Maria Schrader

She said

Jodi Kantor (Zoe Kazan), Megan Twohey (Carey Mulligan), und Rebecca Corbett (Patricia Clarkson) sind gespannt was Dean Baquet (Andre Braugher) beim Telefonat herausfindet. Foto: © Universal Studios. All Rights Reserved.
(Kinostart: 8.12.) Wie zwei Reporterinnen die #MeToo-Bewegung lostraten: Ihre Recherchen, die Hollywood-Mogul Harvey Weinstein vor Gericht brachten, zeichnet Regisseurin Maria Schrader nach. Ihr konventionell inszeniertes, aber spannendes Dokudrama nimmt konsequent eine weibliche Perspektive ein.

Megan Twohey (Carey Mulligan) ist Investigativ-Reporterin bei der „New York Times“ (NYT) – und bereits desillusioniert, als sie sich ihrem neuen Auftrag zuwendet. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Jodi Kantor (Zoe Kazan) soll sie Gerüchten nachgehen, dass der einflussreiche Filmproduzent Harvey Weinstein systematisch Frauen missbraucht: prominente Schauspielerinnen ebenso wie junge Angestellte. An Twohey nagen nicht nur berufliche Zweifel; sie hat auch mit einer postnatalen Depression zu kämpfen. Und sie fragt sich grundsätzlich, was mit derartigen Enthüllungen zu erreichen ist.

 

Info

 

She said

 

Regie: Maria Schrader,

128 Min., USA 2022;

mit: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ein Jahr zuvor war sie Belästigungsvorwürfen nachgegangen, die 2016 gegen den Präsidentschafts-Kandidaten Donald J. Trump erhoben worden waren. Der Artikel war im Oktober erschienen – und weitgehend verpufft. Einen Monat später wurde Trump zum Präsidenten gewählt. Und Twohey musste fortan mit Drohungen und Beleidigungen aus seinem Lager leben.

 

Kein Geheimnis

 

Die Weinstein-Enthüllungen hatten 2017 weiterreichende Konsequenzen. Über die Auswirkungen auf die Filmindustrie lässt sich jedoch streiten: Weinsteins Übergriffe waren in der Branche kein großes Geheimnis, und ein Netzwerk von Leuten deckte ihn jahrzehntelang. Bis heute finden in Hollywood Filmschaffende ihr Auskommen, gegen die massive Anschuldigungen im Raum stehen. Doch immerhin brachten Twohey und Kantor die #MeToo-Bewegung ins Rollen: sexuelle Übergriffe im Arbeitsleben – damals für die „New York Times“ Anlass und Ausgangspunkt der Recherche – erhielten mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Weinstein selbst wurde 2020 zu 23 Jahren Haft verurteilt.

Offizieller Filmtrailer


 

Plädoyer gegen Clickbait-Journalismus

 

Die Filmemacherin Maria Schrader zeichnet nun spannend nach, wie die Recherche der Journalistinnen trotz etlicher Rückschläge publik wurde und viel Resonanz fand. Bekannt wurde Schrader zunächst als Schauspielerin. Als Regisseurin machte sie sich einen Namen mit „Vor der Morgenröte“ (2016), dem großartigen Biopic über Stephan Zweigs Zeit im brasilianischen Exil, und der Sci-Fiction-Dramödie „Ich bin Dein Mensch“ (2021), der mit vier Deutschen Filmpreisen prämiert wurde. Außerdem führte sie Regie bei der Netflix-Miniserie „Unorthodox“ (2020), die im jüdisch-orthodoxen Milieu von New York und im Berlin der Gegenwart spielt.

 

„She said“ erweist sich als leidenschaftliches Plädoyer für Medien, die sich auch in Zeiten des Clickbait-Journalismus eine Investigativ-Abteilung leisten – was zunehmend als Luxus gilt: Solche Recherchen sind nicht unbedingt profitabel und können in Sackgassen führen. Damit steht Schrader in der Tradition von Filmen wie „Die Unbestechlichen“ (1976) von Alan J. Pakula über die Watergate-Enthüllungen, oder auch „Spotlight“. Darin zeigte Regisseur Tom McCarthy 2015, wie der „Boston Globe“ die systematische Vertuschung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche offenlegte.

 

Empathie + Überzeugungsarbeit

 

Wie bei „Die Unbestechlichen“ liegt auch Schraders Film ein Sachbuch zugrunde: „She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement“ (2019) von Jodi Kantor und Megan Twohey gibt nicht nur Einblicke in ihre Recherchearbeit. Die beiden NYT-Journalistinnen legen auch die Strukturen offen, die es Weinstein ermöglichten, unbehindert und ungestraft immer weiterzumachen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ich bin dein Mensch" – vielschichtiges Psychogramm über Beziehung zu Human-Roboter von Maria Schrader

 

und hier eine Besprechung des Films „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“ – beeindruckendes Biopic über den Star-Autor im Exil von Maria Schrader

 

und hier einen Beitrag über den Film "Spotlight" - brillanter Medien-Thriller über Missbrauchs-Skandal von Tom McCarthy, prämiert mit dem Oscar als bester Film 2016.

 

und hier einen Bericht über den Film "Bombshell – Das Ende des Schweigens" – Dokudrama über sexuelle Belästigung beim TV-Sender „Fox News“ von Jay Roach mit Charlize Theron + Nicole Kidman.

 

Diese Strukturen tauchen im Film vor allem in Form von Geheimhaltungs-Erklärungen auf, die durchaus das Potenzial hatten, die Nachforschungen von Twohey und Kantor ergebnislos verenden zu lassen. Etliche von Weinsteins Opfern hatten solche Erklärungen unterschrieben, um zumindest eine finanzielle Entschädigung zu bekommen. Im Zentrum von Schraders Film steht das empathische Verhältnis der beiden Journalistinnen zu ihren Informantinnen – und die Überzeugungsarbeit, die nötig war, damit sie sich an die Öffentlichkeit wagten. Niemand wollte die Erste oder Einzige sein.

 

Konsequent weibliche Perspektive

 

Filmisch ist das eher konventionell in Szene gesetzt. Doch ihr Spannungsbogen trägt die Handlung über die etwas abgenutzte Bildsprache. Authentizität erhält das Drama nicht zuletzt dadurch, dass es in den pandemiebedingt verwaisten NYT-Redaktionsräumen gedreht werden konnte – und durch den Umstand, dass die Schauspielerin Ashley Judd sich selbst spielt. Ihre Aussage trug seinerzeit dazu bei, dass die Recherche überhaupt veröffentlicht werden konnte.

 

Weinstein bei seinen Taten zuzuschauen, bleibt dem Zuschauer trotz zahlreicher Rückblenden erspart; sie erschließen sich allein durch die Erzählungen seiner Opfer. Wobei sich der Filmtitel an die englische Redewendung „He said, she said“ anlehnt: Die wird gern bemüht, wenn man eine Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau, für die es keine Zeugen gibt, als nicht aufklärbar deklarieren und damit in die Gerüchteküche abschieben will. Dagegen sind hier rechtliche Detailfragen immer wieder Thema – aber die emotionalen Folgen für betroffene Frauen stehen in dieser erhellenden Rekonstruktion im Mittelpunkt: Schrader nimmt konsequent eine weibliche Perspektive ein.