Frankfurt am Main + Hamburg

Herausragend! Das Relief von Rodin bis Picasso

Paul Gauguin: Seid geheimnisvoll , 1890 Lindenholz, bemalt, mit Spuren von dunklem Farbstift, 73 × 95 × 5 cm, Musée d’Orsay, Paris, bpk/RMN – Grand Palais, Paris/Tony Querrec. Fotoquelle: Städel Museum, Frankfurt am Main
Zwischen zweiter und dritter Dimension: Reliefs gelten als Zwischengattung der bildenden Künste. Wie die sich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat, zeichnen Städel Museum und Hamburger Kunsthalle nach – allerdings ohne klare Kriterien, so dass in diesem Potpourri alles Mögliche als Relief auftritt.

Jeder kennt Reliefs, doch man bekommt sie selten zu Gesicht. Am ehesten an Gebäuden: Sie waren und sind ein bevorzugtes Schmuckelement für Fassaden und repräsentative Innenräume. Solche großformatigen Reliefs lassen sich naturgemäß kaum in Ausstellungen transferieren. Auch hier sind nur drei davon in Fotoreproduktionen zu sehen – alle drei von britischen Künstlern, und alle drei aus der Nachkriegszeit. Einer von mehreren merkwürdigen Schwerpunkten dieser Schau.

 

Info

 

Herausragend!
Das Relief von Rodin bis Picasso

 

24.05.2023 - 17.09.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr.

donnerstags bis 21 Uhr

im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

 

Herausragend!
Das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp

 

13.10.2023 - 25.02.2024

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Hamburg

 

Weitere Infomationen zur Ausstellung

 

Ähnlich erläuterungsbedürftig mutet ihre Ausrichtung an. Einerseits will sie als tour d’horizon die gesamte Bandbreite von Reliefarbeiten betrachten und ihre Varianten vorstellen. Andererseits lehnt sie ausdrücklich ab, die ganze Entwicklung dieser Kunstform abzudecken. Stattdessen beschränkt sie sich auf den Zeitraum von Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1970, also der Moderne – samt einigen Vorläufern – im allerweitesten Sinne. Diese hat, wie in allen Künsten, auch beim Relief alle vormaligen Regeln gesprengt, was die Ausstellung eifrig vorführt.

 

Drei einfache Kategorien

 

Nur: Um solches Aushebeln von Regeln zu verstehen, muss man sie kennen. Sie zu erklären, unterlässt die Schau jedoch; sie belässt es bei der simplen Kategorisierung von Flach-, Hoch- und versenkten Reliefs. Die Jahrtausende lange Stilgeschichte von antiken bis zu barocken Reliefs – von außereuropäischen Kulturen in Mittelamerika und Südasien gar nicht zu reden – bleibt außen vor. Als einziger Bezugspunkt zur Tradition wird kurz der Relief-Fries am Parthenon-Tempel auf der Athener Akropolis erwähnt; samt vier Beispielen von Künstlern seit dem Klassizisten Johann Gottfried Schadow, denen er als Vorbild diente.

Feature zur Ausstellung. © Städel Museum


 

Nagelbild als Plastische Erzählung

 

Das Parthenon-Kabinett ist eines von 13 „Kapiteln“, die je einem Aspekt von Reliefs gewidmet werden. Manche sind selbst erklärend bis zur Trivialität, etwa die Abteilung „Farbige Reliefs“. Albert Marque ließ seine Marmortafel „Der Schlaf“ (1899) unbehandelt, damit die Steinmaserung sichtbar bleibt. Dagegen bemalten Paul Gauguin, Ernst Ludwig Kirchner und der Nabis-Künstler Maurice Denis ihre Holzreliefs in deckenden Farben. Der auf koloriertes Wachs spezialisierte Symbolist Henry Cros verzierte seine Tafel „Die drei Zauberinnen“ zusätzlich mit farbigen Glaseinlagen.

 

Andere Abteilungen wirken diffus, genauer: Die gezeigten Werke überdehnen das Thema. So finden sich bei „Plastisch erzählen“ nicht nur Werke der Klassizisten Bertel Thorvaldsen und Christian Daniel Rauch, die klar erkennbar einen Vorgang schildern, sondern auch ein Nagelbild von Günther Uecker. Weil er die Nägel 1962 spiralförmig einschlug, „manifestiert sich das einstige Ereignis bis heute bildhaft; im Nachvollzug der künstlerischen Handlung liegt darüber hinaus ein narratives Element“, so Ko-Kuratorin Eva Mongi-Vollmer. Mit derselben Begründung ließe sich jeder Pinselschwung als Erzählung deuten.

