
Ausgerechnet an Heiligabend! Regisseurin Petra Volpe legt ihr Züricher Sittenbild auf den 24. Dezember, damit der Kontrast zwischen besinnlichen Weihnachtsritualen und schäbiger Straßenstrich-Realität möglichst deutlich ausfällt. Ähnlich subtil gerät der gesamte Film.
Info
Traumland
Regie: Petra Volpe,
98 Min., Schweiz/ Deutschland 2014;
mit: Luna Zimic Mijovic, Bettina Stucky, Devid Striesow
Seitensprung unterm Christbaum
Eine soziale Etage höher passiert Martin (Devid Striesow) das Gleiche. Sein Sohn findet eine Gleitmittel-Verpackung im Auto, seine Frau Lena stellt ihn beim Christbaum-Schmücken zur Rede. Dummerweise kommen gerade die Großeltern an, um in der weitläufigen Villa gemeinsam zu feiern.
Offizieller Filmtrailer
Einsame Herzen mit Nutten-Kontakt
Dagegen sitzt Rolf (André Jung) allein in seiner Etagenwohnung: Seine Frau hat ihn verlassen, die pubertierende Tochter meidet ihn, sein Vater im Altersheim zürnt ihm. Auch der verwitweten Exil-Spanierin Maria fehlt Gesellschaft: Ihre erwachsene Tochter macht Karriere in Hongkong.
Vier einsame Herzen: zwei gebunden, zwei wider Willen solo. Sie verbindet nur, dass sie irgendwie losen Kontakt zur Prostituierten Mia (Luna Zimić Mijović) haben. Die 18-jährige Bulgarin wohnt im Hochhaus neben Maria, die ihre Nachbarin innig verabscheut. Braucht sie während ihrer Nachtarbeit eine Pause, kehrt sie bei Judith auf einen Becher Tee ein.
Schonungslos in Abgründen stochern
Einer ihrer Stammkunden ist Rolf, der ihr Sandwiches mitbringt und viel Geld gibt, nur um sich auszuquatschen. Wie auch Lena, die vom Familienfest flieht, weil sie unbedingt erfahren will, was und wie es Nutten mit Freiern so treiben. Was Mia beim Anschaffen verdient, muss sie bei ihrem Bruder David abliefern. Als dessen gewalttätiger Cousin sie nach Mailand verschleppen will, nimmt ihr Unglück die schlimmstmögliche Wendung.
Klingt so verworren wie vorhersehbar, und ist es auch. Hinter den Fassaden gutbürgerlicher Wohlanständigkeit lauern geläufige seelische Abgründe, in denen der Film schonungslos herumstochert. Da er so dicht bevölkert ist, bleibt ihm für einzelne Figuren nur wenig Zeit. Also enthüllt jede Szene eine andere Facette der allgegenwärtigen Doppelmoral.
Sämtliche Laster in einem Film
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Callgirl– Slovenian Girl“ – Prostitutions-Problemfilm von Damjan Kozole
und hier einen Beitrag über den Film “Das bessere Leben – Elles” über Studentinnen-Prostitution von Małgorzata Szumowska mit Juliette Binoche
und hier einen Bericht über den Film “Shopping Girls – Galerianki” von Katarzyna Rosłaniec über Teenie-Prostitution in Polen.
Untreue, Wollust, Betrug, Geiz, Bigotterie, Heuchelei, Lüge, Verrat, Brutalität: Regisseurin Volpe will offenbar sämtliche Laster in ihren Film packen. Dafür taucht mindestens eines davon in jedem Wortwechsel auf; ob sie dramaturgisch sinnvoll sind, spielt keine Rolle. Diese Dialoge papieren zu nennen, täte ihnen zuviel Ehre an. Ihre hölzerne Sprödigkeit erinnert an bleiernes Depressions-Kino der 1970/80er Jahre, in denen alle Tage grau verregnet und Nächte neonfarben eiskalt waren.
Nur 20 Sekunden Sex
Für diesen Film habe sie jahrelang im Rotlichtmilieu recherchiert, erklärt die Regisseurin. Vielleicht ist das ihr Problem: Volpe hat Stoff gesammelt, der für längere Vorabend-Fernsehserien reichen würde, aber nur 90 Minuten Zeit. Da muss alles so fix gehen wie ein Quickie: Außer 20 Sekunden Handentspannung kommt im ganzen Film kein Sex vor.