Anthony Hopkins

Freud – Jenseits des Glaubens

Sigmund Freud (Anthony Hopkins, li.) und C.S. Lewis (Matthew Goode) liefern sich Wortgefechte. Foto: © X Verleih
(Kinostart: 19.12.) Endspiel über die Existenz Gottes: Drei Wochen vor Sigmund Freuds Tod debattiert der Psychoanalyse-Begründer mit einem christlichen Autor. Das konstruierte Kammerspiel gerät zu oberflächlich für die Bedeutung seines Themas; Regisseur Brown behilft sich mit Allzumenschlichem.

Der Filmtitel „Jenseits des Glaubens“ ist eine Anspielung auf Freuds Schrift „Jenseits des Lustprinzips“. In diesem Hauptwerk von 1920 wechselt der Begründer der Psychoanalyse das Paradigma und gibt seiner Theorie eine völlig neue Ausrichtung. Während er vorher das gesamte Triebleben auf das Lustprinzip zurückführte, betrachtet er nun zwei Triebgruppen als gleichrangig: Lebens- und Todestriebe. Erstere treiben Libido, Narzissmus und Liebe an; letztere die Aggression und Selbstzerstörung.

 

Info

 

Freud – Jenseits des Glaubens

 

Regie: Matt Brown,

108 Min., Irland/ Großbritannien/ USA 2023;

mit: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diese Änderung ist keine Kleinigkeit, sondern im Gegenteil: ein fundamentaler Wechsel von einem monistischen zu einem dualistischen Weltbild. Damit räumt Freud ein, dass manche Impulse im Organismus sich nicht auf konstruktive Tendenzen zur Vereinigung und Weiterentwicklung reduzieren lassen. Genauer: dass es fundamental Negatives und Destruktives gibt, das sich nicht aufklären und wegtherapieren lässt. In religiösen Begriffen: Böses, das sich dem Guten nicht beugt. Damit wird die Psychoanalyse deutlich (kultur-)pessimistischer als zuvor.

 

Besuch vom „Chroniken von Narnia“-Autor

 

Daran anschließen will Regisseur Matt Brown mit der Frage nach Gottes Existenz. Dafür hat er ein 2009 uraufgeführtes Stück des viel beschäftigten US-Dramatikers Mark St. Germain verfilmt: „Freud’s Last Session“ spielt am 3. September 1939, als Großbritannien in den Krieg gegen Nazideutschland eintritt. Am selben Tag empfängt Freud, der seit Juni 1938 im Londoner Exil lebt, einen irischen Uni-Dozenten in Oxford namens Clive Staples (C.S.) Lewis. Der überzeugte Christ wird in den 1950er Jahren mit der Fantasy-Kinderbuchserie „Die Chroniken von Narnia“ berühmt werden, die etliche christliche Anspielungen enthält.

Offizieller Filmtrailer


 

Freud als polternder Patriarch

 

Dieses Treffen drei Wochen vor Freuds Tod ist fiktiv. Da zwei Gelehrte, die sich in der Bibliothek mit Wortwechseln beharken, visuell nicht sehr aufregend sind, streut Regisseur Brown noch allerlei andere Episoden ein: Rückblenden in ihre Kindheit; traumatische Kriegserlebnisse; einen Bomben-Fehlalarm, der beide kurz in den Luftschutzkeller zwingt; eine Vorlesung von Freuds Tochter Anna, die sie abbricht, um ihrem Vater schmerzstillendes Morphium zu besorgen, und manches mehr. Was so alles an einem Septembertag passieren kann – und vom Thema ablenkt.

 

Wenn die beiden Kontrahenten darauf zurückkommen, wird es schnell ungemütlich. Das liegt vor allem daran, wie Anthony Hopkins Freud verkörpert, nämlich mit einigen Schrullen zuviel am Rande des overacting: als polternden Patriarchen, der krächzend Schulnoten vergibt, kleinlichen Eitelkeiten frönt und so simple wie banale Provokationen abfeuert. Gott sei eine „lächerliche Lüge“, „unsere moralischen Überzeugungen sind Bestien“, der „Tod ist so unfair wie das Leben“ – solche Sachen. Derart Holzschnittartiges mag man einem Moribunden zutrauen, doch historische Filmaufnahmen von Freud im Londoner Exil zeigen einen gelassenen Grandseigneur, der seine Agonie stoisch ertrug.

 

Nicht über Augustinus + Luther hinaus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Sigmund Freud – Freud über Freud" – hervorragendes Doku-Porträt aus Briefzitaten + Selbstzeugnissen von David Teboul

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Trafikant" – solide Romanverfilmung von Nikolaus Leytner mit Bruno Ganz als Sigmund Freud

 

und hier einen Bericht über den Films "Eine dunkle Begierde" über den Konflikt zwischen Sigmund Freud und C.G. Jung von David Cronenberg

 

und hier einen Beitrag über den Film "Tolkien" – stimmungsvolles Biopic über den Fantasy-Autor und engen Oxford-Freund von C. S. Lewis von Dome Karukoski

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Innenwelten: Sigmund Freud und die Kunst" in der Kunsthalle, Tübingen.

 

Für einen Disput auf höherem intellektuellen Niveau bräuchte es jedoch einen gleichwertigen Sparringspartner, der C.S. Lewis nicht ist. Matthew Goode wirkt eher wie ein leicht gehemmter Oberseminarist, der sich endlich traut, sein eigenes Gedankengebäude dem Professor vorzustellen, prompt demontiert wird – und dezent feixt, wenn er ihm einen Fehler nachweisen kann. Dabei wird er nicht als unerschütterlich frommer Gläubiger charakterisiert, sondern als einer, der grübelnd mit seinem Gottesverständnis ringt. Anders als J.R.R. Tolkien, sein enger Freund in Oxford; der „Herr der Ringe“-Autor war überzeugter Katholik.

 

In eine dramaturgische Sackgasse gerät die Debatte beim altehrwürdigen Theodizee-Problem: Wenn Gott allwissend, allmächtig und allgütig ist, warum ist die Welt dennoch so schlecht? Weil er nicht existiert, entgegnet Freud bündig. Lewis muss mehr Begründungsaufwand betreiben: damit die Menschen Wahlfreiheit haben, weil Gott will, dass sie das Leid auf der Welt selbst verantworten. Ähnliches haben schon Augustinus und Luther vorgebracht; um darüber hinaus zu kommen, ist dieses Zwei-Personen-Kammerspiel kaum das geeignete Medium.

 

Freundesmutter-Partner + Haustyrann

 

Deshalb löst Regisseur Brown die unfruchtbare Diskussion schließlich im Allzumenschlichen auf. C.S. Lewis hatte eine langjährige Beziehung mit Janie Moore, der Mutter eines gefallenen Kriegskameraden – als er gläubiger Christ wurde, verließ sie ihn. Freud ließ sich jahrzehntelang von seiner Tochter Anna (Liv Lisa Fries) umsorgen; sie organisierte auch 1938 die Flucht von Wien nach London. Dadurch hinderte er sie daran, selbstständig zu werden und sich zu ihrer lesbischen Partnerschaft mit Dorothy Tiffany Burlingham zu bekennen, wie die letzte Einstellung suggeriert.

 

Widerlegen solche human-interest-Flecken auf den Westen großer Geister ihre Theorien? Wohl kaum; sie wollen nicht mit vorbildlichem Lebenswandel überzeugen, sondern mit stichhaltigen Argumenten. Doch für eine der ältesten Menschheitsfragen wie der nach dem Allerhöchsten bleibt dieser Spielfilm zu oberflächlich.