Alex Garland

Civil War

Der Bürgerkrieg hat zu Chaos auf dem Highway geführt. Foto: A24/DCM
(Kinostart: 18.4.) Stell Dir vor, in den USA herrscht Krieg, und keiner weiß, worum es geht: Der Action-Film von Regisseur Alex Garland verzichtet auf politische Motive oder sonstige Begründungen. Stattdessen zeigt er, wie die gesellschaftliche Ordnung schlagartig zerfällt, und die Medien das sensationslüstern aufsaugen.

Aus dem Rauch einer Nebelgranate rennen Menschen. Schwerbewaffnete Polizisten schießen wahllos in die Menge. Eine Frau dringt bis zu einem Panzerfahrzeug vor – etwas explodiert. Kurze Stille. Das Ding um ihren Bauch war wohl ein Sprengstoffgürtel. Die Kamera zoomt heraus: brennende Autos, eingestürzte Häuser, abgetrennte Körperteile und mittendrin die Kriegsreporterin Lee (Kirsten Dunst). Sie wirkt zugleich abgebrüht und verzweifelt. Lee hat in ihrer Karriere bereits Dutzende von Kriegen miterlebt, aber noch nie im eigenen Land.

 

Info

 

Civil War

 

Regie: Alex Garland,

109 Min., USA/ Großbritannien 2024;

mit: Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny

 

Weitere Informationen zum Film

 

Schon in den ersten fünf Minuten von „Civil War“ wird klar: Der Film von Regisseur Alex Garland macht keine Gefangenen – so wie die Menschen, die darin spielen. Denn in den USA tobt ein Bürgerkrieg. Die Bundesstaaten Texas, Kalifornien und Florida werden von rebellischen Sezessionisten regiert; ihre „Westlichen Streitkräfte“ rücken auf Washington vor, um den Präsidenten zu stürzen. Der wird gespielt von Nick Offerman; er leugnet die Eskalation der Feindseligkeiten und erklärt in einer wahnhaften Fernsehansprache, dem Land gehe es gut und das US-Militär habe alles unter Kontrolle.

 

Hindernisfahrt zum Staatschef

 

Um zu zeigen, wie infam diese Lüge ist, reist Reporterin Lee mit drei Kollegen quer durch den Osten der Vereinigten Staaten in Richtung Hauptstadt. Mit dabei sind der „New York-Times“-Reporter Sammy (Stephen McKinley Henderson), Joel (Wagner Moura) von der Nachrichtenagentur „Reuters“ sowie die unerfahrene College-Absolventin Jessie (Cailee Spaeny). Ihr Ziel: ein – womöglich letztes – Interview mit dem Präsidenten.

Offizieller Filmtrailer


 

Für einen Eimer Wasser töten

 

Ihre Reise durch Pennsylvania, West Virginia und Virginia wird zum dystopischen Roadmovie, das einem Horrortrip durch eine kaputte Welt gleicht. Das Quartett begegnet traumatisierten Zivilisten, die provisorisch in Football-Stadien hausen, und sieht entstellte Leichen, die auf der Straße verwesen. Die Vier beobachten die Streitkräfte der Sezessionisten bei Gefechten, deren Kugeln sie nur um wenige Zentimeter verfehlen. Dann wieder fahren sie durch seltsam friedlich erscheinende Kleinstädte, deren Einwohner so tun, als sei alles in Ordnung.

 

An keiner Stelle des Films wird erklärt, wer oder was den Bürgerkrieg ausgelöst hat, warum er wütet und wer auf welcher Seite für welche politischen Ziele kämpft. Nur eines ist eindeutig: Völlig unterschiedliche Lebenswelten existieren unverbunden nebeneinander. Während der Präsident Optimismus vorgaukelt, bringen sich mancherorts Zivilisten für einen Eimer Wasser gegenseitig um. Andernorts wirken noch nicht umkämpfte Landstriche, als sei nichts Schlimmes geschehen.

 

Gewalt durch Abstumpfung ertragen

 

Regisseur Garland schrieb für „Civil War“ wie für seine vorigen Filme „Ex Machina“ (2014) oder „Men – Was Dich sucht, wird Dich finden“ (2022) auch das Drehbuch. Dass er das Geschehen aus der Perspektive der vier Protagonisten erzählt, ist eine ausgezeichneter Ansatz. Dadurch wird die emotionale Kälte von Leuten deutlich, die schon alles gesehen haben, so dass sie nichts mehr zu schockieren scheint: weder Schmerzensschreie gefolterter Zivilisten noch Kugeln, die sich ins Fleisch des Nebenmanns bohren.

