Kathryn Bigelow

Detroit

Die amerikanische Arbeiterstadt Detroit im Ausnahmezustand. Foto: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH
(Kinostart: 23.11.) Zeitgeschichte aus der Ameisenperspektive: Action-Regisseurin Kathryn Bigelow verkürzt die Rassenunruhen in Detroit 1967 auf eine Episode des Schreckens im Stundenhotel – Realitäts-Rekonstruktion als folgenloser Horrorfilm.

Rassenkonflikte und kein Ende: In den USA gehen immer wieder Uniformierte willkürlich und brutal gegen Unbescholtene vor – meist gegen Farbige. Proteste ihre Mitbürger eskalieren rasch zur Konfrontation mit der Staatsgewalt. Wie in Ferguson, Missouri: Im August 2014 erschoss dort ein weißer Polizist einen unbewaffneten 18-jährigen Schwarzen. Daraufhin brachen Unruhen in der Kleinstadt aus; der Ausnahmezustand wurde verhängt und die Nationalgarde entsandt.

 

Info

 

Detroit

 

Regie: Kathryn Bigelow,

143 Min., USA 2017;

mit: Algee Smith, Will Poulter, John Boyega

 

Website zum Film

 

So verwerflich sie sind – es handelt sich um Einzelfälle. Vor einem halben Jahrhundert hatte die Konfrontation eine andere Größenordnung: Allein im Sommer 1967 kam es in fast 160 US-Städten zu Randale und Krawall – ausgelöst durch Widerstand gegen den Vietnam-Krieg und Streit um die Forderungen der Bürgerrechtsbewegung. Die schlimmsten Straßenschlachten erlebte Detroit, das Zentrum der US-Automobilindustrie: Dort wurden in nur fünf Tagen fast 40 Menschen von Sicherheitskräften erschossen.

 

Sechs Oscars für „The Hurt Locker“

 

Dieses tragischen Kapitels nimmt sich nun Kathryn Bigelow an. Als eine der wenigen Regisseurinnen von action-Filmen hat sie sich in den letzten Jahren politisch heiklen Themen zugewandt. Ihr „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ landete 2009 einen Volltreffer: Das Porträt eines Bombenentschärfungs-Kommandos im Irak-Krieg erhielt sechs Oscars. „Zero Dark Thirty“ (2012) über die Jagd und Liquidierung von Top-Terrorist Osama Bin Laden wurde trotz fünf Oscar-Nominierungen kontrovers aufgenommen: Kritiker warfen der Regisseurin vor, sie zeige Folter so ausgiebig und detailliert, als billige sie solche Praktiken.

Offizieller Filmtrailer


 

Ambivalent schlichter Regiestil

 

Aus der Luft gegriffen scheint dieser Vorwurf nicht. Bigelows Regiestil wirkt schlicht: Sie erzählt chronologisch und zeichnet Gewaltausübung minutiös nach, scheinbar ohne zu werten – wobei sie weiter draufhält, wenn es kaum noch erträglich wird. Was implizit durchaus eine Wertung enthält: Seht her, welche scheußlichen Grausamkeiten geschehen sind! Allerdings lässt ihr schonungsloser Naturalismus auch die Gegenreaktion zynischer Schaulust zu.

 

Diese Ambivalenz wird im Verlauf von „Detroit“ deutlich. Anfangs bemüht sich der Film noch um Panorama-Perspektive und Zeitkolorit. Eines Abends führt die Polizei eine Razzia in einer Bar ohne Alkohol-Lizenz durch; dort feiern Schwarze eine harmlose party für Vietnam-Heimkehrer. Es fehlen Einsatzwagen, Verstärkung wird angefordert, Anwohner stellen sich in den Weg – kurze, schnelle Szenen zeigen sehr anschaulich, wie Nervosität, Stress, ressentiments und Imponiergehabe auf beiden Seiten in Gewalt umschlagen, die rasch eskaliert.

 

Schreckschuss-Pistole löst Sturm aus

 

Zu deren Opfern zählen „The Dramatics“: Das junge R&B-Quartett fiebert seinem ersten Auftritt auf großer Bühne entgegen, doch der wird in letzter Minute abgesagt – womit der Film daran erinnert, dass Detroit damals die Hauptstadt von black music war, mit den soul und funk stars von Motown Records. Zwei der enttäuschten doo wop-Sänger, Larry (Algee Smith) und Jimmy, mieten sich ein billiges Zimmer im „Algiers Motel“, um unbehelligt die Nacht abzuwarten – gerade dadurch geraten sie in einen Alptraum der Todesangst.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Moonlight" – Coming-of-Age-Drama eines schwarzen Ghetto-Kid von Barry Jenkins, Oscar für den besten Film 2017

 

und hier eine Besprechung des Films "Nächster Halt: Fruitvale Station" – anschauliches Doku-Drama über die Erschießung eines US-Schwarzen von Ryan Coogler

 

und hier einen Beitrag über den Film "Loving" – subtiles Doku-Drama über Rassendiskriminierung in den 1950/60er Jahren von Jeff Nichols

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Black Power Mixtape 1967 – 1975" – brillante Doku über die US-Bürgerrechtsbewegung von Göran Hugo Olsson.

 

Mit zwei leichtlebigen Mädels, die sie am pool kennenlernen, und deren zwielichtigen Freunden: Einer namens Carl ballert aus Jux mit einer Schreckschusspistole herum – und beschwört damit den geballten Zorn der Staatsmacht herauf. Erst feuert eine ganze Einheit zurück, dann stürmt sie den Gebäudekomplex unter dem Kommando von Officer Krauss (Will Poulter). Der Rassist will um jeden Preis die Herausgabe der angeblich versteckten, scharfen Waffe erzwingen; seine Verhör- und Einschüchterungs-Methoden laufen völlig aus dem Ruder.

 

Konventionelles Erzählmuster

 

Diese furchtbare Episode ist verbürgt; ebenso, dass die Täter straflos davonkamen. Dennoch ähnelt die zweite Hälfte des Films einem konventionellen Horror-Schocker: mit einem vermeintlichen Refugium, das zur Falle wird; mit einem vermeintlichen Gesetzeshüter, der sich als Schurke entpuppt; mit einem Komplizen-Netzwerk, das ihn deckt usw..

 

Die Kamera klebt am Katz-und-Maus-Spiel im Haus des Schreckens; Motive und Verlauf des mehrtägigen Aufruhrs vor der Tür bleiben ausgesperrt. Daran ändert auch die Figur des schwarzen Wachmanns Dismukes (John Boyega) nichts, der als einziger einen kühlen Kopf bewahrt: Da er zwischen den Fronten steht, wird er rücksichtslos untergebuttert.

 

Ohnmächtiges Mitgefühl

 

Solche Zeitgeschichte aus der Ameisenperspektive hat im angelsächsischen Raum Tradition: Augenzeugenberichte und Biographien stehen hoch im Kurs, Überblicks-Darstellungen ertrinken oft in Einzelheiten. Doch in ihren letzten beiden Filmen gelang es Bigelow, sie in größere Zusammenhänge einzubetten und diese dadurch verständlicher zu machen. Das fehlt in „Detroit“; so bleibt nur ohnmächtiges Mitgefühl für die Opfer. Bis zum nächsten Mal.