Als die Sängerin Amy Winehouse im Juli 2011 an Alkoholvergiftung starb, wirkte das wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Zuvor hatte die Regenbogenpresse jahrelang den Star im Teufelskreis aus Sucht und Ausnüchterung vor sich hergetrieben. Die erst 27-Jährige besaß weder genug Erfahrung noch Mittel, um sich dagegen zu wehren.
Info
Back to Black
Regie: Sam Taylor-Johnson,
122 Min., Frankreich/ Großbritannien/ USA 2024;
mit: Marisa Abela, Jack O'Connell, Eddie Marsan, Lesley Manville
Weitere Informationen zum Film
Radikal verengter Blickwinkel
Stattdessen herrscht in „Back to Black“ eine Tendenz zur Verklärung. Offenbar soll an die talentierte, selbstbewusste, kluge, fröhliche und fürsorgliche Amy erinnert werden, wie ihre Familie sie in Erinnerung hat. Da aber um die orientierungslose, bulimiekranke und drogensüchtige Person, die Amy Winehouse auch war, kein Weg herumführt, muss der Film allerlei Tricks anwenden. Dazu zählt eine radikale Verengung des Blickwinkels.
Offizieller Filmtrailer
Marisa Abela verwandelt sich in Amy
Ausgeklammert wurden Freundinnen, Produzenten, Musiker, Bodyguards oder auch Amys Liebhaber wie der Sänger Pete Doherty. Das mag rechtliche Gründe haben. Stattdessen bilden penibel rekonstruierte Details und die authentische Stimmung in Wohnzimmern und Pubs, Clubs, Studios und Backstage-Räumen die Kulisse für den Star des Films.
Marisa Abela sieht auf den ersten Blick nicht wirklich aus wie Amy Winehouse. Doch mithilfe von peniblem Quellenstudium, Make-up und echter Kodderschnauze schlüpft die britische Schauspielerin absolut überzeugend in ihre Rolle, sie verwandelt sich quasi in Amy. Zudem steht sie in fast jeder Einstellung im Mittelpunkt. Dadurch verblasst alles andere neben ihr – darunter die Handlung, Nebenfiguren, die erratische Schnittfolge und das Zeitgefühl.
Großmutter als Vertrauensperson
Vor allem aber singt Abela jeden im Film zu hörenden Winehouse-Hit selbst und trifft dabei ihre Stimmlage perfekt. Außerdem sind Songs von Sarah Vaughan, Billie Holiday, Dinah Washington und den Shangri-Las zu hören, die ihren Neosoul-Gesangsstil inspiriert haben. Erklingt keine Pop-Musik zur Untermalung, ertönt ein melancholischer score von Nick Cave und Warren Ellis. Die rüstigen „Bad Seeds“-Routiniers outen sich mit der Schlussnummer „Song for Amy“ ebenfalls als trauernde Fans. Damit endet eine kompetent gemachte, aber emotional flache Filmbiografie.
Obwohl sich die hastig erzählte Aufstiegsgeschichte durchaus Zeit für ausgewählte Schlüsselaspekte lässt: erstens Amys Beziehung zur Großmutter Cynthia (Lesley Manville), die 2006 an Krebs starb. Sie war ihre Beraterin und Vertraute, die ihr fortan schmerzlich fehlte. Die einzige andere Figur, die ebenso viel Aufmerksamkeit erhält, ist Amys vielbesungener Gatte Blake.
Alle Rechte-Inhaber werden rehabilitiert
Jack O’Connell verkörpert ihn als charismatischen Tunichtgut, der weiß, dass beide einander bei ihrer Selbstzerstörung anspornen. Trotzdem sucht er sie immer wieder heim. Damit dient er dem Film als Sündenbock für ein Desaster, das in Wirklichkeit viele Eltern hat. Und ganz sicher einen Vater, den Amy ebenso vergötterte wie ihren fatalen Ehemann.
Hintergrund
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Re-enactment des Medien-Radaus
Dass er nicht so recht zu Herzen geht, mag auch daran liegen, dass viele Szenen damaligen Originalaufnahmen von Presse und Privatleuten nachempfunden sind. Die von Reportern belagerte Gasse vor Amys Haus, jüdisches Familienleben in Nord-London, triumphale Auftritte, verkorkste Shows – all das ist aus den Medien bekannt und wird noch einmal emblematisch montiert. Aber außer Wiedererkennungs-Effekten entsteht dadurch keine Perspektive, die nicht dem seinerzeitigen Tenor der Presse entspräche.
Zum Beispiel lässt sich der Horror einer Crack-Abhängigkeit auf diese Weise nicht vermitteln. Und der bohrenden Frage, ob ein verantwortungsbewusstes Management oder schlicht mehr Ruhepausen das Schlimmste hätten verhindern können, geht die Erzählung geschickt aus dem Weg.
Denkfauler Mythos vom „Club 27“
Stattdessen bemüht die Regisseurin das Klischee vom unvermeidlichen Niedergang in seiner denkfaulsten Form: im Mythos vom „Club 27“ aus zahlreichen Rockstars, die in diesem Alter starben; etwa Janis Joplin, Jim Morrison, Jimi Hendrix und Kurt Cobain, deren Platten sich immer noch verkaufen. Ob die Macher des Films sich diesem Mythos nun aus Naivität oder aus Kalkül anschließen – es bleibt ein bitterer Beigeschmack.