Rassenkonflikte und kein Ende: In den USA gehen immer wieder Uniformierte willkürlich und brutal gegen Unbescholtene vor – meist gegen Farbige. Proteste ihre Mitbürger eskalieren rasch zur Konfrontation mit der Staatsgewalt. Wie in Ferguson, Missouri: Im August 2014 erschoss dort ein weißer Polizist einen unbewaffneten 18-jährigen Schwarzen. Daraufhin brachen Unruhen in der Kleinstadt aus; der Ausnahmezustand wurde verhängt und die Nationalgarde entsandt.
Info
Detroit
Regie: Kathryn Bigelow,
143 Min., USA 2017;
mit: Algee Smith, Will Poulter, John Boyega
Sechs Oscars für „The Hurt Locker“
Dieses tragischen Kapitels nimmt sich nun Kathryn Bigelow an. Als eine der wenigen Regisseurinnen von action-Filmen hat sie sich in den letzten Jahren politisch heiklen Themen zugewandt. Ihr „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ landete 2009 einen Volltreffer: Das Porträt eines Bombenentschärfungs-Kommandos im Irak-Krieg erhielt sechs Oscars. „Zero Dark Thirty“ (2012) über die Jagd und Liquidierung von Top-Terrorist Osama Bin Laden wurde trotz fünf Oscar-Nominierungen kontrovers aufgenommen: Kritiker warfen der Regisseurin vor, sie zeige Folter so ausgiebig und detailliert, als billige sie solche Praktiken.
Offizieller Filmtrailer
Ambivalent schlichter Regiestil
Aus der Luft gegriffen scheint dieser Vorwurf nicht. Bigelows Regiestil wirkt schlicht: Sie erzählt chronologisch und zeichnet Gewaltausübung minutiös nach, scheinbar ohne zu werten – wobei sie weiter draufhält, wenn es kaum noch erträglich wird. Was implizit durchaus eine Wertung enthält: Seht her, welche scheußlichen Grausamkeiten geschehen sind! Allerdings lässt ihr schonungsloser Naturalismus auch die Gegenreaktion zynischer Schaulust zu.
Diese Ambivalenz wird im Verlauf von „Detroit“ deutlich. Anfangs bemüht sich der Film noch um Panorama-Perspektive und Zeitkolorit. Eines Abends führt die Polizei eine Razzia in einer Bar ohne Alkohol-Lizenz durch; dort feiern Schwarze eine harmlose party für Vietnam-Heimkehrer. Es fehlen Einsatzwagen, Verstärkung wird angefordert, Anwohner stellen sich in den Weg – kurze, schnelle Szenen zeigen sehr anschaulich, wie Nervosität, Stress, ressentiments und Imponiergehabe auf beiden Seiten in Gewalt umschlagen, die rasch eskaliert.
Schreckschuss-Pistole löst Sturm aus
Zu deren Opfern zählen „The Dramatics“: Das junge R&B-Quartett fiebert seinem ersten Auftritt auf großer Bühne entgegen, doch der wird in letzter Minute abgesagt – womit der Film daran erinnert, dass Detroit damals die Hauptstadt von black music war, mit den soul und funk stars von Motown Records. Zwei der enttäuschten doo wop-Sänger, Larry (Algee Smith) und Jimmy, mieten sich ein billiges Zimmer im „Algiers Motel“, um unbehelligt die Nacht abzuwarten – gerade dadurch geraten sie in einen Alptraum der Todesangst.
Hintergrund
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Konventionelles Erzählmuster
Diese furchtbare Episode ist verbürgt; ebenso, dass die Täter straflos davonkamen. Dennoch ähnelt die zweite Hälfte des Films einem konventionellen Horror-Schocker: mit einem vermeintlichen Refugium, das zur Falle wird; mit einem vermeintlichen Gesetzeshüter, der sich als Schurke entpuppt; mit einem Komplizen-Netzwerk, das ihn deckt usw..
Die Kamera klebt am Katz-und-Maus-Spiel im Haus des Schreckens; Motive und Verlauf des mehrtägigen Aufruhrs vor der Tür bleiben ausgesperrt. Daran ändert auch die Figur des schwarzen Wachmanns Dismukes (John Boyega) nichts, der als einziger einen kühlen Kopf bewahrt: Da er zwischen den Fronten steht, wird er rücksichtslos untergebuttert.
Ohnmächtiges Mitgefühl
Solche Zeitgeschichte aus der Ameisenperspektive hat im angelsächsischen Raum Tradition: Augenzeugenberichte und Biographien stehen hoch im Kurs, Überblicks-Darstellungen ertrinken oft in Einzelheiten. Doch in ihren letzten beiden Filmen gelang es Bigelow, sie in größere Zusammenhänge einzubetten und diese dadurch verständlicher zu machen. Das fehlt in „Detroit“; so bleibt nur ohnmächtiges Mitgefühl für die Opfer. Bis zum nächsten Mal.