 

Die hartgesottenen Kriegsreporter bieten dem Zuschauer eine Sichtweise, die sowohl Gewalt als auch Verzweiflung erträglich werden lässt. Dabei trifft Lees Zynismus – von Kirsten Dunst fulminant gespielt – auf die eskapistische Gleichgültigkeit des dauerberauschten Joel und die Schlagfertigkeit der Medien-Anfängerin Jessie.

 

Popsongs als akustischer Weichzeichner

 

Zugleich fungiert der Soundtrack quasi als akustischer Weichzeichner für das Dargestelle. Ähnlich wie im legendären Kriegsfilm „Apocalpyse Now“ (1979) von Francis Coppola werden blutige Szenen manchmal mit energiegeladener Popmusik unterlegt; hier sind es nicht Rocksongs von „The Doors“, sondern Rap-Titel von „De La Soul“. Manche Passagen schillern vor morbider Schönheit; etwa, wenn gegen Ende Aufnahmen brennender Landschaften – die an die Schlussbilder von ausgebrannten Palmen in Coppolas Film erinnern – von heiteren Country-Klängen begleitet werden.

 

Tolle ästhetische Momente bieten jene Kriegsszenen, in denen auf von Waffen abgefeuerte Schüsse sofort Kamera-Schüsse folgen, bei denen das Bild stets kurz eingefroren bleibt – mit dem gruseligen Effekt, Grauenvolles noch etwas länger betrachten zu müssen. Andererseits lässt sich aus der Paralleführung von Kamera und Waffe die trostlose, womöglich einzige Botschaft des Films ableiten: Niemand ist unschuldig. Kämpfer erschießen Feinde, Journalisten „erschießen“ Opfer.

 

Auf der Suche nach money shots

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Men – Was dich sucht, wird dich finden" – subtiler Psycho-Horror von Alex Garland

 

und hier eine Besprechung des Films  "Ex Machina"Sci-Fi-Kammerspiel über künstliche Intelligenz von Alex Garland 

 

und hier einen Beitrag über den Film "Apocalypse Now – Final Cut" zur Wiederaufführung des besten Kriegsfilms aller Zeiten von Francis Ford Coppola

 

und hier einen Bericht über den Film "1917" – meisterlich suggestiv gefilmtes Drama über den Ersten Weltkrieg von Sam Mendes.

 

Wie etwa „1917“ von Sam Mendes über die Schützengräben im Ersten Weltkrieg stellt auch „Civil War“ keine politischen Fragen, sondern pflegt Action und Voyeurismus. Lee und ihre Kollegen handeln nicht wirklich moralisch. Sie mögen irgendwie für freie Meinungsäußerung stehen, doch eigentlich geht es ihnen vor allem um money shots – spektakuläre Fotoaufnahmen, die Aufsehen erregen und gut bezahlt werden. Der größte Knüller wäre ein Bild von der Exekution des Präsidenten.

 

Stell Dir vor, in den USA herrscht Krieg, und keiner weiß, worum es geht! Offensichtlich spielt der Film auf die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in Anhänger der Republikaner unter Donald Trump und der Demokraten an – darf er dann derart apolitisch und amoralisch auftreten? Durchaus; trotz eines Budgets von 75 Millionen US-Dollar, mit denen man jede Menge informative Dokus über die Gefährdung von Demokratie durch fake news, Polemik und Schwarzweiß-Denken drehen könnte. Doch solche Aufklärungs-Filme erreichen meist nur die üblichen Verdächtigen.

 

Abschreckung durch immersive Action

 

Dagegen wirkt „Civil War“ anders. Vielleicht hat in einer Zeit, in der eher mit Gefühlen als mit Argumenten Politik gemacht wird, gerade derart immersive Action ein gewisses Abschreckungs-Potential. Nicht von ungefähr hat Garland erstmals keinen Science-Fiction- oder Horror-Stoff verfilmt: Die Realität ist beängstigend genug. Sein neuer Film zeigt den Horror eines Kriegs als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln.