Der Western ist im Lauf der Jahre moralisch erwachsener geworden. In der Frühzeit des Genres besiegten Halbgötter mit Hut die Kreaturen der Vorgeschichte und brachten so amerikanische Ordnung ins Chaos. Gut und Böse waren klar geschieden, das Land war weit und der Held ein Mann.
Info
The Homesman
Regie: Tommy Lee Jones,
123 Min., USA 2013;
mit: Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Meryl Streep
Mit Eastwood auf Boden der Tatsachen
Der Blonde hieß Clint Eastwood. Als er seine reiferen Jahre erreichte, hat er auch die Figuren auf den Boden der Tatsachen geholt. Wenn man genauer hinsah, waren Revolverhelden gar keine Helden, sondern Versager. Und großartig an ihnen war nur, dass sie sich trotzdem auf das gefährliche Spiel einließen.
Offizieller Filmtrailer
Power-Frau bekommt einen Korb
Und nun also „The Homesman“: eine Regiearbeit von Tommy Lee Jones, der zugleich die männliche Hauptrolle spielt. Sein outlaw George Briggs ist, wie es sich auf dem Erkenntnisstand nach Eastwood gehört, zu Beginn des Films nicht nur schmutzig und unansehnlich, sondern auch ein moralisches Wrack. Nachdem er aus einer illegal bewohnten Hütte im unwirtlichen Nebraska gesprengt und dank eines „Engels“ vom Strick befreit wurde, hält er nur mit knapper Not sein Wort.
Doch Jones als Regisseur geht noch weiter. Der Film fängt mit dem „Engel“ an: der hübschen, alleinstehenden und wohlhabenden Farmerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank). Sie empfängt ihren Nachbarn zum Essen, serviert ihm, singt ihm vor und macht einen sehr nüchternen Heiratsantrag – was ihn in die Flucht schlägt. So eine Frau ist dem Freier nicht geheuer. Warum, begreift man nach wenigen Szenen, die in ein paar Minuten alle Heimatfilm-Träume, die man mit der kargen Breitwand-Prärie verbinden mag, im Grauen verwehen lassen.
Panoptikum weiblichen Grauens
Im Grauen der Frau, die von ihrem Mann mal im Stehen genagelt, mal im Bett bestiegen wird, während ihre alte Mutter ängstlich neben ihr liegt und aus dem Fenster sieht. Nachdem sie gestorben ist, zieht der Mann ihre Leiche, bevor sie müffelt, an der Verzweiflung der Tochter vorbei hinaus in Eis und Schnee.
Im Grauen einer zweiten Frau, die nur noch den Hunger für sich selbst und ihre Kinder vor Augen hat, nachdem ihre Rinderherde eingegangen ist. Und mit einer dritten, die ihr letztes, totes Kind in einem Plumpsklo entsorgt. Alle diese Frauen werden verrückt, rasen und beißen, sobald man sie aus ihrer Starre und Stille zieht. Und wie sie mit ihren Männern, so sind auch ihre Männer mit ihnen überfordert. Die Gemeinde sieht keine andere Lösung, als sie gen Osten zu schicken: nach Iowa, wo es für solche Fälle mildtätige Pfarrer gibt.
Impulse und Gesten
In der Gemeinde-Versammlung beginnt etwas, das über allen harten Realismus hinausweist: Mitgefühl. Es zeigt sich zunächst in der bloßen Sorge der Mitmenschen um die irren Weiber. Dann in der Bereitschaft der Farmerin, ihren rund dreiwöchigen Transport im umgebauten Viehwagen zu übernehmen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
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Nur Suff und Mitgefühl
Auch die Ankunft am Reiseziel spricht dafür, wenn Meryl Streep als warmherzig strahlende Pastorengattin die Frauen in Empfang nimmt. Doch dem bindungslosen, fast geläuterten Säufer Briggs weist sie die Tür: „Sie können jetzt gehen.“ Es gibt keine Heimat, keine Ruhe, kein Ende der Realität. Nur Suff und Mitgefühl. Und Erschaudern über das schlimmste Ereignis der Reise: Ausgerechnet der Mensch mit dem größten Mitgefühl bleibt erbarmungswürdig auf der Strecke.
Damit hebt „The Homesman“ das Western-Genre auf ein neues moralisches Niveau, das zugleich höchst realistisch ist: Seine Helden sind tragische Heldinnen, die leiden und mitfühlen, scheitern und retten – und die beim Zuschauer Jammer und Schrecken hervorrufen. Was einen Triumph der Menschlichkeit markiert.