Ari Aster

Midsommar

Das Midsommar Ritual steht bevor. Foto: Weltkino Filmverleih
(Kinostart: 26.9.) Helle Nächte, dunkle Abgründe: Regisseur Ari Aster verbindet Horror mit einer idyllischen Landkommune – ein cleveres Spiel auf der Genre-Klaviatur. Im Kern handelt sein Mystery-Thriller jedoch von einer dysfunktionalen Beziehung.

Das Horrorkino und die Dunkelheit gehören zusammen. Seit Anbeginn des Filmschaffens wird auf der großen Leinwand die menschliche Urangst vor der Finsternis genährt. Wenn alles in tiefem Schwarz versinkt, fühlt man sich unsicher, angreifbar, ausgeliefert. Dass handfestes Grauen allerdings nicht unbedingt in düstere Farben getaucht sein muss, beweist der erst 33-jährige US-Regisseur Ari Aster mit seinem zweiten Spielfilm „Midsommar“.

 

Info

 

Midsommar

 

Regie: Ari Aster,

147 Min., Schweden/ USA 2019;

mit: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren 

 

Weitere Informationen

 

Handlungsort ist eine pittoreske, in gleißendes Sonnenlicht getauchte Kommune irgendwo im schwedischen Hinterland. Zweifel am Idyll streut Aster bereits bei der Anreise seiner Protagonisten, wenn die Kamera urplötzlich die Umgebung auf den Kopf stellt. Die klaren, schönen Bilder befeuern ein Unwohlsein, das sich tief in die Eingeweide frisst. Für die Studentin Dani (furios: Florence Pugh) ist die Welt da jedoch längst aus den Fugen geraten.

 

Kaum Unterstützung vom Freund

 

Gleich in den ersten Filmminuten muss sie verkraften, dass ihre psychisch kranke Schwester sich und ihre Eltern getötet hat. Die Tragödie wirft die junge Frau komplett aus der Bahn. Bei ihrem Partner Christian (Jack Reynor) findet sie in dieser schmerzhaften Situation wenig Unterstützung. Trotzdem will sie, um auf andere Gedanken zu kommen, ihren Freund und seine Kumpels auf einen seit langem geplanten Trip nach Schweden begleiten – zu deren Überraschung.

Offizieller Filmtrailer


 

Zeit für den Alptraum

 

Ziel ihrer Reise ist eine abgeschiedene Gemeinschaft; Christians Kommilitone Pelle (Vilhelm Blomgren) stammt von dort. Inmitten der skandinavischen Einöde möchten die US-Amerikaner an einem besonderen Mittsommer-Ritual teilnehmen, das nur alle 90 Jahre begangen wird. Ein Ausflug in die Pampa und ein heidnischer Kult mit seltsamen Bräuchen – Ari Aster, der auch das Drehbuch schrieb, greift in seinem neuen Werk auf vertraute Elemente aus dem Horrorbaukasten zurück.

 

Wer „The Wicker Man“ (1973), den Klassiker des Folklore-Grusels  kennt, wird von der Entwicklung der Geschichte nicht überrascht sein. „Midsommar“ nimmt einen erwartbaren Verlauf, ist aber so eigenwillig und klug durchkomponiert wie nur wenige Genrearbeiten der jüngeren Vergangenheit. Anhänger des in den Kinosälen aktuell angesagten Geisterbahnterrors kommen hier nicht auf ihre Kosten; vielmehr nimmt sich der Regisseur Zeit für die Entfaltung seines Albtraums.

 

Abgründe unter der Oberfläche

 

Ähnlich wie in seinem starken Erstling, dem garstigen Familienschocker „Hereditary – Das Vermächtnis“ (2018), interessiert sich Aster vor allem für die destruktive Kraft dysfunktionaler Beziehungen. Die Partnerschaft zwischen Dani und Christian ist im Grunde nur noch eine Farce. Schon beim anfänglichen Telefongespräch fällt es ihm schwer, zu sagen, dass er sie liebt. In den Unterhaltungen mit seinen Freunden zeigt sich, dass er eigentlich mit der Beziehung abgeschlossen hat.

 

Das Einzige, was ihn davon abhält, sich zu trennen, ist sein schlechtes Gewissen. Kann er Dani verlassen – jetzt, wo ihre Schwester und die Eltern tot sind? Das Verhältnis der beiden erzeugt ein latentes Unbehagen. Die Beklemmung verstärkt sich, als die Reisetruppe an ihrem Ziel ankommt. Irgendwie sind die weißgewandeten Bewohner der Kommune einen Tick zu fröhlich, zu ausgelassen. Überhaupt wirkt der Ort zu schön, um wahr zu sein. Unter dieser Oberfläche müssen einfach Abgründe lauern. Zu fassen bekommt man sie jedoch nicht.

 

Spannend trotz holpernder Logik

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Gute Manieren" - Herzzerreißendes Horror-Melodram von Juliana Rojas und Marco Dutra

 

Auf geradezu perfide Weise lullt der Film sein Publikum ein, bis Aster nach einer Stunde das Grauen offensiv ins Bild setzt und den Hammer auspackt, ganz buchstäblich – was zartbesaitete Gemüter durchaus aus der Fassung bringen dürfte. Wie sich die Figuren daraufhin verhalten, ist zudem nicht durchgängig glaubwürdig. Wer über kleine Logikbrüche hinwegsehen kann, wird allerdings mit einem konstant spannungsvollen Szenario belohnt.

 

Bedauerlich ist, dass die eigentlich im Zentrum stehende Beziehung zwischen Dani und Christian manchmal aus dem Fokus gerät. Die Nebenhandlung, bei der es um die Suche nach einem Dissertationsthema geht, ist deutlich weniger spannend. Wie „Midsommar“ auf sein grausames Ende zusteuert, bleibt dennoch absolut sehenswert. Nach „Hereditary – Das Vermächtnis“ demonstriert der Regisseur erneut, dass er Bilder zu gestalten und die Ton-Ebene wirkungsvoll einzusetzen weiß.

 

Liebevoll ausgestatteter Grusel

 

Der dissonant wabernde Klangteppich befeuert effektiv die Unruhe des Zuschauers; die sorgsam arrangierten Tableaus bieten schaurig-schöne Ansichten. Der Kamera gelingt es immer wieder, Danis Taumel während der rituellen Handlungen spürbar zu machen. Auch die liebevoll ausgestatteten Holzhütten mit ihren eigenartigen Wandbildern tragen zur der unheimlichen Stimmung bei. Ari Aster bittet zu einem herrlich makabren Tanz, den man als Freund unkonventioneller Horrorfilme nicht ausschlagen sollte.