 

Skulpturen + Bilder als Reliefs

 

Nachvollziehbarer erscheint die Präsentation von „Malerisch-plastischen Reliefs“. Anders als Skulpturen bestehen Reliefs nicht nur aus dem dargestellten Objekt selbst, sondern umfassen auch den Raum ringsherum. Der lässt sich mit ähnlichen Stilmitteln gestalten wie bei Gemälden. So formte der belgische Naturalist Constantin Meunier nach seiner Pastellzeichnung „Die Scholle“ (1872) eine Bronzetafel samt Ackerfurchen unter und Wolkenballen über sich mühenden Bauern. Der impressionistische Bildhauer Medardo Rosso gestaltete 1886 auch den Luftraum um die Köpfe einer Mutter, die ihr Kind küsst. Und Auguste Rodin ließ seine „Junge Mutter in der Grotte“ 1885 halb in derselben verschwinden.

 

Wobei diese kleine Gips-Figur jederzeit als herkömmliche Plastik durchginge – wie viele andere Exponate. Umgekehrt füllen allerlei zweidimensionale Bilder die Wände. Sie wurden in die Schau aufgenommen, weil sie ein Relief täuschend echt nachahmen (Philipp Otto Runge, 1802), ein reales Ding imitieren, etwa einen Vorhang (Gerhard Richter, 1967), oder unendlich erscheinende Landschaften suggerieren (Paul Klee, 1931/2). Was solche mehr oder weniger gelungenen trompe-l’oeil-Effekte mit der Kunstform Relief zu tun haben, bleibt unerfindlich.

 

Leinwandschnitte + Nylonfäden als Reliefs

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "En Passant: Impressionismus in Skulptur" – facettenreiche Themenschau im Städel Museum, Frankfurt am Main mit einem Relief von Paul Gauguin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Donatello – Erfinder der Renaissance" – grandiose Retrospektive seiner Meister-Skulpturen und -Reliefs in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier einen Artikel über den Film "Auguste Rodin" – gelungenes Biopic über den Bildhauer als Begründer der Moderne von Jacques Doillon

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Lee Bontecue – Insights" – beeindruckende Retrospektive der Werke zwischen Relief und Raumskulptur der US-Künstlerin im ZKM, Karlsruhe

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Aufbruch. Malerei und realer Raum" – Überblicksschau mit Werken aus den 1950/60er Jahren zwischen zwei und drei Dimensionen in Berlin, Würzburg + Rostock.

 

Aber nicht für die Kuratoren. Weil sie nirgends definieren, welchen Kriterien ein Relief genügen sollte und was genau es von Gemälden und Skulpturen unterscheidet, können sie beflissen nachzeichnen, wie Künstler des 20. Jahrhunderts die Gattung in jede Richtung entgrenzen. Dann zählen Lucio Fontanas Schnitte in bemalte Leinwände („Concetto spaziale“, 1962/3) ebenso dazu wie die monumentalen Krater-Gebilde aus Draht und Leinen, die Lee Bontecou in den 1960er Jahren an die Wände wuchtete.

 

Oder die phänomenal filigranen Konstruktionen aus Messing und Acrylglas mit Nylonfäden, die Antoine Pevsner und sein Bruder Naum Gabo in den 1940er Jahren entwarfen. Ihr elegantes Wechselspiel aus dynamisch bewegter Materie und umhüllter Leere kommt nur frei stehend zur Geltung, wenn sie allseitig betrachtet werden können – anders als beim Relief mit seiner eindeutig festgelegten Schauseite.

 

Erst Depotsichtung, dann Konzept

 

Auch eine flächig gestaltete Bronzeplastik wie der kubistische „Sitzende Mann“ (1919/20) von Jacques Lipchitz oder die raffiniert bemalte „Badende“ (1915) von Alexander Archipenko, die er als „Skulpto-Malerei“ bezeichnete, bleiben dreidimensionale Plastiken mit und ohne Sockel im Raum. Dass man sie an die Wand rücken kann, macht sie noch nicht zum Relief – wenn dieser Begriff irgendeinen fassbaren Sinn haben und nicht völlig beliebig werden soll.

 

Vielleicht ist die terminologische Unschärfe dem Umstand geschuldet, dass die circa 140 Werke von 100 Künstlern zur Hälfte aus Beständen des Städel Museums und der Hamburger Kunsthalle stammen; dort ist die Ausstellung ab Mitte Oktober in veränderter Form mit neuem Titel zu sehen. Da liegt die Vermutung nahe, dass man sich zunächst aus den hauseigenen Depots bedient hat, um anschließend Konzept und Argumentation daran anzupassen.