Régis Roinsard

Das Rätsel (Les Traducteurs)

Der Verleger Eric Angstrom (Lambert Wilson) bewacht zusammen mit Bodyguards das Großraumbüro im privaten Atombunker. Foto: © 2023 Nameless Media GmbH. Alle Rechte vorbehalten.
(Kino-Start: 1.6.) Ein gutes Rätsel macht noch keinen guten Krimi. In seinem Whodunit um eine Bestseller-Übersetzung lässt Regisseur Regis Roinsard mit einem Starensemble zwar effektiv die Fetzen fliegen. Aber zu blasse Charaktere und zu viele Zeitsprünge sorgen mehr für Ermüdung als Spannung oder Glaubwürdigkeit.

Nicht nur in der Filmbranche und am Theater, auch im Literaturbetrieb herrscht ein enormer Druck. Verleger greifen da schon mal zu drastischen Mitteln: Vor zehn Jahren verschwanden zum Beispiel elf Übersetzerinnen und Übersetzer aus verschiedenen Ländern im Keller einer Mailänder Vorstadtvilla. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen sollten sie dort die reibungslose Übersetzung des englischen Originaltextes von Dan Browns „Inferno“ für eine weltweit zeitgleiche Veröffentlichung des Romans gewährleisten. Der vierte Robert-Langdon-Thriller des US-Bestsellerautors war damals mehr als Gold wert.

 

Info

 

Das Rätsel (Les Traducteurs)

 

Regie: Régis Roinsard,

105 Min., Frankreich 2019;

mit: Olga Kurylenko, Lambert Wilson, Sidse Babett Knudsen, 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Nun hat der außergewöhnliche Fall einen Film inspiriert: „Das Rätsel“ von Régis Roinsard orientiert sich an den Ereignissen in Mailand – und legt noch ordentlich einen drauf. Was als kammerspielartiger Whodunit für Agatha-Christie-Fans beginnt, dreht und wendet sich im Laufe der Handlung zu einem verschachtelten Psychodrama mit doppeltem Boden. Gedreht wurde der Thriller voller Geheimnisse und Enthüllungen, Verdächtigungen und Intrigen bereits 2019. 

 

Übersetzung im Bunker

 

Im Zentrum der Geschichte steht die international erfolgreiche Roman-Trilogie „Dedalus“ des anonymen Autors Oscar Brach. Als „eine perfekte Mischung aus englischem Storytelling und französischer Sprache“ wird sie im Film beschrieben. Der skrupellose Verleger Eric Angstrom (Lambert Wilson) hat seit dem Erscheinen des ersten Bands die Rechte in der Hand. Doch die Zeiten sind hart, die Geschäfte laufen mäßig. Er braucht dringend den nächsten Bestseller, und dabei darf nichts schief gehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Um den mit Spannung erwarteten letzten Band der „Dedalus“-Reihe in den neun auflagenstärksten Ländern parallel herausbringen zu können, versammelt er „Les Traducteurs“ (so der französische Originaltitel) aus den jeweiligen Regionen in einem luxuriös eingerichteten, privaten Atombunker mit allem Drum und Dran: Swimmingpool und Bowlingbahn, Gourmetküche und hauseigener Bibliothek. Den fünf Männern und vier Frauen soll es an nichts mangeln. Nur Zugang zum Internet und jeglicher Kontakt zur Außenwelt bleiben ihnen verwehrt.

 

Verleger in Panik

 

Als trotzdem die ersten zehn Seiten des Buches geleakt werden, sieht Angstrom rot. Ein anonymer Erpresser fordert fünf Millionen von ihm, wenn er die Veröffentlichung weiterer Romanteile verhindern will. Der Verleger gerät in Panik und sucht unter den Anwesenden mit immer rabiateren Mitteln nach der undichten Stelle. Verschiedene Motive werden sichtbar, und der Verdacht erhärtet sich, dass einer von ihnen mit den Hackern unter einer Decke steckt. Aber wer? Und wie? Und warum?

 

Es gibt keinen externen Detektiv, der zur Klärung des Falls beiträgt. Der Clou liegt im Drehbuch: Die Handlung springt vor und zurück. Kurz nachdem im Keller des französischen Landsitzes die Übersetzungsarbeit begonnen hat, befindet sich Angstrom bereits hinter Gittern und erhält dort Besuch von dem vermeintlichen Hacker, der ihn ins Gefängnis gebracht hat. Doch dessen Identität verrät der Film so schnell nicht.

 

Verpasste Chancen

 

Die Geheimhaltung derartiger Details ist entscheidend für die Wirkung des Films. So viel sei verraten: Das Rätsel macht Spaß, zumindest solange man nach der Auflösung sucht. Aber der Regisseur und seine zwei Ko-Autoren Romain Compingt und Daniel Presley verpassen eine entscheidende Chance. Sie konzentrieren sich zu wenig auf die zentralen Figuren, wie etwa die obsessiv veranlagte Russin Katarina (Olga Kurylenko), die eng mit der einer der wichtigsten Figuren des Romans verbunden scheint: einer Femme fatale, deren Tod den Kern der Handlung bildet.   

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Warten auf Bojangles" - feinfühlige Amour-Fou-Tragikomödie von Régis Roinsard

 

und hier eine Besprechung des Films "Words & Pictures – In der Liebe und in der Kunst ist alles erlaubt"Literatur-Screwball-Komödie von Fred Schepisi mit Juliette Binoche + Clive Owen

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Dieb der Worte"Hochstapler-Thriller im Literaturbetrieb von Brian Klugman + Lee Sternthal

 

Daneben sind unter anderem ein eingebildeter Italiener (Riccardo Scamarcio), eine dänische Möchtegern-Autorin (Sidse Babett Knudsen), ein eleganter Chinese (Frédéric Chau), eine pflichtbewusste Deutsche (Anna Maria Sturm) und der draufgängerische junge Brite Alex (Alex Lawther) mit von der Partie. Sie alle bleiben als Charaktere zu blass und eindimensional, und nicht alle von ihnen überleben. Doch selbst der Schlüsselfigur fehlt es am Ende am nötigen Profil, um die Geschichte wirklich glaubwürdig zu machen.

 

Action statt Spannung

 

Einige Schwächen der Handlung gleicht Regisseur Roinsard mithilfe einer Actionszene aus, die mit uhrwerkartiger Präzision gedreht und geschnitten ist. Sein Kameramann Guillaume Schiffman sorgt zudem in den düsteren Innenräumen des Bunkers mit geschmeidigen Kamerabewegungen für Bilder, die das stilvolle Produktionsdesign hervorheben, und wechselt zur Handkamera, sobald sich Misstrauen und Intrigen breitmachen. Ein spannungsgeladener Jazz-Soundtrack von Jun Miyake rundet das Ganze ab.

 

„Ein Mysterium ist eine Reihe einfacher Dinge,“ so steht es angeblich im ersten Band des fiktiven Bestsellers „Dedalus“ geschrieben. Ganz so simpel ist es aber offenbar nicht, aus einem Rätsel einen fesselnden Krimi zu stricken. Man hätte hier sowohl mehr aus dem Figurenensemble als auch aus dem Konfliktpotenzial schöpfen können, das sich aus den Machtspielen und Hierarchien des Literaturbetriebs ergibt. Aber für einen kleinen verdrehten Genrefilm reicht es durchaus.