Sam Taylor-Johnson

Back to Black

Amy Winehouse (Marisa Abela) bei einem Auftritt. Foto: © Studiocanal
(Kinostart: 11.4.) Warum musste die Neosoul-Sängerin Amy Winehouse sterben? Auf diese unbequeme Frage liefert das Biopic von Regisseurin Sam Taylor-Johnson keine Antwort. Ihr Film feiert mit seiner grandiosen Hauptdarstellerin ein musikalisches Ausnahmetalent – und bleibt dabei seltsam flach.

Als die Sängerin Amy Winehouse im Juli 2011 an Alkoholvergiftung starb, wirkte das wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Zuvor hatte die Regenbogenpresse jahrelang den Star im Teufelskreis aus Sucht und Ausnüchterung vor sich hergetrieben. Die erst 27-Jährige besaß weder genug Erfahrung noch Mittel, um sich dagegen zu wehren.

 

Info

 

Back to Black

 

Regie: Sam Taylor-Johnson,

122 Min., Frankreich/ Großbritannien/ USA 2024;

mit: Marisa Abela, Jack O'Connell, Eddie Marsan, Lesley Manville

 

Weitere Informationen zum Film

 

Immerhin hat Winehouse mit Songs in nostalgischem 1960ies-Sound und gegenwärtigen, extrem persönlichen Texten die Tür für andere Künstlerinnen aufgestoßen. Sängerinnen wie Adele oder aktuell Raye ernten heute, was Amy Winehouse gesät hat. Beide beweisen dabei deutlich mehr Geschick im Umgang mit den Medien. Glücklicherweise, denn aus dem Film von Regisseurin Sam Taylor-Johnson kann man nichts darüber lernen: Ihr Biopic vermeidet jede kritische Auseinandersetzung mit dem Thema.

 

Radikal verengter Blickwinkel

 

Stattdessen herrscht in „Back to Black“ eine Tendenz zur Verklärung. Offenbar soll an die talentierte, selbstbewusste, kluge, fröhliche und fürsorgliche Amy erinnert werden, wie ihre Familie sie in Erinnerung hat. Da aber um die orientierungslose, bulimiekranke und drogensüchtige Person, die Amy Winehouse auch war, kein Weg herumführt, muss der Film allerlei Tricks anwenden. Dazu zählt eine radikale Verengung des Blickwinkels.

Offizieller Filmtrailer


 

Marisa Abela verwandelt sich in Amy

 

Ausgeklammert wurden Freundinnen, Produzenten, Musiker, Bodyguards oder auch Amys Liebhaber wie der Sänger Pete Doherty. Das mag rechtliche Gründe haben. Stattdessen bilden penibel rekonstruierte Details und die authentische Stimmung in Wohnzimmern und Pubs, Clubs, Studios und Backstage-Räumen die Kulisse für den Star des Films.

 

Marisa Abela sieht auf den ersten Blick nicht wirklich aus wie Amy Winehouse. Doch mithilfe von peniblem Quellenstudium, Make-up und echter Kodderschnauze schlüpft die britische Schauspielerin absolut überzeugend in ihre Rolle, sie verwandelt sich quasi in Amy. Zudem steht sie in fast jeder Einstellung im Mittelpunkt. Dadurch verblasst alles andere neben ihr – darunter die Handlung, Nebenfiguren, die erratische Schnittfolge und das Zeitgefühl.

 

Großmutter als Vertrauensperson

 

Vor allem aber singt Abela jeden im Film zu hörenden Winehouse-Hit selbst und trifft dabei ihre Stimmlage perfekt. Außerdem sind Songs von Sarah Vaughan, Billie Holiday, Dinah Washington und den Shangri-Las zu hören, die ihren Neosoul-Gesangsstil inspiriert haben. Erklingt keine Pop-Musik zur Untermalung, ertönt ein melancholischer score von Nick Cave und Warren Ellis. Die rüstigen „Bad Seeds“-Routiniers outen sich mit der Schlussnummer „Song for Amy“ ebenfalls als trauernde Fans. Damit endet eine kompetent gemachte, aber emotional flache Filmbiografie.

 

Obwohl sich die hastig erzählte Aufstiegsgeschichte durchaus Zeit für ausgewählte Schlüsselaspekte lässt: erstens Amys Beziehung zur Großmutter Cynthia (Lesley Manville), die 2006 an Krebs starb. Sie war ihre Beraterin und Vertraute, die ihr fortan schmerzlich fehlte. Die einzige andere Figur, die ebenso viel Aufmerksamkeit erhält, ist Amys vielbesungener Gatte Blake.

 

Alle Rechte-Inhaber werden rehabilitiert

 

Jack O’Connell verkörpert ihn als charismatischen Tunichtgut, der weiß, dass beide einander bei ihrer Selbstzerstörung anspornen. Trotzdem sucht er sie immer wieder heim. Damit dient er dem Film als Sündenbock für ein Desaster, das in Wirklichkeit viele Eltern hat. Und ganz sicher einen Vater, den Amy ebenso vergötterte wie ihren fatalen Ehemann.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Fifty Shades of Grey" – SM-Romanze und Bestseller-Adaption von Sam Taylor-Johnson

 

und hier einen Bericht über den Film "Billie – Legende des Jazz" – gelungene Doku über die Jazzsängerin Billie Holiday von James Erskin

 

und hier eine Besprechung des Films "Miles Davis – Birth of the Cool" – hervorragende Doku über die Jazz-Legende von Stanley Nelson

 

und hier einen Beitrag über den Film "Get on up – Die James Brown Story" – tolles groovy funky Biopic über den Godfather of Soul von Tate Taylor.

 

Wie der frühere Taxifahrer Mitch Winehouse versucht hat, mithilfe der Popularität der Tochter eine eigene Karriere zu starten, bleibt gnädigerweise ausgeklammert. Er wird gespielt von Eddie Marsan, dem man dank seines Knopfaugen-Charmes unmöglich böse sein kann. Da Gatte Blake den Buhmann abgibt, werden also alle Inhaber von Rechten an Amys Musik rehabilitiert – damit hat der Film sein dramatisches Potential auch schon ausgeschöpft.

 

Re-enactment des Medien-Radaus

 

Dass er nicht so recht zu Herzen geht, mag auch daran liegen, dass viele Szenen damaligen Originalaufnahmen von Presse und Privatleuten nachempfunden sind. Die von Reportern belagerte Gasse vor Amys Haus, jüdisches Familienleben in Nord-London, triumphale Auftritte, verkorkste Shows – all das ist aus den Medien bekannt und wird noch einmal emblematisch montiert. Aber außer Wiedererkennungs-Effekten entsteht dadurch keine Perspektive, die nicht dem seinerzeitigen Tenor der Presse entspräche.

 

Zum Beispiel lässt sich der Horror einer Crack-Abhängigkeit auf diese Weise nicht vermitteln. Und der bohrenden Frage, ob ein verantwortungsbewusstes Management oder schlicht mehr Ruhepausen das Schlimmste hätten verhindern können, geht die Erzählung geschickt aus dem Weg.

 

Denkfauler Mythos vom „Club 27“

 

Stattdessen bemüht die Regisseurin das Klischee vom unvermeidlichen Niedergang in seiner denkfaulsten Form: im Mythos vom „Club 27“ aus zahlreichen Rockstars, die in diesem Alter starben; etwa Janis Joplin, Jim Morrison, Jimi Hendrix und Kurt Cobain, deren Platten sich immer noch verkaufen. Ob die Macher des Films sich diesem Mythos nun aus Naivität oder aus Kalkül anschließen – es bleibt ein bitterer Beigeschmack.