«In Between» ist ein passender Titel für den Zwischenzustand, den Richard Deacon am Skulpturalen interessiert. Bereits als kleiner Junge haben ihn die Buddha-Plastiken in Sri Lanka fasziniert. Nicht etwa wegen ihres mystisch-religiösen Gehalts, sondern weil er sie ganz materiell begriff: als etwas auf der Grenze zwischen Anwesenheit und Abwesenheit.
Info
Richard Deacon
- In Between
Regie: Claudia Schmid
89 Min., Deutschland 2013
Assistenten reklamiert Werke für sich
Diese Freiheit billigt er auch seinen Mitarbeitern zu. Allen voran seinem langjährigen Assistenten Bob, in dessen Werkstatt alle Holzskulpturen von Richard Deacon entstehen. Bob bezeichnet sie sogar als seine eigenen Arbeiten, was Deacon nicht weiter zu stören scheint.
Offizieller Filmtrailer
Freundschaft mit Dingen statt Gleichaltrigen
Claudia Schmid zeichnet in ihrem Dokumentarfilm ein sehr intensives Porträt des britischen Künstlers. Sie hat ihn zwei Jahre lang bei der Planung und Entwicklung dreier großformatiger Skulpturen beobachtet: «Congregate», «Fold» und «Upper Strut». Schmid huldigt Deacon als Künstler, dokumentiert aber vor allem seinen experimentellen Anspruch zwischen Bildhauerei und Materialwissenschaft.
Deacon wurde 1949 im walisischen Bangor geboren. Er musste als Schüler häufig umziehen, weil sein Vater als Militärpilot alle zwei Jahre den Stützpunkt wechselte. Dem jungen Richard fiel es also nicht leicht, dauerhafte Freundschaften einzugehen; er begeisterte sich eher für die Dingwelt. Ob das Material steinerner Statuen oder die Facetten bunter Schmetterlingsflügel: Der spätere Turner-Preisträger von 1987 suchte früh nach Erfahrungen mit Wahrnehmung und Beschaffenheit von Stoffen, die ihn umgaben.
Kein Bezug zwischen Ursache und Wirkung
Eigentlich ist Deacon alles andere als ein Handwerker, obwohl Schmid ihn zeigt, wie er an der Bandsäge steht oder Skulptur-Teile aneinander schraubt. Sein Vater würde sich wundern, wenn er ihn so sähe, argwöhnt Deacon. Seine Material-Experimente geht er auch nicht an wie ein Ingenieur oder Verfahrenstechniker.
Sondern mit der Nonchalance eines Dilettanten der Romantik: «Der fehlende Bezug zwischen Ursache und Wirkung ist für einen Künstler ein Vorteil», erklärt er: «für einen Handwerker jedoch ein Nachteil.» Deacon gibt der Wirkung in jedem Fall den Vorzug; um Ursachenforschung kümmern sich seine Mitarbeiter.
Löcher im Schweizer Käse
Der Bildhauer will den Materialien Eigenschaften und Oberflächen abtrotzen, die so nicht in ihnen zu stecken scheinen. So monumental seine amorphen Form-Einfälle in ihrer Wirkung, so banal sind sie manchmal in der Herleitung. Im Film philosophiert er etwa über die Löcher im Schweizer Käse: Wenn diese Löcher zur Definition eines Emmentalers gehören, dann sind diese Gas-Einschlüsse ebenso Käse wie die Masse um sie herum.
Hat man dieses Prinzip verstanden, dann erkennt man in der Skulptur «Laocoon» von 1986 nicht nur eine gewundene Skelett-Konstruktion aus laminierten, rund gebogenen Holzleisten – sondern einen vom Gerüst umschlossenen Raum, der womöglich die eigentliche Skulptur ausmacht.
Spiralen und Zöpfe aus Holz-Pfosten
Auch bei der Skulptur «Upper Strut», die an der Decke eines Louis-Vuitton-Laden in Singapur installiert ist, verlangt Deacon dem Werkstoff Holz einiges ab. Die Bugholz-Plastik besteht aus Leisten und Bohlen, die in sich verdreht und zu Zöpfen verdrillt sind. Seinem Studio ist es sogar gelungen, massive Pfosten zu Spiralen aufzudrehen. Sie geben ihre in der Holzfaser gespeicherte Energie als luftige Poesie des Objekts wieder frei.
Die Metall-Skulptur «Congregate» ist ein kristallines Gebilde, das gleichzeitig Schwere und Leichtigkeit verkörpert. Die einzelnen Teil sind zu einer Art Druse gefügt; so werden Hohlräume in Gestein genannt. In ihr tragen Innenraum und Außenraum einen skulpturalen Zweikampf aus, wie er auch in der Konstruktion von Molekülen und Mineralien vorkommt.
«Nicht zu wissen ist gut»
Nur wird er dort von physikalischen und chemischen Gesetzen bestimmt, nicht von künstlerischer Grundlagen-Forschung. «Nicht zu wissen», sagt Deacon, «ist ein guter Zustand in der Kunst.» Anderen Künstlern würde man Koketterie vorwerfen, ihm nimmt man jedoch die Ernsthaftigkeit ab, mit der er Faulheit und Ungewissheit zu Kriterien künstlerischer Praxis erklärt.
Regisseurin Schmid will Deacon und seinen Überlegungen zur Formfindung nahe kommen. Dafür setzt sie auf lange Einstellungen: allein auf den Künstler im Atelier oder gemeinsam mit seinen Assistenten in der Werkstatt. Dabei wird der Film manchmal behäbig; Deacon ist kein spritziger, extrovertierter Plauderer, sondern ein schüchterner, nachdenklicher Typ.
Minutenlang dem Papiermodell zusehen
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier einen kultiversum-Bericht über die Ausstellung "The Missing Part" mit Werken von Richard Deacon im Sprengelmuseum, Hannover
und hier eine Rezension der Dokumentation "Georg Baselitz" von Evelyn Schels - ein beflissenes Porträt des Künstlers
und hier eine Besprechung der Doku "The Artist is Present" von Matthew Akers über eine Dauer-Performance von Marina Abramovic.
Die großen und schweren Skulpturen sind ein Werk vieler Hände und Arbeitsschritte. Der vielfach geknickten Wand aus grünen Körpern «Fold» sieht man nicht an, dass sie aus glasierten Keramik-Elementen besteht, die einen komplexen Herstellungs-Prozess durchlaufen haben. Als Skulptur verweist sie zunächst nur auf sich selbst.
Form, Raum + Wahrnehmung
Doch sie verführt schnell zur Kontemplation darüber, aus was sie besteht, was ihre Oberfläche verbirgt, was hinter oder in ihr steckt. Und das führt zurück zum Grundgedanken von Deacons Plastiken und dem immerwährenden Problem der Skulptur im Allgemeinen: Wie hängen Form, Raum und Wahrnehmung zusammen? An den Mitteln, welche die Kunst hat, um sie zu beantworten, arbeitet Deacon sich ab.