Oliver Masucci

Schachnovelle

Josef Bartok (Oliver Masucci) spielt im Badezimmer gegen sich selbst. Foto: Copyright: Studiocanal/ Walker + Worm Film /Julia Terjung
(Kinostart: 23.9.) Brettspiel gegen den Irrsinn: Ein NS-Opfer überlebt Isolationshaft mit Denksport. Stefan Zweigs Klassiker verfilmt Regisseur Philipp Stölzl neu – als so kühnes wie beklemmendes Psychogramm mit einem überragenden Oliver Masucci in der Hauptrolle.

Die „Schachnovelle“ hat ähnlich viele Fans wie das Spiel der Könige selbst: Allein von der deutschen Taschenbuchausgabe wurden seit 1974 mehr als eine Million Exemplare verkauft. Während die historischen Romane und Essays von Stefan Zweig (1881-1942), dem in der Zwischenkriegszeit neben Thomas Mann meistgelesenen deutschsprachigen Autor, mittlerweile reichlich Patina angesetzt haben, bleibt seine 90-seitige Erzählung über Rettung durch Schach ein Evergreen.

 

Info

 

Schachnovelle

 

Regie: Philipp Stölzl,

110 Min., Deutschland/ Österreich 2021;

mit: Oliver Masucci, Birgit Minichmayr, Albrecht Schuch

 

Weitere Informationen zum Film

 

Obwohl ihr Handlungskern eigentlich unmöglich ist: Man kann nicht Schach gegen sich selbst spielen – allenfalls um den Preis einer Bewusstseinsspaltung. Für ihre Neuverfilmung – 1960 duellierten sich Curd Jürgens und Mario Adorf mit Schachfiguren – haben Regisseur Philipp Stölzl und Drehbuchautor Eldar Grigorian die Vorlage gehörig umgekrempelt. Das bekommt ihr ausgezeichnet: Die Leinwandversion wirkt stimmiger und plausibler als die etwas schematisch konstruierte Novelle.

 

Ein Klotz als Weltmeister

 

Stefan Zweig legte sie konventionell an. Der Ich-Erzähler, ein österreichischer Emigrant, reist auf einem Ozeandampfer von New York nach Buenos Aires. An Bord befindet sich auch der amtierende Schachweltmeister: Mirko Czentovic ist ein Naturgenie, ansonsten aber ein dröger, ungehobelter Klotz. Ihn fordert der reiche Mitpassagier McConnor zu einer Partie heraus – er verliert sie nur deshalb nicht, weil der unbekannte Dr. B. eingreift.

Offizieller Filmtrailer


 

Umgekehrter Handlungsaufbau

 

Den überredet der Erzähler zu einer weiteren Partie gegen Czentovic. Doch zuvor erzählt ihm Dr. B. ausführlich, wie Schach ihm half, monatelange Isolationshaft nach der NS-Machtübernahme in Österreich 1938 zu überleben. Sein Bericht ist also in die Rahmenhandlung der Schiffspassage eingebettet.

 

Das wird im Film umgedreht. Wie sich Rechtsanwalt Josef Bartok (Oliver Masucci) mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) einschifft, sie später verschwindet und er sich auf dem luxuriösen Seelenverkäufer von seltsamen Mitreisenden zur Partie gegen Czentovic (Albrecht Schuch) bewegen lässt, ist in einer geisterhaften Traumsphäre angesiedelt. Dagegen baut das Drehbuch die Binnenerzählung von Dr. B. zur linear geschilderten Haupthandlung aus.

 

Schach mit allen Mitteln spielen

 

Anfangs tritt Bartok, der Vermögen höchster Kreise diskret verwaltet, als Wiener Bonvivant mit leicht öligem Charme auf. Das süße Leben mit Gattin Anna endet schlagartig, als am 12. März 1938 NS-Verbände einmarschieren. Er wird in einem kargen Hinterzimmer des Hotels Metropol interniert; ohne Lektüre, Stift und Papier. Seine zermürbende Isolationshaft unterbrechen nur regelmäßige Verhöre durch Franz-Josef Böhm (ebenfalls Albrecht Schuch): Der Gestapo-Kommissar versucht vergeblich, aus Bartok Informationen über dessen Treuhandkonten herauszupressen.

 

Nach vier Monaten ergattert Bartok zufällig ein Schachbuch mit 150 Meisterpartien. Aus Brotteig knetet er Figuren, um sie auf den Badezimmer-Fliesen nachzuspielen. Als seine Denksport-Übungen auffliegen, spielt er sie in seiner Vorstellung weiter. Schließlich ersinnt er in Gedanken neue Partien, bei denen er gegen sich selbst antritt – diese Autosuggestions-Schizophrenie endet mit seinem Nervenzusammenbruch.

 

Duett mit Kamera in kahler Zelle

 

An dieser Stelle bemüht Stefan Zweig als deus ex machina einen gütigen Psychiater, der seine Haftentlassung erwirkt. Diese Auflösung versagt sich der Film; stattdessen enthüllt er die Schiffs-Szenen als weiteres Symptom von Bartoks seelischem Zustand. Denn sein eigentliches Thema sind die Facetten des Wahns, die dessen grausame Isolation in ihm auslöst – sie werden bewundernswert prägnant veranschaulicht.

 

Dank des überragenden Hauptdarstellers: Oliver Masucci gewinnt seiner fortschreitenden geistigen Zerrüttung zahllose subtile Nuancen ab. Dafür findet die Kamera von Thomas Kiennast ebenso viele eindrucksvolle Bilder. Dennoch könnte ihr auf eine kahle Zelle beschränktes Duett auf Dauer eintönig wirken, würde es nicht mit den mysteriösen Passagen von Schach auf hoher See spannungsvoll kontrastiert.

 

Inhumane Doppelrolle

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Magnus - Der Mozart des Schach" – Doku über den amtierenden Schach-Weltmeister von Benjamin Ree mit Magnus Carlsen

 

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und hier einen Bericht über den Film "Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika" – beeindruckendes Biopic über das Lebensende des Star-Autors im Exil von Maria Schrader mit Josef Hader.

 

Als kluger Kunstgriff erweist sich auch die doppelte Rolle von Albrecht Schuch. In Zweigs Novelle repräsentiert die Figur von Weltmeister Czentovic eine rein instrumentelle Rationalität, deren inhumane Logik in die Nazi-Barbarei umgeschlagen ist. Indem Schuch zugleich feinsinnig eiskalt den Gestapo-Mann mimt, wird dieser Zusammenhang wünschenswert kenntlich.

 

Was Regisseur Stölzl aus dieser Konstellation herausholt, hätte man von ihm kaum erwartet; er fing mit Werbespots und Musikvideos an. Dann drehte er mit Filmen über den jungen Goethe, den Mittelalter-Schmöker „Der Medicus“, Karl Mays Winnetou und das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ einen Kessel Buntes.

 

Adaption von „Doktor Faustus“?

 

Doch mit seiner kühnen und schlüssigen „Schachnovellen“- Version empfiehlt sich Stölzl für weitere literarische Psychogramme deutscher Abgründe. Als nächstes könnte er sich Thomas Manns „Doktor Faustus“ vornehmen; darin geht es um die geistigen Voraussetzungen des Nationalsozialismus. Auch dieser Roman harrt noch einer kongenialen Verfilmung; der erste Versuch 1982 war ein Desaster.