Schöne Zukunftsaussichten: Der Begriff Anhedonie beschreibt die Unfähigkeit, Freude, Lust und Befriedigung zu empfinden. Im Jahr 2020 verbreitet sich dieser Zustand epidemisch in der westlichen Welt. Wer es sich leisten kann, wie die beiden verwöhnten Patriziersöhne Fritz (Wieland Schönfelder) und Franz (Robert Stadlober), lässt sich in mondänen Refugien therapieren.
Info
Anhedonia –
Narzissmus als Narkose
Regie: Patrick Siegfried Zimmer,
80 Min., Deutschland 2016;
mit: Robert Stadlober, Blixa Bargeld, Dirk von Lowtzow
Kein science fiction-Kammerspiel
Sinnleere auf der Gewinnerseite des Kapitalismus, der ennui der herrschenden Klasse und Andeutungen von Ereignissen, die der Erde in wenigen Jahren einen Weltkanzler und eine Weltwährung beschert haben: All das könnte eine viel versprechende Ausgangslage für ein pfiffiges science fiction-Kammerspiel sein. Aber schon beim ersten der zahlreichen Brüche im plot werden alle Hoffnungen auf smartes Kino pulverisiert.
Offizieller Filmtrailer
Bargeld liest vom teleprompter ab
Die Handlung friert ein. Ins Bild tritt „Einstürzende Neubauten“-Sänger Blixa Bargeld, der zwar immer noch eine tolle Stimme hat, aber leider als „Diabolus“ anhebt, alles, was man sich in der ersten Szene ohnehin zusammengereimt hat, noch einmal wortreich zu erklären. Dass er seinen Text offensichtlich vom teleprompter abliest, legt den Gedanken nahe, dass er keine Lust hatte, den Quatsch auch noch auswendig zu lernen.
Regisseur Patrick Siegfried Zimmer windet sich heraus, indem er Ungereimtheiten zum Stilmittel erklärt. Und so zieht „Rüdiger der Cheflakai“ (Flo Fernandez) mal den Fuß nach, mal nicht; Schauspieler Schönfelder spricht, wenn er aus der Rolle fällt, mal mit Berliner Dialekt, mal nicht. Praktisch alles ist so einfältig wie redundant: von der Musik über Toneffekte aus dem Sprechtheater bis zum Gelaber der beiden Ekelpakete und den Verlautbarungen ihres bis zum Schluss unsichtbaren, aber omnipräsenten Therapeuten (Stimme: „Tocotronic“-Sänger Dirk von Lowtzow).
Wie „Besser weiß ich es auch nicht“-Kolumne
Wenn die Meta-Ebene in Gestalt eines fiktiven Filmdrehs einbricht, wird viel „Fotze“ und „Schmock“ gebellt und lustlos der Selbstekel von Theater- und/oder Filmemachern vor sich hin gerotzt. Der fiktive, Chips fressende Regisseur fasst irgendwann zusammen, in seinem Film gehe es um die „Dummheit der Menschen“; dem ist von ganzem Herzen zuzustimmen.
Allerdings steht bleischwer die Frage im Raum, was die Macher eigentlich von ihren Protagonisten unterscheidet. Der Film steigt nicht tiefer in sein Thema ein als eine der Feuilleton-Kolumnen mit Titeln wie „Besser weiß ich es auch nicht“. Dass Menschen in der Kulturindustrie mit ihrem unendlichen Absorptionsvermögen und rigorosen Spaßdiktat irgendwann Sinn und Freude abhanden kommt, ist wahrhaftig keine Neuigkeit; dazu reicht ein Blick in einen beliebigen U-Bahn-Waggon.
Drehbuch auf Erstsemester-Niveau
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Ewige Jugend“ – wunderbare Tragikomödie übers Altwerden im Zauberberg-Sanatorium von Paolo Sorrentino, prämiert mit drei Europäischen Filmpreisen 2015
und hier eine Besprechung des Films „Finsterworld“ – episodenhafte Tragikomödie von Frauke Finsterwalder + Christian Kracht
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "Zarte Parasiten" – surreales Drama zum demographischen Wandel von Christian Becker + Oliver Schwabe mit Robert Stadlober.
Dieser Film ist „Tristesse Grill Royal“, wie das heutige Berliner Lieblingsrestaurant blasierter décadents heißt: Satire, die ins Leere geht, weil sie zu feige oder zu faul für einen Gegenstandpunkt ist, Handwerk und Sorgfalt der eigenen Geilheit opfert und sich am Ende auch noch selbst zum Opfer des Kapitalismus erklärt. Ziemlich bitter.
Stadlober als Koproduzent
Es ist kein spoiler, zu verraten, dass auch die Schlusspointe komplett in die Hose geht. Lobenswert ist zumindest der Schnitt von Habiba Laout: Sie etabliert immerhin noch etwas Tempo und Perspektive, wo ansonsten allerhand im Argen liegt. Und Robert Stadlober, der dem Elend hin und wieder ein schauspielerisch-menschliches Antlitz verleiht. Er ist sich nicht zu schade, als Koproduzent für diese Film gewordene Kneipen-Idee zu fungieren; zur Umsetzung hätte ein zehnminütiger Kurzfilm freilich allemal ausgereicht.