Matthew Rankin

Universal Language

Matthew Matthew Rankin) bewundert am Bahnhof von Winnipeg ein Wahlplakat . Foto: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 23.1.) Im Niemandsland zwischen Winnipeg und Teheran: Ohne Plot, aber mit Imagination und schrägem Humor legt Regisseur Matthew Rankin den Finger in die Wunden der kanadischen Gesellschaft. Zugleich gelingt ihm mit seinem Episodenfilm eine winterliche Hommage an das iranische Autorenkino.

In einer städtischen Winterlandschaft steht ein Schulgebäude. Die Kamera zoomt auf ein Fenster, und ein Mann tritt in den Bildausschnitt, gefolgt von einem Kind, das sich zuvor durch den Schnee zur Schule gekämpft hat. Ein Schnitt ins Klassenzimmer offenbart: Der Mann ist Lehrer, heißt Massoud (Pirouz Nemati) und brüllt.

 

Info

 

Universal Language

 

Regie: Matthew Rankin,

89 Min., Kanada 2024;

mit: Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Sobhan Javadi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Er nennt seine Schüler unfähig und dumm, schickt sie vorzeitig nach Hause und zündet sich dann eine Zigarette an. An der Tafel steht noch, was er zuvor geschrieben hat: „Wir sind alle verloren in der Welt.“ Der Satz wirkt wie ein Omen für das Kommende und setzt den Ton für Matthew Rankins Film „Universal Language“, in dem die Protagonisten ziellos herumzuirren scheinen.

 

Ein Geldschein im Eis

 

Nach der Szene in der Schule entdecken die Schülerinnen Negin (Rojina Esmaeili) und Nazgol (Saba Vahedyousefi) einen tief im Eis eingeschlossenen Geldschein und versuchen ihn zu bergen. Derweil kündigt Matthew, gespielt vom Regisseur selbst, seinen Job als Regierungsbeamter in Montreal, um seine Mutter in Winnipeg zu besuchen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Obskure Sehenswürdigkeiten eines unbestimmten Ortes

 

Dort arbeitet Massoud nach Schulschluss als Fremdenführer. Im beigen Anzug und mit bunten Ohrenwärmern führt er Touristen zu einer eigenwilligen Auswahl von Sehenswürdigkeiten: eine Bank, auf der vor 40 Jahren jemand einen Koffer vergessen hat, oder ein riesiges Parkhaus. Wer zwischen diesen lose verbundenen Episoden nach einem Plot sucht, hat verloren. 

 

Der Film lebt von Atmosphären, den kleinen, sich fast zufällig aneinander reihenden Momenten und seiner unbestimmten Orts- und Zeitbestimmung. Sind es die 1980er Jahre? Ist das wirklich Winnipeg, Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba? So sprechen die Menschen kurioserweise nicht in den beiden Landessprachen Französisch oder Englisch, sondern Persisch.

 

Teheran in Manitoba

 

Abgesehen von den vereisten Straßen und der nordamerikanischen Architektur, sehen Märkte und Cafés aus wie iranische Basare und Teehäuser. Mit einer ähnlichen Methode hat bereits Ana Lily Amirpour in ihrem Film „A Girl Walks Home Alone at Night“ (2014) ein Garagen-Viertel von Los Angeles in einen historisch entrückten Teheraner Vorort verwandelt.

 

Rankins Ästhetik erinnert aber auch an Wes Andersons symmetrische Verspieltheit oder die poetische Bildsprache von Abbas Kiarostami. Rankin ist erklärter Fan des iranischen Filmemachers. Wie in Kiarostamis Film „Der Wind wird uns tragen“ (1999) spielen auch in seiner Komödie unbelebte Objekte wichtige Rollen. Vor allem beeinflusst die urbane Architektur unterschwellig die Handlungen der Charaktere.  

 

Die Farbe Beige als Leitmotiv

 

Während die Beweggründe der Figuren im Vagen bleiben, folgt das Leben in dieser Welt einer klar definierten Ordnung. Sie zeigt sich in einer geradezu comichaften Stilisierung. In der Apotheke gibt es zum Beispiel nur drei Medikamente: Das starke Schmerzmittel Fentanyl, Vitamin D und die Schlaftabletten, die Matthew dort kauft. Die Verpackungen sind perfekt gestapelt und allesamt beigefarben.

 

Die wiederkehrende Farbe Beige dient als eine Art Leitmotiv. So verlaufen sich die beiden Schülerinnen auf der Suche nach einem Eispickel im „beigen Bezirk“. Der absurde Humor setzt sich fort, wenn Touristenführer Massoud eine Gruppe Touristen zu einer Autobahnauffahrt führt, um einem an dieser Stelle Verstorbenen 30 Minuten lang in Stille zu gedenken; oder wenn die Kamera kurz auf vergilbten Wahlplakaten stehen bleibt. Sie zeigen  angestrengt lächelnde Politiker mit Slogans wie: „Eine starke Wirtschaft begrenzt das Gefühl der Wertlosigkeit.“ 

 

Elegische Musik für ein entfremdetes Land

 

Oft wirkt es, als habe Rankin für sein Land nur Häme übrig. Kanada und besonders das in der südlichen Mitte des Landes angesiedelte Winnipeg werden durchweg zynisch dargestellt. Unter dem Humor verbirgt sich die Sozialkritik und zielt vor allem auf die Entfremdung der Gesellschaft des Einwanderungslandes. Dazwischen fallen Zeichen von Wärme und Versöhnlichkeit umso mehr auf.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist"eigenwillige Sex-Dating-Tragikomödie von Joanna Arnow

 

und hier eine Besprechung des Films "The Forbidden Room" – Remake-Potpourri aus Fake-Stummfilmen von Guy Maddin

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Liebesfälscher" - französisches Kammerspiel des iranischen Autorenfilmers Abbas Kiarostami

 

Als Matthew sein altes Elternhaus aufsucht, stellt er fest dass dort mittlerweile Dara (Dara Najmabadi) mit seiner Familie lebt. Sie bietet dem zunehmend verwirrten Matthew Obdach und damit einen Funken Menschlichkeit in einer von Alternativlosigkeit geprägten Welt. Auch der elegische Soundtrack stößt sich ironisch an der sterilen Geometrie der Bauten. Er verleiht ihnen eine gewisse melancholische Würde, so wie ein Lana-Del-Rey-Song einem IKEA-Markt: deplatziert und trotzdem bewegend.

 

Zugehörigkeit als Zumutung

 

Nicht trotz sondern dank seines eigenwilligen Humors gelingt Rankin eine tiefgründige psychologische Analyse des Wunsches nach Zugehörigkeit. Dass viele Figuren persisch sprechen, verschiebt die gewohnte Perspektive. Migration ist keine Fußnote, sondern die Grundannahme des Films; und Zugehörigkeit ist hier keine Antwort, sondern eine Zumutung.

 

Was passiert, wenn niemand in der Sprache spricht, die erwartet wird? Ist Integration stets an die Anpassung gebunden? Oder liegt darin die Gefahr, die eigene Identität zu verlieren? Rankin spielt geschickt mit Vorurteilen über Migration und stellt Figuren wie Dara oder die beiden Schülerinnen ohne Klischees dar. In der allumfassenden Mehrdeutigkeit des Films bleiben alle Fragen unbeantwortet, und das erweist sich als die Stärke von „Universal Language“: Die größten Widersprüche können nicht gelöst, nur ausgehalten werden.