David Teboul

Sigmund Freud – Freud über Freud

Anna Freud und Sigmund Freud. Foto: FilmKinoText
(Kinostart: 5.5.) Ein gottloser Jude entdeckt das Unbewusste: Freud war einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts. Ihn porträtiert Regisseur David Teboul eindrucksvoll mit Korrespondenz-Zitaten – kongenial illustriert durch einfallsreich verfremdete Archiv- und Symbolbilder.

An Sigmund Freud (1856-1939) scheiden sich bis heute die Geister. Die einen sehen in ihm einen Scharlatan und Hochstapler, der ein riesiges Lehrgebäude aus lauter unbewiesenen Vermutungen aufgetürmt habe. Andere, darunter der Autor dieser Zeilen, halten ihn für einen der bedeutendsten Denker der Geistesgeschichte: Seine Entdeckung des Unbewussten und der Triebökonomie haben der menschlichen Selbsterkenntnis eine neue Dimension eröffnet – wie immer man etliche zeitgebundene Details seiner Theorien beurteilen mag.

 

Info

 

Sigmund Freud – Freud über Freud

 

Regie: David Teboul,

97 Min., Frankreich/Österreich 2020

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diese Polarisierung hat Freud selbstbewusst vorausgesehen. 1917 beschrieb er den Grund, warum die Psychoanalyse abgelehnt werde, als verständlich: Sie zähle zu den drei großen Kränkungen des menschlichen Narzissmus. Die erste hatte ihm 1543 Nikolaus Kopernikus mit der Erkenntnis beschert, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist.

 

Widerstand gegen Weltbild-Sturz

 

Die zweite geschah 1859 durch Charles Darwin: Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Tier wie alle anderen. Die dritte löste die Psychoanalyse aus mit der Einsicht, „daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.“ Kein Wunder: Wer das geltende Welt- und Selbstverständnis umstürzt, darf sich über heftigen Widerstand nicht beschweren.

Offizieller Filmtrailer


 

Drama des ereignisarmen Daseins

 

Gerade weil Freuds Denken so grundlegend ist, lässt es sich schwer veranschaulichen. Am Anfang seiner monumentalen Biographie von 1988 klagt Peter Gay ironisch, wie wenig es über sein Leben zu sagen gebe. Freud habe studiert, geheiratet, als Arzt praktiziert, Schriften publiziert und mit Gelehrten debattiert, bis er starb – was Gay nicht hindert, darüber mehr als 900 Seiten zu füllen. Denn sein vordergründig ereignisarmes Dasein war Schauplatz eines der aufregendsten intellektuellen Dramen der Moderne.

 

Der französische Filmemacher David Teboul wählt einen anderen Ansatz: Er lässt vor allem Freud über sich selbst sprechen – oder seine Verwandten, Vertrauten und Weggefährten über ihn in ihren Notizen. Vergleichsweise ausgiebig werden seine Männerfreundschaften betrachtet, etwa die zum Berliner Arzt Wilhelm Fließ. Als Freud in den 1890er Jahren mit seinen Forschungen in der Wiener Ärzteschaft auf Befremden und Ablehnung stieß, wurde Fließ zu seinem geistigen Sparringspartner.

 

Patriarchalisches Alphatier

 

Noch enger war Freuds Beziehung zu Carl Gustav (C.G.) Jung (1875-1961). In dem Schweizer Psychiater sah Freud zunächst einen „Kronprinzen“: 1910 sorgte er dafür, dass Jung zum Präsidenten der neu gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung gewählt wurde. Doch bereits zwei Jahre später kam es zum Bruch zwischen beiden. Den interpretiert Regisseur Teboul quasi als Vater-Sohn-Konflikt; dabei zeigte Freud durchaus patriarchalisches Alphatier-Verhalten.

 

Ausführlich zur Sprache kommen auch die Frauen um Freud, allen voran seine Tochter Anna (1895-1982). Sie kümmerte sich hingebungsvoll um den seit 1923 an Gaumenkrebs Leidenden, vertrat ihn fortan in der Psychoanalytischen Bewegung und wurde ihrerseits eine renommierte Kinder-Analytikerin. Eine ähnlich wichtige Rolle spielte Lou Andreas-Salomé, die ab 1911 zum Kreis um Freud zählte; er nannte sie einmal die „Dichterin der Psychoanalyse“.

 

Napoleon-Verwandte ermöglicht Flucht

 

Der Film beleuchtet aber auch die weniger bekannte Marie Bonaparte. Die Urenkelin eines Bruders von Napoléon Bonaparte wurde 1925 von Freud behandelt und freundete sich mit ihm an. Als Prinzessin von Griechenland und Dänemark sorgte sie mit ihren Beziehungen und ihrem Vermögen dafür, dass Freuds Familie nach dem NS-Einmarsch in Österreich 1938 ins britische Exil emigrieren konnte. Vier seiner Schwestern, die in Wien blieben, starben im Holocaust.

 

Dem entging Freud selbst wohl nur knapp; beinahe hätte ihn die Gestapo festgenommen. Seinem Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft wird viel Raum gewidmet: angefangen mit der Kindheit unter orthodoxen Juden in der Wiener Leopoldstadt über die Säkularisierung seiner Familie bis zu seinen ambivalenten Ansichten als Erwachsener. Freud war areligiös, aber zugleich sich seiner jüdischen kulturellen Prägung und riskanten Randposition in der Gesellschaft sehr bewusst. „Un juif sans Dieu“, also „Ein gottloser Jude“, ist der Film in der französischen Originalfassung betitelt.

 

Hochgebirge illustriert Unbewusstes

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Trafikant" - solide Romanverfilmung von Nikolaus Leytner mit Bruno Ganz als Sigmund Freud

 

und hier eine Besprechung des Films "Eine dunkle Begierde" über den Konflikt zwischen Sigmund Freud und C.G. Jung von David Cronenberg

 

und hier eine Kritik des Films "Lou Andreas-Salomé" - Biopic der Freud-Schülerin von Cordula Kablitz-Post

 

und hier ein Beitrag über die Dokumentation "Nachtmeerfahrten" über den Psychologie-Pionier C.G. Jung von Rüdiger Sünner.

 

Worte, Worte, nichts als Worte: Wie bebildert man sie? Dafür findet Regisseur Teboul eine kongeniale Lösung. Für die erste Lebenshälfte bis zur Jahrhundertwende verwendet er Archivschnipsel aus der Frühzeit des Kinos sowie eigene Super-Acht-Streifen, die er einfärbt und anderweitig verfremdet; dazu Fotografien, die er mit Überblendungen oder Loops scheinbar in Bewegung versetzt.

 

Sie dienen als Symbolbilder, die auf der Tonspur angesprochene Themen überraschend passend illustrieren; etwa verschneites Hochgebirge als Repräsentant des unzugänglichen Unbewussten. Für die zweite Lebenshälfte hat der Regisseur viele Quellen aufgetrieben, die Freuds Werdegang – parallel zu seiner wachsenden Berühmtheit – dokumentieren. Aus seinem letzten Lebensjahr in London sind sogar anrührende Farbfilm-Aufnahmen im Familienkreis erhalten.

 

Ein Freud’scher Film

 

„Ich habe einen konsequent Freud’schen Film machen wollen, das heißt, einen Film, der durch freie Assoziationen zwischen Bildern und Briefen funktioniert“, erklärt der Regisseur. Sein Anspruch mag ein wenig hoch gegriffen sein – aber ein beeindruckend facettenreiches Porträt, das dem Begründer der Psychoanalyse auch filmisch gerecht wird, ist diese Doku allemal.