Ghana in der Pinakothek der Moderne, München.
Kronenkorken wie Kaurimuscheln
Tradierte Formen zitiert auch Serge Diakota, wenn er Pfannen und Teller mit Porträt-Collagen beschichtet und daran Schnüre aus Kronenkorken knotet, als seien sie wertvolle Kaurimuscheln: Derartige Diademe und Amulette dienten einst zu magischen Zwecken. Dagegen hat Géraldine Tobe eine sehr eigenwillige Technik entwickelt: Sie schwärzt mit Kerzenrauch Leinwände, die sie anschließend zu fantastisch vielgliedrigen Fabelwesen ausarbeitet.
Was auf den ersten Blick wie ein farbenfroh schillerndes Konglomerat exotisch-gefälliger Oberflächen-Reize daherkommt, erweist sich als vielschichtig: Die meisten Arbeiten machen deutliche Anleihen beim reichen kulturellen Erbe des Riesenstaates – bloß ist es hierzulande nur Kennern geläufig.
Afrikanische Stückwerk-Erfahrung
Zwar versucht das Museum, Parallelen aufzuzeigen, indem es ethnographische Objekte aus eigenem Bestand in der Ausstellung platziert. Doch ohne Erläuterung bleiben sie unzugänglich: Erst wenn man weiß, dass eingeschlagene Nägel in einer Holzfigur die ihr innewohnende Kraft freisetzen, kann man erahnen, warum ein zeitgenössischer Künstler sie verwendet.
Mit ihrem heißen Bemühen, Kühnes zu wagen, aber auf halbem Wege stecken zu bleiben, passt sich diese Schau allerdings blendend ihrem Gegenstand an. Trotz enormer Anstrengung wegen widriger Umstände nur Stückwerk zu erreichen – das ist die allafrikanische Erfahrung.
Samt der Tugend, das Beste daraus zu machen: Diese Pioniertat ist eine echte Expedition in einen unerschlossenen Kunst-Kontinent, die unbedingt lohnt. Was man dort Ungeheures gesehen hat, mag man später beim Nachlesen begreifen – wenn zum Ende der Laufzeit der Katalog erscheinen wird.