
Jeder hat mal klein angefangen und ist später nicht mehr damit zufrieden. Auch der 2005 verstorbene Hunter S. Thompson, Erfinder des «Gonzo-Journalismus» und Autor von «Fear and Loathing in Las Vegas» («Angst und Schrecken in Las Vegas»), das Terry Gilliam 1998 als eine Art Dauer-Trip verfilmte, hatte ein lange vergessenes Frühwerk in der Schublade.
Info
Rum Diary
Regie: Bruce Robinson, 120 min., USA 2011;
mit: Johnny Depp, Aaron Eckhart, Amber Heard
Depp als doppelter Thompson
Depp war von dem Manuskript begeistert; er sorgte nicht nur dafür, dass der Roman 1998 veröffentlicht wurde, sondern auch für seine Verfilmung. Mit ihm in der Hauptrolle: Er hatte Thompsons Alter Ego bereits in «Fear and Loathing in Las Vegas» verkörpert.
Offizieller Film-Trailer
Schluckspecht auf Puerto Rico
Bei den Dreharbeiten zu «The Rum Diary» sei es ihm vorgekommen, als würde er dieselbe Figur noch einmal spielen, nur jünger, erzählt der Hollywood-Star. Immerhin: Dass Depp um die Hüften herum etwas robuster geworden ist, stört kaum. Man nimmt ihm ab, der leicht beeinflussbare, idealistische Nachwuchs-Journalist Paul Kemp zu sein.
Kemp kommt nach Puerto Rico, um die Redaktion der auflageschwachen Zeitung «The San Juan Star» zu verstärken. Als eifriger Schluckspecht findet er schnell Anschluss an Kollegen, die ähnliche Interessen haben. Er zieht in die strom- und wasserlose Bruchbude des Fotografen Sala (Michael Rispoli) ein, der versucht, mit Hahnenkämpfen Geld zu verdienen.
Verkostung der ersten LSD-Tropfen
Bald wird Paul vom US-Bauunternehmer Sanderson (Aaron Eckhart) umgarnt: Der plant ein illegales Bauprojekt auf einer menschenleeren Insel und braucht einen begabten Autor für PR-Texte. Paul geht anfangs auf Sandersons Avancen ein, um an dessen schöne Freundin Chenault (Amber Heard) heran zu kommen.
Das gelingt. Gemeinsam machen Sala, Kemp und Chenault die Insel unsicher, feiern den rauschenden Karneval mit, leeren unzählige Rum-Flaschen und kosten die ersten Tropfen LSD, die nach Puerto Rico gelangen. Bis Sanderson seinem PR-Mann den Laufpass gibt und der sich rächen will, indem er eine investigative Story über schmutzige Immobilien-Deals veröffentlicht.
Stimmiges period piece der frühen 1960er
Hunter S. Thompson hat seinen autobiographisch geprägten Jugend-Roman gewiss unter Einfluss von allerlei Genussmitteln verfasst – das ist dem waghalsig schlingernden Plot anzumerken. Aus der schillernden Vorlage machen Regisseur Bruce Robinson und sein Held Johnny Depp jedoch ein sehr stimmiges period piece über die Karibik der frühen 1960er Jahre.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Doku "The United States of Hoodoo" von Oliver Hardt über Voodoo-Praktiken in den USA
und hier eine Lobes-Hymne auf die Doku "The Substance: Albert Hofmann’s LSD" von Martin Witz über die Entdeckung und Verbreitung der Droge
und hier einen Beitrag über die Doku "William S. Burroughs: A Man Within" von Yony Leyser über den Prototyp aller schriftstellernden Freaks.
Easy Living und Serious Drinking
So mauserte sich das unscheinbare Puerto Rico binnen weniger Jahre zum hot spot, auf dem easy living und serious drinking Triumphe feierten: in gut geschnittenen Anzügen mit dicken Zigarren im Mund bei rasanten Überland-Fahrten mit exotischen Schönheiten auf dem Beifahrer-Sitz.
Das leichtlebige Lebensgefühl der Epoche vor der Kuba-Krise fängt der Film formvollendet ein: mit Abstechern in schummrige Rum-Spelunken, zu illegalen Hahnen-Kämpfen und bizarren Voodoo-Priestern, bei denen auch agnostische Journalisten um höheren Beistand bitten.
Eine untergegangene Welt
Eine Welt, die längst all inclusive resorts vom Typ Club Méditeranée zum Opfer gefallen ist. Ebenso wie engagierter Journalismus, bei dem angry young men ihre Enthüllungen in mechanische Schreibmaschinen hacken, um damit die Welt zu verändern. Wenn es heute noch auf Puerto Rico englischsprachige Zeitungen geben sollte, dann erscheinen sie vermutlich nur noch online.